4. Mai 2004 • Gewinner und Verlierer der Handelsintegration mit den 10 EU-Beitrittsländern • Yvonne Wolfmayr

Die Beitrittsländer stehen der österreichischen Industrie als Markt mit neuen und wachsenden Absatzchancen, als Konkurrenten und als kostengünstige Partner in einer vertikalen internationalen Arbeitsteilung gegenüber. Vor allem die technologieorientierten, skillintensiven und qualitätsorientierten Branchen haben die Chancen auf diesen Märkten bisher gut genutzt. Die positiven Impulse daraus unterstützen den Strukturwandel in Richtung anspruchsvoller Produkte, wie er für die mittel- bis langfristige Erhaltung und Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft unerlässlich ist.

Österreich zählt in der bisherigen Handelsintegration mit den 10 neuen EU-Ländern insgesamt zu den Gewinnern. Gemäß den Simulationsanalysen des WIFO waren die Effekte der Ostöffnung bzw. der EU-Osterweiterung für die österreichische Wirtschaft auf makroökonomischer Ebene vorwiegend positiv. Die Mehrheit der österreichischen Unternehmen hat sich damit an die neuen Bedingungen gut angepasst und die Chancen genutzt; die positive Gesamtbewertung verdeckt aber die teilweise großen Anpassungsprobleme in einigen der weniger wettbewerbsfähigen Produktbereiche.

Die Beitrittsländer stehen der österreichischen Industrie dabei in dreifacher Weise gegenüber: als Markt mit neuen und wachsenden Absatzchancen, als Konkurrenten und als kostengünstiger Partner in einer vertikalen internationalen Arbeitsteilung zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit der Produkte auf dem Weltmarkt. Seit Mitte der neunziger Jahre wird der Trend zum verstärkten Vorleistungsbezug im Rahmen des internationalen Outsourcing in die Beitrittsländer immer deutlicher; mit der Erweiterung verringern sich die Transaktionskosten weiter, "Just-in-Time"-Lieferungen sind noch einfacher umzusetzen.

Die österreichische Industrie nutzte die Exportchancen seit der Ostöffnung vor allem in jenen Bereichen gut, die in einer Integration zwischen Ländern mit unterschiedlichem Entwicklungsniveau Vorteile zu erwarten haben (technologieorientierte, werbeintensive, skillintensive und qualitätsorientierte Branchen). Dazu zählen insbesondere die Herstellung von Büromaschinen und Datenverarbeitungsgeräten, der sonstige Maschinenbau sowie die Herstellung von medizinischen Geräten, Mess-, Kontrollinstrumenten und Vorrichtungen, aber auch die Bereiche Chemie, Nachrichtengeräte, Verlags- und Druckindustrie sowie die Lederindustrie. Die Handelsbilanzsalden sind durchwegs positiv und der relative Exportüberschuss jeweils deutlich höher als im österreichischen Außenhandel insgesamt.

Im Außenhandel mit den Beitrittsländern setzten sich aber auch Teile der Industrie gut durch, deren Branchenmerkmale nicht unbedingt Vorteile erwarten ließen. Dazu zählen die Kunststoffindustrie, die Nahrungsmittelindustrie, die Papierindustrie und auch die Textilindustrie; sie erzielen jeweils hohe Exportüberschüsse.

Einige dieser Branchen büßen mittelfristig Handelsvorteile ein, weil entweder der Import von Vorleistungen und Zwischenprodukten aus den Beitrittsländern im Zuge einer intensivierten Arbeitsteilung ausgeweitet wird oder die Importe von Endprodukten einer Branche aus den Beitrittsländern wettbewerbsfähiger werden. Dabei zeigt sich allgemein ein Aufholprozess in der Angebotsstruktur der Beitrittsländer: In den Bereichen Büromaschinen, Medizintechnik, Verlags- und Druckwesen sowie Herstellung von Kunststoffen erscheinen Anbieter aus den Beitrittsländern vermehrt konkurrenzfähig. Während dabei aber aus den Beitrittsländern häufig Produkte mit niedrigerem Preis oder geringerer Qualität als aus Österreich kommen, ist die Medizintechnik schon jetzt durch einen Austausch von Gütern gleicher Qualität gekennzeichnet. Im Maschinenbau und in der Papierindustrie geht der Verlust von Handelsvorteilen vor allem auf den kräftigen Zuwachs des Imports von Zwischenprodukten aus den Beitrittsländern zurück. Ausgebaut wurden die Handelsvorteile in den Branchen Chemie, Nachrichtengeräte, Leder, Textil und Nahrungsmittel.

