30. Mai 2007 • Arbeitsmarktflexibilität und soziale Absicherung • Alois Guger

Eine Steigerung der Arbeitsmarktflexibilität, die die Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen erleichtert, ist ein Kernkonzept der Europäischen Beschäftigungsstrategie. Die Institutionen des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherung sollen die erhöhten Flexibilitätsanforderungen berücksichtigen, um in Zeiten raschen Wandels die Prinzipien von Effizienz und Solidarität in Einklang zu bringen. In den angelsächsischen Ländern ist die Arbeitsmarktflexibilität hoch, in den skandinavischen Ländern und den neuen EU-Ländern wurde sie in den letzten 15 Jahren deutlich gesteigert. In den kontinentaleuropäischen Ländern, in denen die sozialen Sicherungssysteme vorwiegend auf Erwerbsarbeit und stabilen Arbeits- und Partnerbeziehungen basieren, besteht dagegen Reformbedarf.

Nach den verfügbaren Indikatoren liegt Österreich hinsichtlich der Verknüpfung von Arbeitsmarktflexibilität und sozialer Sicherheit im Mittelfeld der EU-Länder. Gegenüber dem "Flexicurity"-Modell der skandinavischen Länder besteht noch Aufholbedarf.

Die Unterschiede zwischen den arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen für private und öffentliche Beschäftigung sowie unselbständige und selbständige Erwerbstätigkeit verringern die Arbeitsplatzflexibilität in Österreich. Über die Angleichungen, die seit einem Jahrzehnt im Gange sind, hinaus ist eine möglichst vollständige Harmonisierung des Arbeits- und Sozialrechts anzustreben, um die Mobilität entscheidend zu verbessern.

Die Betreuungsinfrastruktur, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern soll, ist in Österreich zu gering bemessen. Das gilt vor allem für die Nachmittagsbetreuung von Klein- und Schulkindern. Das Fehlen von Kinderbetreuungseinrichtungen verhindert ein Gender-Gleichgewicht und eine signifikante Ausweitung des Arbeitskräfteangebotes, wie sie in einem stärkeren Konjunkturaufschwung oder in Zukunft bei Stagnation der Zahl der Erwerbsfähigen benötigt wird.

Während der soziale Schutz für "normale" Arbeitsverhältnisse in Österreich relativ hoch ist, genießen Personen, die heute die erhöhten Flexibilitätsanforderungen auf dem Arbeitsmarkt tragen, wesentlich geringeren sozialen Schutz. Dies sind vor allem Jugendliche, die neu in den Arbeitsmarkt eintreten, Arbeitskräfte mit Werkvertrag oder freiem Dienstvertrag, "neue Selbständige" sowie geringfügig Beschäftigte und Teilzeitbeschäftigte.

Gemessen am OECD-Regulierungsindikator ist die Arbeitsmarktregulierung in Österreich geringer als im EU-Durchschnitt. Nach dem Mobilitätsindex der EU entspricht sie etwa dem Durchschnitt der EU 15. Die Lohnflexibilität in Bezug auf die Arbeitslosigkeit ist in Österreich hoch, die Arbeitszeitflexibilität liegt im internationalen Mittelfeld.

Die Zunahme der Zahl instabiler Beschäftigungsverhältnisse konzentriert sich in Österreich auf Jugendliche, kleine Betriebe und bestimmte Branchen (saisonabhängige und unternehmensbezogene persönliche Dienstleistungen). Die Stabilität der Beschäftigung jüngerer Personen (15 bis 25 Jahre) hat sich in den letzten 20 Jahren halbiert. Atypische Beschäftigungsformen mit geringerem Sozialschutz nahmen kräftig zu (neue Selbständigkeit, freie Dienstverträge, geringfügige Beschäftigung).

Um im Sinne des Flexicurity-Konzepts der Europäischen Beschäftigungsstrategie die produktiven Elemente des Sozialstaates auszubauen und die Vereinbarkeit von Flexibilität und sozialer Sicherheit zu verbessern, empfiehlt daher das WIFO in seinem im jüngsten Monatsbericht abgedruckten Weißbuch-Beitrag:

  • Das Arbeits- und Sozialrecht wäre für alle Erwerbstätigen anzugleichen.

  • Einführung von Elementen eines Experience Rating, um Anreize für Unternehmen zu verstärken durch Arbeitsplatzgestaltung und Form der Arbeitsorganisation das Unfall- und Invaliditätsrisiko sowie Arbeitslosigkeit und frühem Pensionsantritt ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verringern – beispielsweise in Form einer Prämienermäßigung (Bonus) für Betriebe, die die Sozialsysteme weniger belasten als der Branchendurchschnitt.

  • Niedrige Einkommen sollten von den Lohnnebenkosten entlastet werden.

  • Durch eine Ausweitung der Beitragsgrundlage zur Krankenversicherung auf Vermögenserträge (Miet-, Zinserträge usw.) könnten die Krankenversicherungsbeiträge gesenkt und die Erwerbseinkommen entlastet werden.

  • Die Selbständigen wären in die Arbeitslosenversicherung einzubeziehen.

  • Der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sollte verbessert werden; eine Reform der Invaliditäts- und Erwerbsunfähigkeitspension müsste die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit in den Vordergrund stellen.

  • Eine armutsvermeidende Mindestsicherung in der Notstands- und Sozialhilfe wäre vorzusehen – für aktivierungsfähige Personen geknüpft an entsprechende Aktivitäten (Ausbildung, Arbeitsplatzsuche usw.),

  • Zusätzliche Investitionen sollten in die Bereiche soziale Dienste (Kinderbetreuung, Altenbetreuung) und Bildung fließen.

  • Die jüngste Einigung der Sozialpartner über Flexibilisierung Arbeitszeit und Überstundenentlohnung für Teilzeitbeschäftigte bildet einen positiven Schritt in der Umsetzung des Flexicurity-Konzepts.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 5/2007 und der folgenden WIFO-Studie: Alois Guger, Thomas Leoni, WIFO-Weißbuch: Mehr Beschäftigung durch Wachstum auf Basis von Innovation und Qualifikation. Teilstudie 15: Arbeitsmarktflexibilität und soziale Absicherung (November 2006, 42 Seiten, 40 Euro, Download 32 Euro: http://www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp?fid=23923&id=27454&typeid=8&display_mode=2)!