29. November 2007 • Kräftiges Wachstum der Weltwirtschaft schwächt sich ab • Markus Marterbauer, Stephan Schulmeister, Ewald Walterskirchen

Das Wachstum der weltweiten Produktion dürfte sich von real gut 5% (2007) auf 4¾% (2008) abschwächen. Den Ausgangspunkt der Dämpfung bilden die Immobilienkrise in den USA und die darauf folgenden Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten. In den asiatischen Schwellenländern, besonders in China und Indien, bleibt das Wirtschaftswachstum auf hohem Niveau. Der Euro-Raum leidet unter der Schwäche der Binnennachfrage und der markanten Aufwertung seiner Währung.

Die Weltwirtschaft befindet sich heuer im fünften Jahr lebhafter Expansion, der Zuwachs der Produktion beträgt real mehr als 5%. In den asiatischen Schwellenländern hat sich die Dynamik im Verlauf des Jahres sogar noch beschleunigt. Hingegen geht von den Industrieländern ein dämpfender Impuls auf das Wachstum der Weltwirtschaft aus. Dieser dürfte sich im kommenden Jahr noch verstärken.

Die Risken für die Konjunktur haben sich in erster Linie aufgrund der Zuspitzung der Immobilienkrise in den USA erhöht. Seit dem Frühjahr 2007 sinken die Immobilienpreise, die Wohnbauinvestitionen liegen um etwa ein Viertel unter ihrem Höchstwert von Ende 2005, jüngste Daten weisen auf eine weitere Verschärfung des Einbruchs hin. Diese Entwicklungen belasteten im Sommer den Märkten für hypothekarisch besicherte Wertpapiere zusätzlich, brachten eine Reihe von Banken in Finanzierungsschwierigkeiten und verursachten eine generelle Liquiditätsknappheit. In der Folge stiegen die Risikoprämien auf den internationalen Finanzmärkten.

Die Turbulenzen auf den Finanzmärkten machen die Probleme deutlich, die mit modernen Finanzinstrumenten verbunden sein können. Die erhöhte Unsicherheit und die gedämpfte Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe dürften weltweit die Investitionstätigkeit der Unternehmen beeinträchtigen. Bedeutender für die realwirtschaftliche Entwicklung ist allerdings, dass der Rückgang der Immobilienwerte und die Krise im Wohnbausektor in den USA zunehmend die Konsumnachfrage der privaten Haushalte drücken. Die Folge ist eine merkliche Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in den USA – es dürfte im Jahr 2008 real neuerlich unter 2% liegen, deutlich unter dem langfristigen Vergleichswert.

Die damit einhergehende Abschwächung der Importe der USA dämpft die Wachstumsdynamik in Lateinamerika, Asien und Europa. Für die Länder des Euro-Raumes wird dieser negative Effekt durch die markante Abwertung des Dollars verstärkt: Der Euro hat gegenüber dem Dollar seit Jahresbeginn 2007 mehr als 8% an Wert gewonnen und damit etwa auch gegenüber dem chinesischen Yuan fester notiert. Den Hintergrund für die Dollarabwertung bilden die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und die raschen Zinssatzsenkungen in den USA. Die Europäische Zentralbank reagierte auf die Turbulenzen auf den Finanzmärkten bislang mit der vorübergehenden Bereitstellung von zusätzlicher Liquidität und einer Aufschiebung der ursprünglich für September vorgesehenen Anhebung des Leitzinssatzes. Eine wahrscheinliche weitere Senkung der Federal Funds Rates und eine Verschärfung der Euro-Aufwertung könnten auch der europäischen Geldpolitik Anlass zum Handeln geben.

Im Zuge des kräftigen Aufschwungs der Weltwirtschaft erhöhte sich in den letzten Jahren die Nachfrage nach Erdöl und damit auch dessen Weltmarktpreis kräftig. Jüngst lösten die Verschärfung der Spannungen im Mittleren und Nahen Osten sowie die Abwertung des Dollars einen zusätzlichen Teuerungsschub auf über 80 $ je Barrel aus. Zweifellos könnte die mit einem weiteren Preisanstieg verbundene Verschlechterung der Terms-of-Trade für die Industrieländer die Konjunktur dämpfen. Allerdings war der Anstieg des Erdölpreises in den letzten Jahren primär eine Folge der kräftigen Wirtschafts- und Nachfrageentwicklung (vor allem in den asiatischen Schwellenländern).

Die Eintrübung der Weltkonjunktur prägt die Abschwächung des Wirtschaftswachstums im Euro-Raum. Während das BIP heuer real noch um 2,7% zunehmen dürfte, erwartet das WIFO für das Jahr 2008 nur noch einen Anstieg um 1,9%. Die Abschwächung fällt vor allem deshalb so deutlich aus, weil der Konjunkturaufschwung im Euro-Raum in den Jahren 2006 und 2007 zwar den Export und die Investitionen erfasst hat, sich jedoch noch kaum auf die Konsumnachfrage der privaten Haushalte übertragen hat. Dies gilt vor allem für Deutschland, dessen die Konsumausgaben heuer – aufgrund der Stagnation der Pro-Kopf-Einkommen und der Anhebung der Mehrwertsteuersatzes auf 19% – real sogar leicht zurückgehen (–0,2%). Die Binnennachfrage boomte hingegen in jenen EU-Ländern, in denen der Anstieg der Immobilienpreise Vermögenseffekte auslöste. Er übertraf in Großbritannien, Irland und Spanien in den letzten Jahren sogar jenen der USA. Jüngst kam der Preisauftrieb zum Stillstand oder kehrte sich bereits um. Dies wird den Wohnbau und die Konsumnachfrage dämpfen und das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern merklich verlangsamen.

