3. Jänner 2007 • Der Beitritt zur Europäischen Union – Folgen für die österreichische Landwirtschaft • Markus F. Hofreither, Franz Sinabell

Der EU-Beitritt und seine Folgen für die heimische Landwirtschaft wurden vielfach skeptisch beurteilt. In einer Studie des Instituts für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung (Universität für Bodenkultur, Wien) und des WIFO werden die ökonomischen Konsequenzen im Rückblick eines Jahrzehnts beleuchtet. Die Ergebnisse zeigen, dass durch den EU-Beitritt der Strukturwandel gebremst wurde und vor- und nachgelagerte Wirtschaftsbereiche von einer Verbesserung der Handelsbedingungen profitierten. Zudem entwickelten sich die Agrareinkommen günstiger als im Vergleichsszenario ohne Beitritt. In diesem Fall hätten die GATT-Beschlüsse zur Liberalisierung des Agrarhandels ohne den Zugang zum Gemeinsamen Markt bewältigt werden müssen.

Vor dem EU-Beitritt wurde die Landwirtschaft als ein Sektor mit hohem Anpassungsbedarf gesehen. Konkret wurde befürchtet, dass die Abwanderung aus der Landarbeit zunehmen, die Agrareinkommen sinken, die Schwächen der Lebensmittelwirtschaft massive Verluste an heimischen Marktanteilen bewirken und die österreichische Kulturlandschaft weitgehend ihren Charakter verlieren würde. Als Alternative zum EU-Beitritt wurde häufig die Fortsetzung der Agrarpolitik propagiert, wie sie sich ab 1980 etabliert hatte.

Die tatsächliche Alternative zum EU-Beitritt bestand jedoch in der Umsetzung der GATT-Vereinbarungen zur Liberalisierung des Agrarhandels ohne den wichtigen Zugang zum Gemeinsamen Markt. Die Folgen eines solchen Szenarios haben das Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung der Universität für Bodenkultur, Wien, und das WIFO mit Hilfe von Modellanalysen untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass zur Einhaltung der GATT-Verpflichtungen eine erhebliche Senkung der Agrarpreise notwendig gewesen wäre. Ein Nicht-Beitritt zur EU hätte eine deutliche Abnahme der Wertschöpfung zur Folge gehabt (je nach Annahme von knapp 4% bis über 10%). Um Einkommensverluste abzufedern, wäre eine Ausdehnung der Förderungen im Rahmen des bestehenden Instrumentariums erforderlich gewesen. Ob eine solche Ausweitung des Agrarhaushalts möglich gewesen wäre, bleibt eine offene Frage, weil ohne EU-Beitritt das gesamtwirtschaftliche Wachstum schwächer und damit auch der Budgetspielraum enger gewesen wäre.

Ein wichtiger langfristiger Indikator für die Entwicklung eines Wirtschaftssektors ist die Beschäftigungsdynamik. Die Produktion der Landwirtschaft ist von raschem technischen Fortschritt geprägt. Die dadurch ermöglichten Produktionsausweitungen werden nur teilweise durch eine vermehrte Nachfrage nach Nahrungsmitteln ausgeglichen. Als Folge werden Produktionsfaktoren, vor allem Arbeit, vom Agrarsektor freigesetzt. Seit dem EU-Beitritt hat sich die Rate der Abwanderung aus der Landwirtschaft – entgegen allen Befürchtungen – verringert. Im Jahrzehnt vor dem EU-Beitritt verließen pro Jahr mehr als 3% der Beschäftigten den Agrarsektor. Seit dem EU-Beitritt beträgt die Rate nur noch 2,1% (Abbildung 1).

Der Anteil der Landwirtschaft an der Beschäftigung der Volkswirtschaft liegt seit dem Jahr 2000 unter 5%. Angesichts eines Anteils der Bruttowertschöpfung des Agrarsektors am BIP – von 1,1% im Jahr 2004 – wird deutlich, dass die Ertragslage pro Kopf der Beschäftigten angespannt ist. Verglichen mit dem Zeitraum vor dem EU-Beitritt konnten die realen Faktoreinkommen je Arbeitskraft gehalten, nicht aber verbessert werden (Übersicht 1). Im internationalen Vergleich deuten die Ergebnisse dennoch auf eine leicht günstigere Entwicklung im österreichischen Agrarsektor hin: Die Abwanderungsrate ist geringer und die Entwicklung der realen Faktoreinkommen günstiger als etwa in Finnland und in der Schweiz.

Abbildung 1: Abwanderung aus der Landwirtschaft und Anteil an der Beschäftigung

Q: Statistik Austria; Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an der Universität für Bodenkultur, Wien; WIFO.

