1. Juli 2005 • Prognose für 2005 und 2006: Neuerliche Wachstumsverlangsamung • Markus Marterbauer

Das Wirtschaftswachstum wird sich heuer auf nur 1,8% abschwächen, für das kommende Jahr zeichnet sich keine Erholung ab; die Konjunkturprognose für 2006 ist gegenwärtig allerdings besonders unsicher. Derzeit lassen die Impulse vom Export nach, Konsum und Investitionen beleben sich nicht. Die starke Ausweitung des Arbeitskräfteangebotes hat trotz des merklichen Beschäftigungswachstums einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge. Ein Konjunkturrisiko besteht im hohen Erdölpreis – er bewirkt zusammen mit hausgemachten Faktoren heuer eine relativ hohe Inflationsrate (2,5%). Die Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar wird die europäische Exportindustrie begünstigen.

Das WIFO hat in seiner Frühjahrsprognose auf die erhöhten Konjunkturrisken hingewiesen; nun mehren sich die Anzeichen, dass diese schlagend werden: Im Euro-Raum lassen die positiven Wachstumsimpulse aus dem Export nach, die Binnennachfrage bleibt aufgrund der hohen Verunsicherung von Konsumenten und Investoren schwach. Die Prognose unterstellt eine Zinssenkung der EZB. Die Wirtschaftspolitik zeigt sich im Euro-Raum insgesamt allerdings nicht in der Lage, den Problemen unzureichender Inlandsnachfrage und eines niedrigen Wachstumspfades wirkungsvoll zu begegnen. Die Wirtschaft des Euro-Raums wächst deshalb heuer real um nur 1½%. Sie befindet sich im fünften Jahr einer Wachstumsschwäche, die lediglich von kurzen exportgetriebenen Erholungsphasen unterbrochen wurde. Die Veränderungen der Rahmenbedingungen der letzten drei Monate – Anstieg der Rohölpreise und Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar – dürften die Wirtschaft im Euro-Raum und in Österreich mittelfristig per Saldo leicht begünstigen.

Österreich weist ein ähnliches Konjunkturmuster auf wie der Euro-Raum. Das BIP lag im I. Quartal 2005 real um 2% über dem Vorjahresniveau, aber um nur 0,2% über dem Vorquartal. Export und Industrieproduktion, die im Vorjahr die Expansion getragen hatten, verlieren an Dynamik. Der Anstieg der Warenausfuhr dürfte sich heuer verringern (real +4,2%), weil die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bei wichtigen Handelspartnern wie Italien und Deutschland zur Schwäche neigt. Österreichs Exporteure verlieren in den neuen EU-Ländern seit einigen Jahren von hohem Niveau aus Marktanteile, sollten mittelfristig aufgrund ihrer hohen preislichen Wettbewerbsfähigkeit aber weiter Marktanteile gewinnen.

Gebremst vom Nachlassen der Auslandsnachfrage stagnierte die Wertschöpfung in der Sachgütererzeugung im I. Quartal 2005 saisonbereinigt. Der WIFO-Konjunkturtest lässt keine weitere Dämpfung erwarten, weist derzeit aber auch nicht auf eine rasche Erholung der Industriekonjunktur hin. Im Jahresdurchschnitt 2005 wird eine Ausweitung der Produktion um real 3% erwartet; damit wird die Sachgütererzeugung auch heuer einen wesentlichen Beitrag zum BIP-Wachstum leisten. Eine Verschlechterung der Export- und Industriekonjunktur veranlasst die Unternehmen zur Zurückhaltung in der Investitionstätigkeit. Viele Projekte wurden zudem aus steuerlichen Gründen in das Jahr 2004 vorgezogen. Die Ausrüstungsinvestitionen steigen deshalb heuer um nur 1½%.

Übersicht 1: Hauptergebnisse der Prognose

 200120022003200420052006
 Veränderung gegen das Vorjahr in %
Bruttoinlandsprodukt      
  Real

+0,7

+1,2

+0,8

+2,2

+1,8

+1,9

  Nominell

+2,5

+2,5

+2,3

+4,1

+3,9

+3,8

Sachgütererzeugung1), real

+2,2

+0,5

+0,2

+5,1

+3,0

+3,4

Handel, real

+2,4

+2,2

+0,4

+1,2

+1,5

+1,8

Private Konsumausgaben, real

+1,0

–0,1

+0,6

+1,5

+1,5

+1,8

Bruttoanlageinvestitionen, real

–2,1

–3,4

+6,2

+3,6

+1,8

+2,7

  Ausrüstungen2)

+1,6

–6,5

+5,1

+7,0

+1,5

+3,5

  Bauten

–5,0

–0,8

+7,0

+0,8

+2,0

+2,0

Warenexporte3)

 

 

 

 

 

 

  Real

+6,3

+4,3

+2,5

+13,1

+4,2

+5,5

  Nominell

+6,5

+4,2

+1,9

+13,9

+5,6

+6,0

Warenimporte3)

 

 

 

 

 

 

  Real

+5,5

+0,3

+6,8

+10,4

+2,6

+5,0

  Nominell

+5,0

–2,0

+5,0

+12,5

+4,7

+5,7

Leistungsbilanzsaldo, Mrd. Euro

–4,13

+0,75

–1,17

+0,75

+1,57

+1,42

  In % des BIP

–1,9

+0,3

–0,5

+0,3

+0,6

+0,6

Sekundärmarktrendite4), in %

5,1

5,0

4,2

4,2

3,3

3,5

Verbraucherpreise

+2,7

+1,8

+1,3

+2,1

+2,5

+1,9

Arbeitslosenquote

 

 

 

 

 

 

