21. Dezember 2007 • Erfahrungen mit der fünften EU-Erweiterung: neue EU-Länder profitieren wie erwartet überdurchschnittlich • Fritz Breuss

Die fünfte EU-Erweiterung in den Jahren 2004 und 2007 hat nicht nur den Binnenmarkt vergrößert. Auch die Eurozone wurde auf 15 von 27 EU-Ländern ausgeweitet, und der Schengenraum wird auf 22 Länder ausgedehnt. Obwohl der Arbeitsmarkt noch nicht voll integriert ist, konnten die neuen EU-Länder von der Teilnahme am Binnenmarkt bereits deutlich profitieren. Ihre Wirtschaft wuchs rascher als zuvor, und sie steigerten den Handel mit den Ländern der EU 15 beträchtlich. Die Effekte der jüngsten Erweiterung kamen den neuen Mitgliedsländern wie erwartet viel deutlicher zugute als den Ländern der EU 15. Viele Probleme sind aber noch zu lösen: Die Einkommenslücke muss geschlossen werden, die Wettbewerbsfähigkeit der neuen EU-Länder gesteigert und ihre Volkswirtschaften makroökonomisch stabilisiert werden. Das erfordert insbesondere die Verringerung der hohen Leistungsbilanzdefizite, die Drosselung der Inflation und vereinzelt die Budgetsanierung.

In seinem jüngsten Monatsbericht publiziert das WIFO eine erste Evaluierung der großen fünften EU-Erweiterung (von 2004 und 2007), die zu folgenden Ergebnissen kommt:

In den meisten neuen EU-Ländern wächst die Wirtschaft seit 2004 bzw. 2007 rascher als zuvor. Deutlich über dem Mittel der 12 neuen EU-Länder (Steigerung des jährlichen Wirtschaftswachstums um 2,5 Prozentpunkte im Durchschnitt der fünf Jahre seit 2004 gegenüber dem Durchschnitt der fünf Jahre zuvor) liegen die Slowakei (+4,6 Prozentpunkte), Lettland (+3,4 Prozentpunkte), Rumänien und Tschechien (je +3 Prozentpunkte) sowie Estland und Litauen (je +2,6 Prozentpunkte). In Polen entspricht die Wachstumsbeschleunigung dem Mittel (+2,4 Prozentpunkte). Weniger stark zieht das Wachstum an in Bulgarien (+2 Prozentpunkte), Slowenien (+1,2 Prozentpunkte), Zypern (+0,4 Prozentpunkte) und Malta (+0,2 Prozentpunkte). Als bisheriger Wachstumsverlierer gilt Ungarn (–0,9 Prozentpunkte).

Die Wirtschaft der EU 27 insgesamt expandiert um 0,3 Prozentpunkte rascher als vor 2004, während sich die Rate der EU 15 um nur 0,1 Prozentpunkt erhöht. Dieser Wachstumsbonus von rund 0,2 Prozentpunkten pro Jahr entspricht den bisherigen Erwartungen über die Integrationseffekte der jüngsten großen EU-Erweiterung.

Die jüngste EU-Erweiterung brachte aber auch statistisch eine "Verarmung" der erweiterten EU, d. h. das durchschnittliche BIP pro Kopf verringerte sich um fast 11%. Damit rückt eines der Ziele der Lissabon-Agenda, den Einkommensrückstand gegenüber den USA zu verringern, in weite Ferne. Nunmehr beträgt die Einkommenslücke zu den USA bereits 51%, gegenüber 35% zwischen den USA und der EU 15. Um diese Lücke zu schließen, ist in den neuen EU-Ländern ein langer Aufholprozess mit anhaltend hohem Wachstum erforderlich.

Die neuen EU-Mitgliedsländer weiteten den Handel mit den Ländern der EU 15, aber insbesondere untereinander stark aus. Auch die alten EU-Länder lenkten ihre Handelsströme zulasten des Intra-EU-15-Handels in die neuen Mitgliedsländer um.

Trotzt reger Handelstätigkeit seit 2004 konnten die Länder der EU 15 ihre komparativen Vorteile stärker durchsetzen als die neuen Mitgliedsländer. Das spiegelt sich in Verbesserungen der Handels- und Leistungsbilanzen im Handel mit den neuen EU-Ländern, während viele neue Mitgliedsländer im Handel mit den alten hohe Defizite erwirtschafteten. Relativ gut schnitten hier die höherentwickelten MOEL 5 (also die Nachbarstaaten Österreichs) ab.

Mit Ausnahme von Slowenien sowie ab 2008 Malta und Zypern sind die neuen Mitgliedsländer noch nicht reif für Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion der EU und können daher den Euro noch nicht einführen. Teilweise ist ihre Inflationsrate zu hoch, teilweise weist ihr Staatshaushalt ein zu hohes Defizit auf.

Trotz stetiger Integrationsbemühungen der EU-Zollunion in den sechziger Jahren, der Schaffung des Binnenmarktes Anfang der neunziger Jahre, der Währungsunion Ende der neunziger Jahre und des ehrgeizigen Lissabon-Programms für "Wachstum und Beschäftigung" blieb die Wirtschaftsentwicklung in der EU bisher hinter jener etwa der USA zurück. Das ist ein schwer zu erklärendes "Integrationspuzzle". Theoretisch müsste nämlich die Wirtschaft in Ländern bzw. Ländergruppen, die sich immer stärker integrieren, schneller wachsen als in solchen, die diese Schritte nicht setzen.

Insgesamt war die jüngste EU-Erweiterung ein wichtiger politischer Schritt, um das "Friedensprojekt" EU auf ganz Europa auszuweiten. Es wäre zu wünschen, dass der anfängliche wirtschaftliche Schwung in den neuen Mitgliedsländern anhält.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 12/2007!