2. November 2004 • Wettbewerb, Wettbewerbspolitik und Wirtschaftswachstum. Theoretische Grundlagen und empirische Evidenz für Österreich • Michael Böheim

Seit Mitte der neunziger Jahre hat sich der Wettbewerb auf den Produktmärkten in Österreich, angetrieben durch wettbewerbsorientierte Strukturreformen, deutlich belebt. Österreich rangiert hinsichtlich der Produktmarktregulierung nunmehr im Mittelfeld internationaler Vergleiche. Wie in anderen kleinen Volkswirtschaften liegt die Marktkonzentration in Österreich über dem Durchschnitt.

Die Erfahrungen mit der Liberalisierung von Netzwerkbranchen sind uneinheitlich: Während der Wettbewerb auf den Telekommunikationsmärkten durch die Implementierung eines Regulierungsregimes, das den Dienstleistungswettbewerb forciert, eine deutliche Verbilligung für die Konsumenten brachte, blieb die "Liberalisierungsdividende" auf den Energiemärkten aufgrund der Erhöhung von Steuern und Abgaben sowie wegen hoher Netzgebühren deutlich unter den ökonomischen Möglichkeiten und unter den von der Politik geweckten Erwartungen. Darüber hinaus wirkten Konzentrationsprozesse in Form von Fusionen der Entwicklung eines funktionierenden Wettbewerbs auf den österreichischen Energiemärkten entgegen.

Unter diesen geänderten Rahmenbedingungen wuchs Österreichs Wirtschaft in den letzten zehn Jahren etwa gleich rasch wie der Durchschnitt der EU-Länder. Um den Wachstumsvorsprung der siebziger und achtziger Jahre wieder herzustellen, erscheinen – neben einer Steigerung der Investitionen in Forschung, Ausbildung und Infrastruktur – weitere wettbewerbsorientierte Politikmaßnahmen dringend erforderlich. Eine wachstumsorientierte Wettbewerbspolitik hat in Österreich aufgrund hochkonzentrierter Marktstrukturen vergleichsweise großen Spielraum, wie theoretische Erkenntnisse und die empirische Evidenz belegen:

  • Wettbewerbspolitik sollte nicht am Ziel perfekten Wettbewerbs per se ausgerichtet sein, sondern vielmehr an funktionierendem Wettbewerb. In Abhängigkeit von den Marktbedingungen (z. B. technologische Basis, Skalen- und Verbundvorteile, Netzwerkeffekte, Ein- und Austrittsbarrieren) können deshalb auch oligopolistische Marktstrukturen gerechtfertigt sein, wenn die Stückkosten mit steigender Produktion sinken oder eine größere Zahl von Teilnehmern Systemvorteile bringt (Netzwerkeffekte). Sie bedürfen allerdings einer entsprechenden Regulierung und einer effektiven Missbrauchsaufsicht. Sowohl die ökonomische Theorie als auch die empirische Evidenz sprechen grundsätzlich gegen "enge Oligopole", da eine wohlfahrtsmaximierende Feinabstimmung solcher hochkonzentrierter Marktstrukturen aufgrund von Informationsdefiziten schwierig ist. Wettbewerbspolitisch sind deshalb "weite Oligopole" – Märkte mir mehr als fünf unabhängigen Marktteilnehmern mit bedeutendem Marktanteil – zu bevorzugen.

  • Die Wettbewerbspolitik benötigt einen dynamischen Ansatz, der sowohl kurzfristige als auch langfristige Effekte berücksichtigt. Da eine Intensivierung des Wettbewerbs eine Zunahme der Marktkonzentration (und damit eine Verringerung des Wettbewerbs) zur Folge hat, steht die Wettbewerbspolitik in diesem Zusammenhang vor einer besonderen Herausforderung.

  • Jene Märkte, auf denen Unternehmen durch wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen eine marktbeherrschende Stellung erworben haben oder aufrecht erhalten, sollten von der Wettbewerbspolitik besonders interessiert beobachtet werden. Marktmacht, die ausschließlich das Ergebnis von unternehmerischen Innovationsaktivitäten ist, erfordert hingegen keine Intervention der Wettbewerbspolitik.

  • Die Wettbewerbspolitik soll sich zudem besonders auf hochkonzentrierte Märkte (Quasi-Monopole, enge Oligopole) konzentrieren, während vergleichsweise zersplitterte Märkte (weite Oligopole) wettbewerbspolitisch weitgehend unproblematisch sind. Sowohl die Spieltheorie als auch die empirische Forschung unterstützen diese Forderung, indem sie zeigen, dass auf Märkten mit weniger als fünf starken unabhängigen Konkurrenten Kollusion und wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen deutlich wahrscheinlicher sind als auf Märkten mit vielen Mitbewerbern.

  • Aktuelle empirische Forschungsergebnisse belegen schließlich, dass das Optimum der Wettbewerbsintensität sehr nahe an der vollständigen Konkurrenz liegt. Eine innovations- und wachstumsorientierte Wettbewerbspolitik hat demnach vergleichsweise großen Spielraum. Dass eine Intensivierung des Wettbewerb der Volkswirtschaft schadet, ist dagegen für die meisten Märkte sehr unwahrscheinlich. Das gilt insbesondere für kleine offene Volkswirtschaften wie Österreich mit teils hochkonzentrierten Märkten (Quasi-Monopole, enge Oligopole). In vielen Fällen ist diese Konzentration weniger das ökonomisch gerechtfertigte Resultat herausragender unternehmerischer Innovationsleistungen als vielmehr das Ergebnis einer Industrie- und Wettbewerbspolitik, die im Bestreben "nationale Champions" zu schaffen, Arbeitsplätze zu sichern usw. die Fusionskontrolle nur unzureichend wahrgenommen hat.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 10/2004!