19. Dezember 2006 • WIFO-Weißbuch: Determinanten des Wirtschaftswachstums in den OECD-Ländern • Martin Falk

Das Wirtschaftswachstum ist in den Industrieländern primär pfadabhängig – jene Ländern, deren Wirtschaft in der Vergangenheit überdurchschnittlich rasch wuchs, werden vermutlich auch in Zukunft einen Vorsprung verzeichnen. Über die Investitionsquote und die Forschungs- und Entwicklungsquote (Forschungsausgaben im Unternehmenssektor in Prozent des BIP) kann das Wachstumstempo jedoch beeinflusst werden; dabei nimmt die Wirkung der Investitionsquote über die Zeit tendenziell ab, die der Forschungsquote tendenziell zu. Vor allem die Konzentration von Forschung und Entwicklung auf Spitzentechnologie wirkt nachhaltig wachstumsfördernd, keineswegs hingegen eine Spezialisierung auf Mittel- und Niedrigtechnologie. Bedeutenden Einfluss auf das Wirtschaftswachstum hat auch das Humankapital. Dies zeigt die empirische Untersuchung auf Basis von OECD-Daten für den Zeitraum 1970 bis 2004, die das WIFO im Rahmen seines Weißbuches durchgeführt hat.

Seit Anfang der neunziger Jahre haben die Wachstumsunterschiede zwischen den Industrieländern wieder deutlich zugenommen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den zentralen Determinanten des Wirtschaftswachstums und welche Faktoren an Bedeutung gewonnen haben. Das WIFO hat in einer Teilstudie seines Weißbuches eine Reihe zentraler Determinanten des Wirtschaftswachstums (gemessen am Wachstum des BIP pro Kopf der Erwerbsfähigen zu konstanten Kaufkraftparitäten) auf Basis von Paneldaten für die OECD-Länder im Zeitraum 1970 bis 2004 analysiert: die Investitionsquote, Die Forschungs- und Entwicklungsquote im Unternehmenssektor, die technologische Spezialisierung (z. B. Hochtechnologie- versus Niedrigtechnologiebereich), das Ausgangsniveau des BIP pro Kopf der Erwerbsfähigen und die Rolle der Industriestruktur (z. B. Anteil der High-Tech-Branchen); andere Studien (z. B. "Growth Project" der OECD) haben hier insbesondere den Beitrag der Forschungsspezialisierung und der Industrie- und Exportstruktur vernachlässigt (zu den verwendeten Indikatoren siehe Übersicht 1). Zudem wurde untersucht, ob der Einfluss dieser Determinanten im Zeitverlauf stabil ist.

Die entscheidenden langfristigen Bestimmungsgründe des Wirtschaftswachstums sind die Investitionsquote, die Forschungs- und Entwicklungsquote der Unternehmen, der High-Tech-Anteil der Forschungsausgaben und der Humankapitalbestand. Dabei nimmt der Einfluss der materiellen Investitionen im Zeitverlauf signifikant ab, jener von Forschung und Entwicklung nimmt zu. Immer mehr ist somit die Qualität des eingesetzten Kapitals und nicht sosehr seine Quantität ausschlaggebend.

Ähnlich ist eine Spezialisierung der Industrie auf Hochtechnologiebranchen (gemessen anhand der Wertschöpfungsanteile) wachstumsförderlich. Umgekehrt wirkt sich eine Spezialisierung auf den Bereich der Niedrigtechnologien negativ auf das BIP pro Kopf der Erwerbsfähigen aus. Wie der Wertschöpfungsanteil der Hochtechnologiesektoren hat die Veränderung des Anteils der Hochtechnologieexporte einen signifikant positiven Einfluss auf das Wirtschaftswachstum in den OECD-Ländern.

Darüber hinaus besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Veränderung des Humankapitalbestands und der Wachstumsrate des BIP pro Kopf der Erwerbsfähigen. Eine Ausweitung der Bildung um ein Jahr hat in den OECD-Ländern langfristig eine Steigerung des BIP pro Kopf der Erwerbsfähigen um durchschnittlich 6% bis 8% zur Folge, je nach Indikator für die Humankapitalinvestitionen. Für Österreich würde eine Steigerung der Akademikerquote auf OECD-Niveau einen langfristigen Anstieg des BIP pro Kopf der Erwerbsfähigen um 3,2% bewirken. Es ist jedoch schwierig, Bildung adäquat zu messen. Qualität und Struktur der Bildung (z. B. Anteil der Naturwissenschafter) dürften eine größere Rolle für das Wirtschaftswachstum spielen als die Zahl der Jahre, die im Schul- und Hochschulwesen verbracht werden.

Die Untersuchung zeigt weiters eine hohe Pfadabhängigkeit des Wachstums. Diese erklärt zwei Drittel der BIP-Entwicklung pro Kopf der Erwerbsfähigen in der Vergangenheit: Jene Volkswirtschaften, die in der Vergangenheit überdurchschnittlich rasch wuchsen, werden voraussichtlich auch in Zukunft einen Vorsprung halten. Wenn es aber gelingt, das Wachstum durch Innovation, Forschung und Bildung auf eine neue Stufe zu heben, dann bleibt es mit großer Wahrscheinlichkeit viele Jahre auf dem höheren Niveau. Dies würde somit nicht nur einen Niveausprung, sondern ein dauerhaft höheres Wirtschaftswachstum bringen. Die USA und die skandinavischen Länder können dafür als Beispiele herangezogen werden (Übersicht 1).

