20. Oktober 2006 • Warum wächst die Wirtschaft in Österreich rascher als in Deutschland? • Fritz Breuss

Deutschland und Österreich sind zwar wirtschaftlich immer noch eng miteinander verflochten. Dank EU-Mitgliedschaft, Ostöffnung und EU-Erweiterung hat sich die österreichische Wirtschaft aber zunehmend von der deutschen emanzipiert. Seit Anfang der neunziger Jahre übertrifft das Wirtschaftswachstum in Österreich jenes in Deutschland um rund ½ Prozentpunkt pro Jahr. Der Hauptgrund dieser Entwicklung dürfte in den Lasten der deutschen Wiedervereinigung liegen. Zum anderen konnten die Unternehmen in Deutschland offenbar weniger gut als in Österreich die durch die fortschreitende Integration Europas (Binnenmarkt und Währungsunion) und durch die EU-Erweiterung neu eröffneten Chancen ausschöpfen. Bereits die Ostöffnung 1989 hat für Österreich ein neues "Windows of Opportunities" geöffnet, das reichlich genutzt wurde. Teilweise dürfte auch die asymmetrische Architektur der Makropolitik der WWU Deutschland (zu hohe Realzinsen, Fiskalregeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes) vor größere Probleme stellen als Österreich.

Anhand eines umfangreichen Wirtschaftsvergleichs geht eine aktuelle Untersuchung des WIFO der Frage nach, warum die deutsche Wirtschaft seit Anfang der neunziger Jahre langsamer wächst als die österreichische. Grundsätzlich hinkt zwangsläufig jeder Vergleich der Position einer großen und einer kleinen Volkswirtschaft, weil man schwerlich Ungleiches vergleichen kann. Aufgrund der unterschiedlichen Größe entsprechen auch fast alle Absolutvergleiche (absolutes BIP, Marktanteil in der EU und in der Welt, Anteil an den ausländischen Direktinvestitionen usw.) ungefähr dem Bevölkerungsverhältnis beider Länder im Ausmaß von 1 : 10. Dennoch kann man große und kleine Volkswirtschaften hinsichtlich ihrer Entwicklung über die Zeit, also bezüglich ihrer Dynamik vergleichen. Daneben gibt es auch qualitative Indikatoren, die von der Größe eines Landes unabhängig sind. Dazu zählen z. B. die Einschätzung des "Glücks" von Ländern oder ihre "Wettbewerbsfähigkeit" oder sonstige Strukturindikatoren und qualitative Einschätzungen. In seiner "Weltkarte des Glücks" hat Adrian White, ein Psychologe der Universität Leicester, Österreich (nach Dänemark und der Schweiz) z. B. an die 3. Stelle gesetzt. Deutschland nimmt auf dieser Karte erst Rang 35 ein.

Deutschland ist zweifellos die führende Wirtschaftsmacht in der EU und als Mitglied der G 7 eine der führenden Wirtschaftsnationen der westlichen Welt. Viel größere Wirtschaftsmächte reifen mit China und Indien heran, doch haben sie wiederum schon im Hinblick auf die Zahl der Einwohner andere Dimensionen. Österreich und Deutschland sind in der EU stark verankert. Deutschland nahm als Gründerstaat der EWG an allen Integrationsschritten teil, Österreich ist seit 1995 EU-Mitglied und ist wirtschaftlich ebenfalls voll in die EU bis hin zur Teilnahme an der WWU integriert.

Die wirtschaftliche Dynamik unterscheidet sich zwischen beiden Ländern in den letzten 15 Jahren deutlich – Deutschland bleibt hier hinter dem kleineren Österreich zurück: Österreichs Volkswirtschaft wächst seit 1992 um mehr als ½ Prozentpunkt pro Jahr rascher als die deutsche. Die Gründe dafür sind vielfältig:

  • Einer der Hauptgründe dürfte in den Lasten der deutschen Wiedervereinigung liegen. Trotz massiver Transfers von West- nach Ostdeutschland kommen wenige Impulse aus Ostdeutschland. Die Nettotransfers von West- nach Ostdeutschland betrugen 1991 rund 56 Mrd. Euro und stiegen zuletzt auf 83 Mrd. Euro. Dies entsprach anfangs rund 52% und zuletzt (im Jahr 2003) 30% des BIP von Ostdeutschland bzw. in beiden Jahren rund 4% des BIP von Westdeutschland. Dennoch flachte das BIP-Wachstum in Ostdeutschland nach einem anfänglich positiven Impuls seit Mitte der neunziger Jahre deutlich ab, sodass die Raten teilweise sogar unter jenen Westdeutschlands lagen. Im Vergleich dazu wuchs die Wirtschaft in den Transformationsländern in Osteuropa – ohne vergleichbare Anstoßtransfers – nach einem Transformationsschock doppelt so rasch wie in Ostdeutschland.

  • Zum anderen konnte die Wirtschaft in Deutschland offenbar weniger gut als in Österreich die durch die fortschreitende Integration Europas (Binnenmarkt und Währungsunion) und durch die EU-Erweiterung neu eröffneten Chancen ausschöpfen. Bereits die Ostöffnung 1989 öffnete für Österreich ein neues "Windows of Opportunities", das reichlich genutzt wurde. Ob dies auf den "k&k"-Effekt allein zurückzuführen oder im Wesentlichen eine Folge der engen Nachbarschaft oder räumlichen Nähe zu den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOEL) ist, ist schwierig festzumachen.

  • Teilweise dürfte auch die asymmetrische Architektur der Makropolitik der WWU Deutschland (zu hohe Realzinsen, zu strikte Fiskalregeln im Stabilitäts- und Wachstumspakt) vor größere Probleme stellen als Österreich. Deutschland könnte dadurch zu einem suboptimalen Policy-Mix gezwungen worden sein, der bei autonom und flexibler gestalteter Geld- und Wirtschaftspolitik möglicherweise zu vermeiden gewesen wäre. Deutschland verfehlte seit 1992 laufend die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (Neuverschuldung des Staates über 3% des BIP), sodass seit 1993 gegen Deutschland ein Verfahren bei einem übermäßigen Defizit anhängig ist. Nicht zuletzt die andauernde Verletzung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes – vor allem durch Deutschland, aber teilweise auch durch Frankreich – erzwang 2005 eine Reform dieses Vertrags. Erst nach Bekanntgabe der nach oben korrigierten Budgetzahlen für 2006 (Defizit von 2,6% des BIP) setzte der Rat der Finanzminister (Ecofin) am 10. Oktober 2006 das Defizitverfahren gegen Deutschland aus.

  • Letztlich könnten auch die negativen strukturellen Folgen der Globalisierung (Outsourcing usw.), die von Hans-Werner Sinn mit der These von der "Basar-Ökonomie" charakterisiert werden, ein Grund für die Wachstumsschwäche in Deutschland sein. Da der Globalisierungseffekt aber gleichermaßen für Österreich gilt, kann die Wachstumsdifferenz zwischen beiden Ländern durch diese These kaum erklärt werden.

Die kräftig anziehende Konjunktur des Jahres 2006 lässt die Hoffnung zu, dass Deutschlands Wirtschaft wieder den Anschluss an das rasche Wachstum in den anderen EU-Ländern finden wird. Damit könnte Deutschland wieder die einer großen Wirtschaftsmacht zukommende "Lokomotivfunktion" für die Partnerstaaten übernehmen. Allerdings erwarten alle Prognoseinstitutionen im kommenden Jahr wegen der Anhebung des Mehrwertsteuersatzes von 16% auf 19% eine Dämpfung der Inlandsnachfrage und damit eine Wachstumsverlangsamung, da der aktuelle Aufschwung zum großen Teil den Vorzieheffekten im privaten Konsum zuzuschreiben ist.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte folgendem WIFO Working Paper: Fritz Breuss, Warum wächst die Wirtschaft in Österreich rascher als in Deutschland? (88 Seiten, kostenloser Download: http://publikationen.wifo.ac.at/pls/wifosite/wifosite.wifo_search.frameset?p_filename=WIFOWORKINGPAPERS/PRIVATE31412/WP_2006_280$.PDF).