1. Dezember 2005 • Einfluss der Haus- und Wohnungspreise auf das Wirtschaftswachstum • Markus Marterbauer, Ewald Walterskirchen

Die Wachstumsunterschiede zwischen den EU-Staaten in den Jahren 1995 bis 2003 dürften in beträchtlichem Maß auf die Entwicklung der Haus- und Wohnungspreise und deren Einfluss auf den Wohnbau und den privaten Konsum zurückgehen. Der Anstieg der Haus- und Wohnungspreise zog in den angelsächsischen und nordeuropäischen Ländern eine Steigerung der Wohnbautätigkeit nach sich und belebte über Vermögenseffekte auch die Konsumausgaben. Langfristig ist jedoch kein Effekt auf das Wirtschaftswachstum zu erwarten, weil ein starker Anstieg der Immobilienpreise meist einen Einbruch mit entsprechend negativen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen nach sich zieht.

Die Entwicklung der Haus- und Wohnungspreise hatte in den letzten zehn Jahren erheblichen Einfluss auf die Wachstumsunterschiede zwischen den EU-Staaten. In den angelsächsischen und skandinavischen Ländern sowie in Spanien stiegen die Hauspreise kräftig (+9% p. a.); das gab dem privaten Konsum und dem Wohnbau in diesen Ländern starken Auftrieb. In Mitteleuropa fehlte dieser wichtige Anreiz, die Haus- und Wohnungspreise stagnierten (+1% p. a.).

In den angelsächsischen und nordeuropäischen Ländern ist – insbesondere bei einer deutlichen Anhebung der Zinssätze – in den kommenden Jahren aufgrund der Stagnation bzw. des Rückgangs der Haus- und Wohnungspreise eine Abschwächung des Wohnbau- und Konsumbooms zu erwarten. In längerfristiger Perspektive ist also die Wirtschaftslage in Deutschland und Österreich relativ zum EU-Durchschnitt günstiger, als sie in den Wachstumsvergleichen der letzten zehn Jahre erscheint.

Die Hauptursachen für den steilen Anstieg der Haus- und Wohnungspreise seit 1995 lagen in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern im vorhergehenden Preiseinbruch, in der Zunahme der Nachfrage nach Wohnungen und in den besonders niedrigen Realzinssätzen. Die Konjunkturimpulse durch den Wertgewinn von Wohnimmobilien sind jedoch nur kurz- bis mittelfristig, langfristig besteht kein Zusammenhang zwischen Hauspreisen und Wirtschaftswachstum. Ähnlich wie die Aktienbörsen sind auch die Hypothekarmärkte durch ein "Überschießen" charakterisiert: Auf eine Periode des steilen Anstiegs der Immobilienpreise folgt ein Einbruch mit entsprechend negativen Auswirkungen auf den privaten Konsum und die Gesamtwirtschaft.

Zu einem erheblichen Teil hängen die Unterschiede zwischen den Ländergruppen mit dem Finanzmarktsystem zusammen: Während die angelsächsischen und nordeuropäischen Länder (mit Ausnahme Finnlands) über liquide Aktien- und Immobilienmärkte mit hoher Volatilität verfügen, werden in Mitteleuropa (mit Ausnahme der Schweiz) Finanztransaktionen stärker über Banken abgewickelt. Daraus ergeben sich weitere Unterschiede zwischen den zwei Ländergruppen:

  • In Ländern mit marktdominiertem Finanzmarktsystem wird der Wohnbau überwiegend durch Hypothekarkredite mit flexiblen Zinssätzen finanziert; die aktuellen Zinssätze haben großen Einfluss auf den Wohnungsneubau. Hauspreise und Wohnbau weisen deshalb ausgeprägte zyklische Schwankungen auf, das Eigentum an Häusern und Wohnungen überwiegt. Weil der Einkaufsrahmen von Kreditkarten in diesen Ländern auch am Vermögen orientiert ist, erhöhen die Wertsteigerungen von Häusern und Wohnungen die Konsummöglichkeiten. Der Anstieg der Haus- und Wohnungspreise (sowie der Aktienkurse) trug in den USA, in Großbritannien und Skandinavien entscheidend zum Rückgang der Sparquote bei und begünstigte den privaten Konsum nachhaltig (1995/2003 +3¼%, Mitteleuropa +1½%).

  • In Mitteleuropa spielen für die Wohnbaufinanzierung dagegen fixe langfristige Zinssätze eine besondere Rolle, Miet- und Eigentumswohnungen in mehrgeschoßigen Bauten haben ein höheres Gewicht als in der ersten Ländergruppe. Änderungen der Haus- und Wohnungspreise beeinflussen den Wohnbau und den privaten Konsum langfristig viel schwächer. In den Jahren 1995 bis 2003 drückte die Stagnation der Nachfrage sowie der Haus- und Wohnungspreise die Wohnbauinvestitionen in Mitteleuropa (–1% p.a.), in den angelsächsischen und nordeuropäischen Ländern wurde dagegen um 3,7% p. a. mehr in Häuser und Wohnungen investiert.

Gleichzeitig ist jedoch die Volatilität von Konsum und Wohnbau in den angelsächsischen und nordeuropäischen Ländern deutlich höher als in Mitteleuropa. Ein starker Anstieg der Immobilienpreise zieht in der Regel einen Einbruch der Preise nach sich. Flexible Hauspreise und Hypothekarmärkte sollten deshalb nicht als Instrument zur langfristigen Steigerung des Wirtschaftswachstums verstanden werden. Der Zusammenbruch der Spekulationsblase kann schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft haben, wie die Entwicklung in Japan, Großbritannien und Skandinavien Anfang der neunziger Jahre zeigt. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Zinspolitik: Ein plötzlicher starker Zinsanstieg kann einen Zusammenbruch auf dem Immobilienmarkt zur Folge haben, eine vorsichtige Zinspolitik dagegen ein "soft landing".

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 11/2005 oder der folgenden WIFO-Studie: Markus Marterbauer, Ewald Walterskirchen, Einfluss der Haus- und Wohnungspreise auf Wirtschaftswachstum und Inflation (im Auftrag der Oesterreichischen Nationalbank, 50 Seiten, 30,00 Euro, Download 24,00 Euro: http://publikationen.wifo.ac.at/pls/wifosite/wifosite.wifo_search.get_abstract_type?p_language=1&pubid=25691)!