Im Außenhandel mit den Beitrittsländern waren die Bekleidungsindustrie, die Holzindustrie, die Metall- sowie die Baustoffindustrie bisher benachteiligt. In diesen Branchen überwiegen jeweils ungünstige Branchenmerkmale – standardisierte, arbeitsintensive Produktionsverfahren, geringe Qualifikation der Arbeitskräfte, Preiswettbewerb. Die Ostöffnung erforderte in diesen Branchen teilweise erhebliche Strukturanpassungen.

Zu den benachteiligten Branchen im Außenhandel mit den Beitrittsländern zählen aber auch die Konsumwarenindustrie, die Fahrzeugindustrie sowie die Elektroindustrie. In Teilen der Fahrzeugindustrie (Herstellung von Pkw) sowie der Elektroindustrie wurde dabei die internationale Arbeitsteilung der Produktion mit den Beitrittsländern stark intensiviert, sodass der Importanteil von Komponenten und Vorleistungen erheblich zugenommen hat. Auch die Hersteller von Metallerzeugnissen und Konsumwaren haben ihre Importe von Zwischenprodukten beträchtlich gesteigert; diese Entwicklung war maßgebend für die Verschlechterung der Handelsbilanz.

Insgesamt ist die österreichische Industrie nach wie vor zu sehr auf Brachen mit mittlerem bis niedrigem Technologieniveau spezialisiert. Vor allem die Ostöffnung hat allerdings den Strukturwandel zugunsten moderner, innovativer und technologisch anspruchsvoller Produkte unterstützt, der für die mittel- bis langfristige Erhaltung und Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft unerlässlich ist. Primäre Aufgabe der Wirtschaftpolitik ist es, die notwendigen Rahmenbedingungen und Anreize zu schaffen, die den Strukturwandel erleichtern und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen verbessern. Dabei ist insbesondere die Technologiepolitik gefordert, denn gerade die Unterschiede zwischen dem technologischen Entwicklungsniveau von Volkswirtschaften sind eine wichtige Quelle nationaler Wettbewerbsvorteile.

Übersicht 1: Gewinner und Verlierer im Außenhandel mit den 10 EU-Beitrittsländern nach Branchen

 Gewinner
 HandelsbilanzHandelsvorteile
  RCA-Wert1) 
 200220021993/2002
 Mio. Euro Veränderung in Prozentpunkten
    
Herstellung von Büromaschinen157,51,23–1,37
Herstellung von Chemikalien638,80,75+0,39
Medizintechnik, Optik100,90,50–1,00
Verlagswesen, Druckerei41,20,45–0,79
Herstellung von Nachrichtengeräten530,90,40+0,72
Ledererzeugung, -verarbeitung140,00,38+1,21
Herstellung von Kunststoffwaren239,90,32–0,58
Herstellung von Papier198,20,21–1,11
Herstellung von Textilien108,20,17+0,09
Maschinenbau445,50,17–0,64
Nahrungsmittel115,80,16+0,48
    
 Verlierer
    
Metallerzeugung, -bearbeitung99,4–0,10+0,51
Herstellung von Kraftwagen105,7–0,13–1,10
Baustoffe, Glas19,2–0,18+0,31
Herstellung von Metallerzeugnissen17,8–0,25–0,20
Konsumwaren–17,3–0,33–0,17
Herstellung von Elektrizitätsgeräten–54,3–0,37–1,05
Sonstiger Fahrzeugbau–22,0–0,44+1,26
Be- und Verarbeitung von Holz–80,3–0,61+0,81
Mineralölverarbeitung, Kokerei–269,7–0,90+0,52
Herstellung von Bekleidung–168,7–1,05+0,32

Q: WIFO-Datenbank laut Statistik Austria. –  1) "revealed comparative advantage": Logarithmus der Export- bzw. Import-Relation einer Produktgruppe in Relation zu jener im Gesamthandel. Ein positiver RCA-Wert weist auf komparative Handelsvorteile in dieser Produktgruppe hin.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 4/2004!