Empfehlungen

Für eine österreichische Wachstumsstrategie sind diese Ergebnisse von ausschlaggebender Bedeutung. Die Studie zeigt, dass die Pfadabhängigkeit des Wachstums in Österreich besonders ausgeprägt ist. Gemeinsam mit anderen Indikatoren lässt das auf einen unzureichenden Strukturwandel schließen: Österreich hat sich auf die Produktion von hoher Mitteltechnologie in höchster Qualität spezialisiert und ist auf diesem Gebiet international auch höchst erfolgreich, nicht zuletzt als Folge eines Rückgangs der relativen Lohnkosten. Der Hochtechnologiesektor ist jedoch zu klein und wächst im internationalen Vergleich zu langsam. Das gilt nicht nur für die Forschungs- und Entwicklungsausgaben in diesem Bereich, sondern auch für die Industriestruktur und die Exporte. Zwar nahm der Anteil der Forschungsausgaben im High-Tech-Bereich Anfang der neunziger Jahre kräftig zu. Dies ging jedoch nicht mit einer Zunahme des Wertschöpfungsanteils des High-Tech-Sektors einher.

Übersicht 1: Indikatoren zu den wichtigsten Wachstumsdeterminanten

Durchschnitt 2000/2004

 21 OECD-Länder3 EU-LänderÖsterreich
    
Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Unternehmen in % des BIP

1,3

2,4

1,4

Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Unternehmen im High-Tech-Sektor, Anteile an den gesamten Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Unternehmen in %

51,1

61,9

42,1

Wertschöpfung des High-Tech-Sektors in % der Wertschöpfung der Sachgütererzeugung insgesamt

12,7

17,3

10,3

Wertschöpfung des Medium-High-Tech-Sektors in % der Wertschöpfung der Sachgütererzeugung insgesamt

26,8

25,8

26,8

Investitionen in Ausrüstungen in % der Investitionen insgesamt

43,0

42,9

38,3

High-Tech-Investitionen in % der Investitionen insgesamt

15,6

13,9

High-Tech-Exporte in % der Warenexporte insgesamt

21,9

23,9

15,6

Wertschöpfung der wissensintensiven Dienstleistungen in % des BIP

20,3

17,7

19,6

Bildungsausgaben in % des BIP

6,1

6,7

5,7

Bevölkerung mit Hochschulabschluss in % der Bevölkerung im Alter des Bildungsabschlusses

32,2

42,1

19,0

Durchschnittliche Bildungsjahre der erwerbsfähigen Bevölkerung nach Barro - Lee

9,6

10,4

8,4

21 OECD-Länder: Australien, Belgien, Deutschland, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Portugal, Österreich, Schweden, Schweiz, Spanien, USA; 3 EU-Länder: Dänemark, Finnland, Schweden.

Der signifikante Einfluss der Hochtechnologie auf das Wirtschaftswachstum legt eine klare Empfehlung zur Steigerung der High-Tech-Förderung nahe. Österreich darf sich nicht weiter auf das mittlere Technologiesegment spezialisieren, weil die Länder Ost-Mitteleuropas und Asiens auf diesem Gebiet zunehmend konkurrenzfähig werden. Eine Verlagerung der Industriestruktur und der Forschungs- und Entwicklungsausgaben zum High-Tech-Sektor bringt langfristig höheres Wirtschaftswachstum, weil die Märkte für diese Produkte besonders rasch expandieren und weil hochentwickelte Industrieländer hier einen zeitweiligen Vorsprung ("Monopolstellung") gegenüber nachdrängenden Industrieländern erzielen können.

Die Forcierung der direkten Forschungs- und Entwicklungsförderung, der Betriebsansiedlungspolitik und der Förderung von Betriebsgründungen könnte Bestandteil einer High-Tech-Offensive sein. Ein weiterer Anknüpfungspunkt ist eine bessere Umsetzung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in neue Produkte, vor allem in radikale Innovationen und weniger in inkrementelle Innovationen. Beispiele für eine erfolgreiche High-Tech-Offensive sind die Marketingkampagne "Hightechfinland" (www.hightechfinland.com) und die High-Tech-Offensive des Freistaats Bayern.

Für die Diffusion neuer Technologien sind höhere Investitionen in Aus- und Weiterbildung dringend notwendig. Spezifische Technologieplanung und Bildungsplanung müssen Hand in Hand gehen. Wegen der abnehmenden Bedeutung von Anlageinvestitionen für das langfristige Wirtschaftswachstum sollte der Förderung der Forschungs- bzw. Innovationsaktivitäten Vorrang vor der traditionellen Investitionsförderung und den Bauinvestitionen gegeben werden.

Martin Falk, Fabian Unterlass, WIFO-Weißbuch: Mehr Beschäftigung durch Wachstum auf Basis von Innovation und Qualifikation. Teilstudie 1: Determinanten des Wirtschaftswachstums im OECD-Raum, WIFO-Studie im Auftrag von Wirtschaftskammer Österreich, Bundesarbeitskammer, Österreichischem Gewerkschaftsbund und Landwirtschaftskammer Österreich, mit finanzieller Unterstützung von Oesterreichischer Nationalbank, Androsch International Consulting, Investkredit, Gewerkschaft Metall – Textil, Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, Oberbank AG, D. Swarovski & Co, Rauch Fruchtsäfte Ges.m.b.H., November 2006, 60 Seiten, 40 Euro, Download 32 Euro: http://publikationen.wifo.ac.at/ pls/wifosite/wifosite.wifo_search.get_abstract_type?p_language=1&pubid=27440