26. September 2005 • Langfristige Tendenzen der Einkommensverteilung in Österreich • Alois Guger, Markus Marterbauer

Die Verteilung der Bruttoeinkommen wurde in Österreich in den letzten Jahrzehnten ungleicher. Dies gilt sowohl für die Verteilung innerhalb der unselbständig Beschäftigten als auch zwischen den Lohneinkommen einerseits und Einkommen aus Besitz und Unternehmung andererseits. Die ungünstige Lage auf dem Arbeitsmarkt verbunden mit der Zunahme von Teilzeit- und geringfügiger Beschäftigung spielt für die Ausweitung der Einkommensunterschiede eine wesentliche Rolle. Das Abgabensystem hat kaum umverteilende Wirkung, hingegen sind von den Ausgaben des Sozialstaates vor allem die unteren Einkommensschichten begünstigt.

Eine "gerechte" Einkommensverteilung ist ein wesentliches Element der traditionellen Ziele des "magischen Vielecks der Wirtschaftspolitik" und eine wichtige Determinante der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Allerdings ist die Zielerreichung schwierig zu beurteilen, denn die Entwicklung der Einkommensverteilung ist als Thema wissenschaftlicher Untersuchungen in Österreich in den Hintergrund gerückt. Dies hängt auch mit dem Fehlen aktueller und vergleichbarer Datengrundlagen zusammen. Besonders in Bezug auf die Entwicklung der Gewinn- und Besitzeinkommen hat sich die Datenbasis seit 1997 (Einstellung der Statistik) weiter verschlechtert. Die vorliegende Arbeit untersucht auf Basis unterschiedlicher Datenquellen die langfristigen Trends der Einkommensverteilung. In der Analyse der personellen Einkommensverteilung muss sie sich auf die Unselbständigeneinkommen beschränken.

Die Ungleichheit der Verteilung der Bruttoeinkommen zwischen den unselbständig Beschäftigten weitete sich in den letzten drei Jahrzehnten deutlich aus. Das zeigen sowohl die Daten des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger als auch die Lohnsteuerstatistik. In nur zwei Phasen blieb die Verteilung der Bruttobezüge unverändert oder wurde sogar gleichmäßiger: in der ersten Hälfte der siebziger Jahre aufgrund des Arbeitskräftemangels und in den Jahren 1991 und 1992, als die Gewerkschaften auch dank der Hochkonjunktur verstärkt eine Anhebung der Mindestlöhne erreichten.

Zur Zunahme der Ungleichheit der Verteilung der Bruttobezüge trug vor allem eine hohe Dynamik an den Rändern der Verteilung bei: Die Bezüge stiegen in den obersten Einkommensgruppen kräftig (das 5. Quintil bezog laut Lohnsteuerstatistik im Jahr 2003 46,1% der gesamten unselbständigen Einkommen), während die unteren Einkommensgruppen zurückfielen (das 1. Quintil erreichte 2003 nur noch 2,3% der Einkommen). Die starke Ausweitung der Teilzeitarbeit und geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse in den unteren Einkommensschichten trägt statistisch wesentlich dazu bei, dass sich die Ungleichheit in der Einkommensverteilung ausweitet.

Zugleich bleiben die Einkommen von Frauen merklich hinter jenen der Männer zurück. Im Jahr 2003 lagen sie im Durchschnitt bei 67,2% der Männereinkommen; der Abstand war damit um 1½ Prozentpunkte größer als Mitte der neunziger Jahre. Während im öffentlichen Dienst die Fraueneinkommen relativ nahe an jene der Männer herankommen (80,9%), ist der Rückstand in der Privatwirtschaft sehr groß (Einkommen der Arbeiterinnen 61,7%, der angestellten Frauen 59,5% der jeweiligen Männereinkommen). Im unteren Einkommensbereich (an der Grenze vom 1. zum 2. Quartil) ist der Rückstand der Fraueneinkommen deutlich höher und wächst weiter, während er im oberen Einkommens- und Bildungssegment stabil ist.

