24. Juli 2003 • Wettbewerbspolitik in Österreich unter neuen Rahmenbedingungen. Zwischenbilanz und Ausblick • Michael Böheim

Mit der Kartellrechtsnovelle 2002 wurde die Wettbewerbspolitik in Österreich auf eine neue institutionelle Basis gestellt. Unter innerstaatlichem und europäischem Reformdruck schlug der Gesetzgeber mit der Etablierung von Bundeswettbewerbsbehörde und Bundeskartellanwalt als staatlichen Aufgriffsbehörden den richtigen Weg einer institutionellen Professionalisierung der österreichischen Wettbewerbspolitik ein. Eine erste Zwischenbilanz nach einem Jahr fällt allerdings widersprüchlich aus: Zwar haben sich die institutionellen Rahmenbedingungen durch die Reform grundsätzlich verbessert; gleichwohl weist die österreichische Wettbewerbspolitik trotz neuer Institutionenstruktur noch immer gravierende inhaltliche, methodische, operative und strategische Defizite auf.

Inhaltliche Defizite

Die wettbewerbsökonomische Beurteilung von Fusionen unter dem neuen Kartellrechtsregime hat (am Beispiel der "Österreichischen Gaslösung) gezeigt, dass die österreichische Wettbewerbspolitik (Bundeswettbewerbsbehörde, Bundeskartellanwalt) der Missbrauchsaufsicht einen wichtigeren Stellenwert einräumt als der Fusionskontrolle.

Dieser Ansatz widerspricht nicht nur der europäischen Praxis, sondern auch dem State of the Art der wettbewerbsökonomischen Theorie, die in einem integrierten Konzept zur Beurteilung der Auswirkungen wettbewerbsbeschränkender Aktivitäten auf den Wettbewerb Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis gleiche Bedeutung beimisst.

In der Vernachlässigung der Fusionskontrolle, indem die Entstehung hochkonzentrierter Marktstrukturen zugelassen wird, und der damit einhergehenden Annahme, solche Marktstrukturen durch bloße Missbrauchsaufsicht kontrollieren zu können, liegt ein folgenschwerer wettbewerbspolitischer Irrtum.

Methodische Defizite

Die letzten Jahre waren international durch eine zunehmende Ökonomisierung des Wettbewerbsrechts auf allen drei Ebenen (rechtliche Grundlagen, Leitlinien und Fallbeurteilung) gekennzeichnet. Dieser Entwicklung (in der EU unter dem Schlagwort "more economics based approach") wird sich auch die österreichische Wettbewerbspolitik nicht entziehen können, zumal eine neue Verordnung zur Umsetzung der Wettbewerbsregeln des EG-Vertags (VO (EG) Nr. 1/2003) eine umfassende Dezentralisierung des europäischen Wettbewerbsrechts erforderlich macht. Um die einheitliche Anwendung des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts sicherzustellen, sind einheitliche Standards bei der Fallbeurteilung unabdingbar.

Die österreichische Wettbewerbspolitik wird deshalb so schnell wie möglich den "more economics based approach" verinnerlichen und umsetzen müssen. Sowohl im nationalen Vergleich mit den Regulatoren, die über eigene gut ausgestattete ökonomische Abteilungen verfügen, als auch im internationalen Vergleich mit anderen nationalen Wettbewerbsbehörden ist die Ressourcenausstattung der Bundeswettbewerbsbehörde sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht zur Erfüllung des gesetzlichen ihres Auftrags ungenügend. Um ausreichend qualifiziertes ökonomisches Personal rekrutieren zu können, ist eine substantielle Budgetaufstockung (derzeit rund 1 Mio. Euro) unabdingbar.

Operative Defizite

An der österreichischen Tradition einer Wettbewerbspolitik "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" hat sich auch unter dem neuen Kartellrechtsregime wenig verändert. Wenn bedeutende Wettbewerbsfälle von Bundeswettbewerbsbehörde und Bundeskartellanwalt durch Rückzug des Prüfantrags beim Kartellgericht "abgesegnet" werden, ist dies für die Öffentlichkeit höchst intransparent. Diese Art der Informationspolitik wird auch international heftig kritisiert.

Gerade einer weisungsfreien und unabhängigen Bundeswettbewerbsbehörde würde ein Höchstmaß an Transparenz gut anstehen, da die einzig wirksame Kontrolle ihrer Tätigkeit nur über die (interessierte) Öffentlichkeit erfolgen kann. Die Bundeswettbewerbsbehörde (und wohl auch der Bundeskartellanwalt) zeigt dagegen eine ausgeprägte Präferenz für Absprachen und Klärungen im Vorfeld (d. h. vor einem allfälligen Verfahren vor dem Kartellgericht) und im Hintergrund. Die Gefahr solcher "Verhandlungslösungen", die eine allzu enge Verbundenheit zwischen Regulierern und Regulierten ("regulatory capture") zur Folge haben können, wird unterschätzt.

Strategische Defizite

Eine wettbewerbspolitische Gesamtstrategie ist in Österreich derzeit nicht zu erkennen. Die Wirtschaftspolitik stellt andere Themen in den Mittelpunkt, und den staatlichen Wettbewerbsbehörden fehlt mangels Ressourcen neben der Einzelfallbearbeitung die Möglichkeit zu strategischen Überlegungen. Eine bloß kasuistisch agierende Wettbewerbspolitik läuft allerdings Gefahr, wesentliche gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge zu übersehen, weshalb mit Nachdruck eine strategische Gesamtkonzeption ("Grand Design") für die österreichische Wettbewerbspolitik ("Wettbewerbspolitik in kleinen offenen Volkswirtschaften") zu entwickeln wäre.

Fazit

Die hohen Erwartungen an das neue Wettbewerbsrechtsregime wurden zumindest partiell enttäuscht. Der neu etablierten Wettbewerbsaufsicht ist zwar ein Lernprozess zuzubilligen; dennoch ist ihr der Vorwurf zu machen, dass sie aus der schwierigen Ausgangssituation nicht das Beste gemacht, sondern bei wichtigen Entscheidungen eine überkommene wettbewerbspolitische Praxis fortgeschrieben hat.

Das erste Jahr unter neuen wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen zeigt deutlich, dass es noch ein weiter Weg zu einer tragfähigen österreichischen Wettbewerbspolitik ist. Zur Beseitigung der Defizite sollte deshalb keine Zeit verschwendet werden.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 7/2003!