Seit dem EU-Beitritt hängt es nicht mehr von internen Entscheidungen der landwirtschaftlichen Organisationen ab, welche Produkte auf den Markt kommen, sondern der Handel stellt ein breites Angebot aus ganz Europa bereit, aus dem souveräne Konsumenten wählen können. Molkereien, die vor dem EU-Beitritt durch Gebietsschutz vor zu heftiger Konkurrenz abgeschottet worden waren, mussten sich nun in einem kompetitiven Umfeld behaupten. Vor- und nachgelagerte Wirtschaftsbereiche der Landwirtschaft, wie z. B. Düngerindustrie und Lebensmittelwirtschaft, bauten nach dem EU-Beitritt Arbeitskräfte ab, auch die Zahl der Unternehmen nahm ab. Umsätze und Wertschöpfung entwickelten sich jedoch positiv, vor allem im Lebensmittelhandel. Die Entwicklung des Außenhandels mit Agrargütern (Übersicht 2) ist ein deutliches Indiz dafür, dass Österreichs Verarbeitungsindustrie und Handel auf dem Gemeinsamen Markt erfolgreich agieren: Das Handelsvolumen nahm insgesamt deutlich zu, die Exporte konnten rascher gesteigert werden als die Importe, und der Wert der exportierten Waren nähert sich zunehmend dem Wert der Importgüter an.

Österreichs Agrarpolitik ist es gelungen, über das Programm der ländlichen Entwicklung umfangreiche EU-Mittel zur Förderung einer umweltfreundlichen Landwirtschaft zugänglich zu machen. Der Rückgang der Agrarpreise verringerte auch den Einsatz von Agrarchemikalien. Einige Umweltindikatoren deuten auf eine Verbesserung der Umweltperformance hin, der Stickstoffüberschuss etwa halbierte sich seit dem EU-Beitritt.

Übersicht 1: Kennziffern zur Landwirtschaft im Ländervergleich

 ÖsterreichSchwedenFinnlandSchweiz
 In %
     
Anteil der Landwirtschaft am BIP 20041)

1,1

n. c.

0,9

1,3

Durchschnittliche Abwanderung aus Landwirtschaft 1991/2004

2,1

2,2

3,3

2,2

Durchschnittliche jährliche Veränderung der Einkommen2) 1991/2004

0,01

0,04

0,006

0,005

Q: Eurostat; Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an der Universität für Bodenkultur, Wien; WIFO. –  1) Bruttowertschöpfung (zu Herstellungspreisen). –  2) Reales Faktoreinkommen aus der Landwirtschaft je Arbeitskraft gemessen zu Vollzeitäquivalenten.

Übersicht 2: Entwicklung des Agrarhandels mit den Ländern der EU 25 seit 1990

 1990¹)1995200020051990¹)199520002005
 Exporte in die EU 25 in Mio. EuroImporte aus der EU 25 in Mio. Euro
         
Agrarhandel

1.134

1.790

3.411

5.915

2.336

3.153

4.453

6.278

         
 Exporte minus Importe in Mio. Euro    
         
Agraraußenhandelbilanz

– 1.202

– 1.363

– 1.042

– 363

 

 

 

 

         
 An den Agrarexporten in %An den Agrarimporten in %
         
Anteil der EU 25

63

77

82

75

66

79

83

84

         
 Exporte in Euro/TonneImporte in Euro/Tonne
         
Unit Values2), Euro je t

519

685

722

941

866

940

998

983

Q: Statistik Austria (WIFO-Datenbank), Agrargüter gemäß KNO-Nomenklatur Kapitel 1 bis 4. – ¹) 1990 ohne Slowenien, Estland, Lettland und Litauen. –  2) Quotient aus Export- bzw. Importwerten und den exportierten bzw. importierten Mengen.

Im Rückblick über ein Jahrzehnt trat demnach keine der Befürchtungen, die Landwirtschaft würde sich nach dem EU-Beitritt negativ entwickelt, tatsächlich ein. Dieser Befund lässt eine sehr starke Anpassungsfähigkeit des Agrarsektors erkennen und gibt Anlass für eine optimistische Einschätzung der Folgen sich abzeichnender weiterer Veränderungen: der Erweiterung der EU um Länder mit starkem Agrarsektor, der Verbreitung neuer Technologien, Reformen zur weiteren Verbesserung der Nutzung der landwirtschaftlichen Ressourcen und kommender Schritte zur Liberalisierung des Agrarhandels.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte der aktuellen Ausgabe des Online-Magazins http://www.laendlicher-raum.at!