19. Juni 2008 • Reformoptionen zur Wettbewerbspolitik in Österreich • Michael Böheim

Mit der Kartell- und Wettbewerbsrechtsnovelle 2002 wurde die wettbewerbspolitische Institutionenstruktur in Österreich an den europäischen Standard herangeführt, ohne allerdings auf spezifische Austriaca zu verzichten. In den sechs Jahren seither zeigten sich in der Praxis beträchtliche Möglichkeiten zur Optimierung des Systems. Das WIFO hat fünf konkrete Reformoptionen mit hoher Umsetzungsrelevanz identifiziert. Im Zentrum der Vorschläge stehen eine institutionelle Reorganisation durch eine Aufwertung der Bundeswettbewerbsbehörde und eine Neupositionierung der Wettbewerbskommission, die "Nachschärfung" des Ermittlungsinstrumentariums im kartellrechtlichen Missbrauchsverfahren sowie die Etablierung einer vorausschauenden Wettbewerbspolitik auf der Grundlage eines quantitativen Wettbewerbsmonitorings.

Seit 1. Juli 2002 sind zusätzlich zu dem in erster Instanz entscheidenden Kartellgericht die Bundeswettbewerbsbehörde und der Bundeskartellanwalt als Aufgriffsbehörden in Kartellverfahren eingerichtet. Die Wettbewerbskommission ist der Bundeswettbewerbsbehörde als Beratungsgremium beigeordnet.

Reformoption 1: Einführung der Umkehr der Beweislast in kartellrechtlichen Missbrauchsverfahren

Marktmachtmissbrauch ist in der Praxis äußerst schwierig zu identifizieren und noch schwieriger erfolgreich gerichtsfest zu beweisen. Deshalb empfiehlt das WIFO in seinem jüngsten Monatsbericht die Einführung der Beweislastumkehr in Missbrauchsverfahren nach deutschem Vorbild (§ 29 GWB). Die Stellung der Wettbewerbsbehörden in Missbrauchsverfahren würde durch diese Maßnahme wesentlich gestärkt und die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht substantiell nachgeschärft.

Reformoption 2: Zusammenführung von Bundeswettbewerbsbehörde und Bundeskartellanwalt zu einer einzigen umfassend zuständigen Wettbewerbsbehörde

Durch die Kartell- und Wettbewerbsrechtsnovelle 2002 wurde in der österreichischen Kartellbehördenorganisation ein Mischsystem von Zivilgericht und Verwaltungsbehörde geschaffen. Um das System zu optimieren, sollte die kartellrechtliche Institutionenstruktur weiterentwickelt und eine einzige umfassend zuständige Wettbewerbsbehörde geschaffen werden, wie sie dem europäischen Standard entspricht. Die im Regierungsprogramm akkordierte und inzwischen ins Stocken geratene Zusammenführung von Bundeswettbewerbsbehörde und Bundeskartellanwalt sollte deshalb zügig umgesetzt werden.

Reformoption 3: Neupositionierung der Wettbewerbskommission als eigenständiges Expertengremium

Die Wettbewerbskommission sollte nach dem Vorbild der deutschen Monopolkommission als unabhängiges Expertengremium neu positioniert werden, das sich losgelöst vom Tagesgeschäft der Bundeswettbewerbsbehörde auf die wettbewerbsrechtlichen Grundlagenarbeit konzentriert. Die Aufgabe, Gutachten zu allgemeinen wettbewerbspolitischen Themen zu erstellen, die den Haupt- und Sondergutachten der deutschen Monopolkommission vergleichbar sind, wäre auszubauen. Dazu sind eigene Finanzressourcen erforderlich.

Reformoption 4: Übertragung des erstinstanzlichen Entscheidungsrechts in Kartellverfahren an die Bundeswettbewerbsbehörde

Das Kartellgericht wurde durch die Kartellrechtsreform 2002 in seiner Rolle als erste Entscheidungsinstanz belassen. Österreich nimmt hier wie Irland eine Sonderstellung in der EU ein – in allen anderen EU-Ländern kommt der nationalen Wettbewerbsbehörde auch das erstinstanzliche Entscheidungsrecht zu. Diese bewährte europäische Standardkonstruktion sollte auch in Österreich übernommen werden.

Reformoption 5: Implementierung einer vorausschauenden Wettbewerbspolitik auf der Grundlage eines transparenten quantitativen Wettbewerbsmonitorings

Das WIFO empfiehlt, in Österreich eine proaktive und investigative Wettbewerbspolitik nach dänischem Vorbild zu implementieren, die alle Wirtschaftszweige einem objektiven und transparenten quantitativen Wettbewerbsmonitoring unterzieht.

Auf der Grundlage einer wettbewerbsökonomischen Datenbasis sollte die neu positionierte Wettbewerbskommission (Reformoption 3) jährliche Berichte über die Wettbewerbssituation in der österreichischen Wirtschaft vorlegen, die den Hauptgutachten der deutschen Monopolkommission vergleichbar sind.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 6/2008!