  In % der Erwerbspersonen (Eurostat)5)

3,6

4,2

4,3

4,5

4,6

4,6

  In % der unselbständigen Erwerbspersonen6)

6,1

6,9

7,0

7,1

7,2

7,3

Unselbständig aktiv Beschäftigte7)

+0,4

–0,5

+0,2

+0,7

+0,9

+0,6

Finanzierungssaldo des Staates
(laut Maastricht-Definition), in % des BIP

+0,3

–0,2

–1,1

–1,2

–1,9

–1,9

 1) Nettoproduktionswert, einschließlich Bergbau. –  2) Einschließlich sonstiger Anlagen. –  3) Laut Statistik Austria. –  4) Bundesanleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren (Benchmark). –  5) Labour Force Survey. –  6) Laut Arbeitsmarktservice. –  7) Unselbständig Beschäftigte ohne Bezug von Karenz- bzw. Kinderbetreuungsgeld, ohne Präsenzdienst, ohne in der Beschäftigungsstatistik erfasste arbeitslose Schulungsteilnehmer.

Günstiger entwickelt sich die Baukonjunktur. Sie profitiert von einer neuerlichen Ausweitung der Mittel für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, vor allem für den Straßenbau. Zudem kündigt sich eine Erholung von Wohnungsneubau und Renovierungsbau an. Die Wertschöpfung wird in der Bauwirtschaft heuer und 2006 real um 2% zunehmen.

Die merkliche Verteuerung von Rohöl auf den Weltmärkten und einige hausgemachte Faktoren wie der Anstieg des Wohnungsaufwands und die Anhebung der Tabaksteuer treiben die Inflationsrate nach oben; sie wird heuer 2,5% erreichen. Damit wurden bislang die positiven Effekte der Steuerreform auf das verfügbare Realeinkommen kompensiert. Im 2. Halbjahr könnten sie etwas stärker zum Tragen kommen. Ob angesichts der Ausweitung der verfügbaren Einkommen der Konsum oder das Sparen gesteigert wird, hängt von der Konsumentenstimmung ab. Im Jahresdurchschnitt könnten die Nettorealeinkommen je Arbeitnehmer heuer um 0,7% wachsen; sie verringerten sich allerdings seit 1995 um fast 3%. Das WIFO erwartet für das Jahr 2005 einen Anstieg der realen Konsumausgaben um 1,5%. Gleichzeitig wird sich die Sparquote leicht von 8,9% auf 9,3% der verfügbaren Einkommen erhöhen. Unter der Bedingung einer Beruhigung der Erdölpreise könnte die Inflationsrate 2006 auf 1,9% sinken. Gleichzeitig schwächen sich die Effekte der Steuerreform ab, sodass sich das Wachstum der Konsumausgaben nur leicht auf 1¾% beschleunigen dürfte.

Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wird seit mehreren Jahren von der starken Ausweitung des Arbeitskräfteangebotes bestimmt. Es wird 2006 um 150.000 Personen größer sein als im Jahr 2000. Zu einem Zustrom aus den neuen EU-Ländern und – seit die "Hartz-IV"-Reformen wirksam werden – auch aus Deutschland kommen die Effekte von umfangreichen Einbürgerungen und der Anhebung des Frühpensionsalters. Die Zahl der aktiv Beschäftigten wächst in Relation zum schwachen Wirtschaftswachstum kräftig. Sie wird 2006 um gut 90.000 höher sein als im Jahr 2000. Heuer steigt nicht nur die Zahl der Teilzeitarbeitsstellen, die überwiegend durch Frauen besetzt werden, sondern auch jene der Vollzeitarbeitsplätze, die vor allem Männern zugute kommen. Neue Arbeitsplätze entstehen im Sozialwesen, in der Datenverarbeitung, bei Arbeitsverleihern und im Handel. Die Beschäftigungsquote wird 63% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter laut österreichischer Definition und gut 68% laut Eurostat betragen. Der Beschäftigungsanstieg reicht aber nicht aus, um das erhöhte Arbeitskräfteangebot aufzunehmen. Deshalb wächst die Zahl der Arbeitslosen. Sie hat sich seit dem Jahr 2000 um 50.000 erhöht und wird 2005 und 2006 kumuliert weiter um 11.000 auf 255.000 steigen. Die Arbeitslosenquote erreicht 7,3% der unselbständigen Erwerbspersonen laut traditioneller österreichischer Berechnungsmethode bzw. 4,6% der Erwerbspersonen laut Eurostat.

Hohe Unternehmensgewinne lassen das Steueraufkommen heuer etwas rascher wachsen als angenommen. Das Budgetdefizit wird aufgrund der Belastungen durch die Konjunkturschwäche auch im kommenden Jahr bei 1,9% des BIP verharren.

Hintergrund der Beurteilung der Wirtschaftsentwicklung sind derzeit sehr unterschiedliche Signale der Konjunkturindikatoren und eine erhebliche Datenunsicherheit. Die Prognoserisken liegen heuer eher in einer ungünstigeren Entwicklung als hier angenommen, der Ausblick auf das Jahr 2006 ist besonders vage. Die Prognose unterstellt, dass sich das Wachstum bei knapp 2% stabilisiert. Die Steuerreform 2005 und das "Wachstumspaket" von Anfang Mai bringen positive Impulse mit sich und könnten dazu beitragen, dass die österreichische Wirtschaft heuer und im kommenden Jahr geringfügig rascher wächst als im Durchschnitt des Euro-Raums. Die Dynamik ist damit auch merklich höher als bei den zwei wichtigsten Handelspartnern Deutschland und Italien, allerdings weiterhin schwächer als in den skandinavischen Ländern.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 7/2005!