Die markanten Unterschiede in der Dynamik der Binnennachfrage zwischen den einzelnen Volkswirtschaften kommen auch in den Leistungsbilanzsalden zum Ausdruck. Länder mit großen Exporterfolgen und gleichzeitig verhaltener Inlandsnachfrage weisen hohe Überschüsse in der Außenwirtschaft auf, etwa Deutschland (2007 +5,4% des BIP) oder China (+11,7%). Ihnen stehen Länder mit Problemen in der Wettbewerbsfähigkeit und starker Binnenkonjunktur gegenüber. In den USA war das Wachstum über lange Jahre primär vom Konsum getragen, im Jahr 2007 beträgt das Leistungsbilanzdefizit 780 Mrd. $ (5,7% des BIP). Ein hohes Defizit weisen auch Spanien (–9,8%), Großbritannien (–3,5%) oder einige mittelosteuropäische Länder auf. Eine gesamtwirtschaftlich tragfähige Lösung der hohen Leistungsbilanzungleichgewichte kann nur dann gelingen, wenn die Defizitländer ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern und gleichzeitig die Überschussländer ihre Binnennachfrage stimulieren.

Es spricht vieles dafür, dass die Turbulenzen auf den Finanzmärkten die Weltkonjunktur nicht einbrechen lassen, sondern nur dämpfen. Das Wachstum könnte daher im kommenden Jahr immer noch bei 4¾% liegen. Weiterhin bilden die asiatischen Schwellenländer einen wichtigen Motor für die Weltwirtschaft. Die Abschwächung der Konsumnachfrage in den USA wird die Expansion in diesen Ländern zwar bremsen, allerdings ausgehend von einem sehr hohen Niveau (2008: China real +10%, Indien +9%). Auch in Osteuropa und Lateinamerika bleibt das Wirtschaftswachstum relativ hoch. Die neuen EU-Länder vergrößern hingegen aufgrund der regen Binnennachfrage ihren Wachstumsvorsprung gegenüber dem Euro-Raum. Allerdings bewirkt die zunehmende Überhitzung erhebliche gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte und birgt steigende Risken für die Konjunktur.

Die Dynamik der Konjunktur über das Jahr 2008 hinaus ist derzeit sehr schwierig einzuschätzen. Können die Turbulenzen auf den Finanzmärkten und die Schwäche der Wirtschaft der USA mithilfe einer aktiven Politik rasch überwunden werden, so dürfte der Aufschwung neuerlich an Schwung gewinnen. Die Risken für eine Verschärfung der wirtschaftlichen Probleme sind allerdings hoch.

Übersicht 1: Wirtschaftswachstum, Arbeitslosenquote und Inflation in der Welt

 BIP, realVerbraucherpreiseArbeitslosenquote
 200620072008200620072008200620072008
 Veränderung gegen das Vorjahr in %In % der Erwerbspersonen
          
Welt

+5,2

+5,1

+4,8

 

 

 

 

 

 

  EU 27

+3,2

+3,0

+2,4

+2,3

+2,2

+2,1

7,9

6,9

6,7

  Kanada

+2,8

+2,3

+2,2

+2,0

+1,9

+2,4

6,3

6,5

6,4

  Japan

+2,2

+1,8

+2,0

+0,2

±0,0

+0,5

4,1

3,8

3,6

  Norwegen

+2,8

+3,4

+3,2

+2,3

+0,9

+2,3

3,5

2,7

2,7

  Schweiz

+3,2

+2,7

+2,2

+1,1

+0,6

+1,1

4,0

3,5

3,4

  Türkei

+6,1

+4,9

+5,9

+10,7

+8,1

+5,8

9,9

9,9

9,6

  USA

+2,9

+1,9

+1,8

+3,3

+2,7

+1,9

4,6

4,6

2,5

   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  Russland

+6,7

+7,0

+6,5

+9,8

+8,0

+7,5

7,2

7,0

6,5

  China

+10,7

+11,0

+10,0

 

 

 

 

 

 

  Indien

+9,2

+9,2

+9,0

 

 

 

 

 

 

  Ostasien ohne China1)

+5,3

+5,5

+5,2

 

 

 

 

 

 

  Lateinamerika2)

+5,6

+5,4

+5,0

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum Vergleich: Welthandel, real

+8,9

+7,0

+7,0

 

 

 

 

 

 

Q: Europäische Kommission, IMF, WIFO-Berechnungen. BIP und Verbraucherpreise gewichtet mit dem BIP zu Kaufkraftparitäten von 2006, Arbeitslosenquote gewichtet mit der Zahl der Erwerbspersonen von 2006. 2007 und 2008: WIFO-Prognose. –  1) Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur, Südkorea, Taiwan. –  2) Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko, Venezuela.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 11/2007 (http://www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp?fid=23923&id=30421&typeid=8&display_mode=2)!