Die Unterschiede zwischen der geleisteten Wochenarbeitszeit erklären etwa die Hälfte des Einkommensrückstands der Frauen – sie stellen in Österreich immer noch den Großteil der Teilzeitarbeitskräfte: 37,1% der Frauen sind teilzeitbeschäftigt, jedoch nur 3,9% der Männer. Wegen dieses relativ großen Teilzeitanteils und der häufigen Berufsunterbrechungen sind die Aufstiegschancen von Frauen im Allgemeinen geringer als die der Männer – ein weiterer wichtiger Grund für den Einkommensrückstand. In typischen "Männerbranchen" sind zudem die Einkommen meist merklich höher als in "Frauenbranchen".

Das mittlere Einkommen betrug in der Gesamtwirtschaft im Jahr 2003 1.944 Euro brutto pro Monat. In der Mineralölindustrie war es doppelt so hoch, in der Elektrizitätswirtschaft um zwei Drittel höher. Auch die erfolgreiche Exportindustrie mit hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad (Papier-, Chemieindustrie, Maschinen- und Fahrzeugbau, Metall- und Elektroindustrie) zahlt Einkommen deutlich über dem Durchschnitt. Im Dienstleistungssektor sind die Einkommen nur im Bank- und Versicherungswesen ähnlich hoch. Hingegen bleiben der Handel, das Unterrichts- und Gesundheitswesen, das Beherbergungs- und Gaststättenwesen, aber auch die Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie deutlich hinter dem Medianeinkommen zurück.

Die Entwicklung des Wohlstands lässt sich weniger anhand der Bruttobezüge als anhand der verfügbaren Einkommen nach Umverteilung des Staates durch Abgaben und Transfers beurteilen. Über direkte Steuern und Beiträge verteilt der Staat in Österreich nur in geringem Ausmaß um – die Belastung durch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge entspricht nahezu einem Flat-Rate-System. Die Nettorealeinkommen der unselbständig Beschäftigten sanken nach den Daten der Lohnsteuerstatistik von 1995 bis 2003 im Durchschnitt um 2,4%, in den untersten 40% der Verteilung sogar um 14%, während die Einkommen in den obersten Kategorien stiegen. Die unteren Einkommen verloren vor allem Mitte der neunziger Jahre. Die Nettorealeinkommen je ganzjährig Beschäftigte blieben von 1995 bis 2003 unverändert (–0,1%). Die Sozialausgaben üben hingegen einen sehr starken Umverteilungseffekt aus. Die letzte umfassende Untersuchung der Verteilungswirkungen des Staates liegt lange zurück, doch zeigen Mikrozensusdaten für die neunziger Jahre, dass auf Haushaltsebene monetäre Sozialtransfers einen erheblichen Teil der Zunahme der Ungleichheit in der Primärverteilung korrigierten.

In den letzten Jahrzehnten erhöhte sich nicht nur die Ungleichheit der Verteilung der Einkommen zwischen den unselbständig Beschäftigten, sondern auch zwischen den Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit und jenen aus Besitz und Unternehmung. Der Lohnanteil am Volkseinkommen sank (bereinigt um die Veränderung des Anteils von Selbständigen und unselbständig Beschäftigten) von 72% Ende der siebziger Jahre auf 58% im Jahr 2004. Dies ist vor allem ein Ergebnis der Zunahme der Arbeitslosigkeit und des raschen Wachstums der Vermögenseinkommen. Hohe Arbeitslosigkeit dämpft die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften – ein Anstieg der Arbeitslosenquote um 1 Prozentpunkt hat einen Rückgang der Lohnquote um mehr als 1 Prozentpunkt zur Folge. Innerhalb der Nichtlohnelemente des Volkseinkommens stiegen vor allem die Einkommen aus Finanz- und Immobilienvermögen und jene der Freiberufler. Langfristig profitieren diese Einkommensgruppen stark von der Entwicklung der Einkommensverteilung, während die Angehörigen der unteren Einkommensschichten, die oft durch ungenügende Qualifikation benachteiligt sind, verlieren.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 9/2005!