21. Juli 2003 • Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Folgen für die österreichische Landwirtschaft • Franz Sinabell

Am 26. Juni 2003 wurden Kompromisse zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU gefunden. Viele Details der Rechtstexte sind noch nicht entschieden, auf der Basis der vorliegenden Informationen können wichtige Effekte der Reform allerdings bereits geschätzt werden.

Erste Modellergebnisse zeigen folgende Auswirkungen im Vergleich mit einer unveränderten Fortsetzung der bisherigen Agrarpolitik (Agenda-2000-Reform):

  • Die Rahmenbedingungen für Produktionsentscheidungen ändern sich grundlegend ("Entkopplung"); eine Zunahme der extensiven Produktionsweisen und eine Abnahme der Erzeugung von Rindfleisch und Ackerkulturen sind zu erwarten.

  • Die Effekte auf das erwartete landwirtschaftliche Einkommen werden selbst bei sinkenden Agrarpreisen nahe null sein, wenn einkommenswirksame Maßnahmen im Programm der ländlichen Entwicklung gesetzt werden.

  • Der Strukturwandel dürfte sich leicht beschleunigen.

Mit dem erzielten Kompromiss wurden aus Sicht der österreichischen Agrarpolitik unerwünschte Auswirkungen der Reform deutlich abgemildert. Die – verglichen mit dem Vorschlag der EU-Kommission vom Jänner 2003 – günstigeren Ergebnisse sind auf folgende Faktoren zurückzuführen:

  • Administrative Preise werden nicht (Getreide mit Ausnahme von Roggen) bzw. in geringerem Ausmaß (Milch) gesenkt.

  • Österreichs Landwirtschaft erhält zusätzliche Tierprämien (für 50.000 Mutterkühe). Zugleich werden Ansprüche für Stiere gekürzt, die bisher nicht ausgeschöpft wurden.

  • Betriebliche Förderungen über 5.000 Euro werden nach einer Übergangsphase um 5% gekürzt. Ein Teil dieser Mittel wird zwischen den Ländern umverteilt und für das Programm der ländlichen Entwicklung verwendet ("Modulation"). Österreich dürfte davon deutlich profitieren (bis zu 17 Mio. Euro jährlich).

Der in der Reform vorgesehene nationale Spielraum kann dazu genutzt werden, um den Rückgang der Getreideproduktion leicht abzuschwächen (wenn 25% der Förderungen für Kulturpflanzen gekoppelt bleiben). Der aufgrund der Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktion erwartete Rückgang der Rindfleischproduktion kann ebenfalls gemindert werden, und zwar am stärksten, wenn 75% der Sonderprämie für männliche Rinder weiterhin an die Erzeugung gekoppelt bleiben.

Die vorliegenden ersten Ergebnisse decken mit den Änderungen in den Marktordnungen und einzelnen Varianten der Entkopplung nur einige Aspekte der Reform ab. Wichtige Punkte (z. B. die Übertragung von pauschalen Betriebsprämien, die Förderungen zur Erhaltung "spezifischer Landnutzungsformen") wurden in dieser ersten Analyse nicht untersucht. Die vorgesehene Möglichkeit der regionalen Differenzierung der Teilentkopplung, von Anpassungshilfen für Roggenproduzenten oder die Einführung einheitlicher Grünland- oder Ackerprämien wurden ebenfalls nicht untersucht. Verschiedene Szenarien der Teilentkopplung dürften regional unterschiedliche Auswirkungen haben. Die Effekte auf Einkommen und Erzeugung hängen auch davon ab, welche – aus den zu erwartenden zusätzlichen Mitteln der Modulation finanzierten – konkreten Maßnahmen eingeführt bzw. erweitert werden.

Effekte einer vollen Entkopplung der Direktzahlungen gegenüber der Fortsetzung der Agenda-2000-Reform (Übersicht 1)

  • Auf das aggregierte Einkommen: Die Auswirkungen der Reform werden von der schwierig einzuschätzenden Preisentwicklung überlagert. Im Fall niedrigerer Preise werden Einbußen bis zu 2% der landwirtschaftlichen Einkommen erwartet. Diese können durch einkommenswirksame Maßnahmen (aus Mitteln der Modulation) ausgeglichen werden. Im Fall höherer Preise ist mit leichten Einkommenszuwächsen zu rechnen.

  • Auf das Einkommen je eingesetzte Arbeitsstunde: Da die Beschäftigung in der Landwirtschaft abnehmen dürfte, sind geringe Einkommensteigerungen je Arbeitsstunde zu erwarten. Voraussetzung für die Steigerung ist, dass die freigesetzten Arbeitskräfte eine zumindest gleich entlohnte alternative Beschäftigung finden.

  • Auf die Inputs: Infolge der Entkopplung wird in der Landwirtschaft weniger bzw. extensiver produziert. Daher werden weniger Inputs benötigt. Dieser Effekt ist als Kostenersparnis in der Rinderhaltung deutlich spürbar. Der Strukturwandel (Rückgang der Beschäftigung) in der Landwirtschaft wird leicht beschleunigt. Die Nutzung des Ackerlandes nimmt weiter ab.

  • Auf die Erzeugung: Wenn die Direktzahlungen vollständig entkoppelt werden, ist mit einer Verringerung der Erzeugung von Rindfleisch zu rechnen. Der erwartete Rückgang der Rindfleischpreise erklärt einen Teil dieser Abnahme. Andere Produkte aus der Tierhaltung werden nur geringfügig beeinflusst. Die Erzeugung von Marktfrüchten nimmt entsprechend der Einschränkung der Anbaufläche ab (biologische Produkte in geringerem Ausmaß).

Effekte einer Teilentkopplung unter der Annahme mittlerer Preise (Übersicht 2)

  • Auf das aggregierte Einkommen: Gegenüber der Fortsetzung der Agenda-2000-Reform bei mittlerer Preiserwartung sind auf Sektorebene in zwei Varianten der Teilentkopplung positive Auswirkungen zu erwarten. Ihr Ausmaß ist gering. In einzelnen Regionen sind stärkere Effekte zu erwarten, die gesondert analysiert werden müssen.

  • Auf das Einkommen je eingesetzte Arbeitskraftstunde: Die Teilentkopplung hat insgesamt keinen Einfluss auf das Einkommen je Arbeitskraftstunde. In den beiden Varianten mit Einkommenszuwächsen auf Sektorebene bleibt die Entlohnung je eingesetzte Arbeitskraft unverändert, da das zusätzliche Einkommen auf mehr Arbeitsstunden aufgeteilt wird.

  • Auf die Inputs: Die Teilentkopplung verlangsamt den Extensivierungsprozess. Somit werden mehr Inputs eingesetzt als unter vollständiger Entkopplung.

  • Auf die Erzeugung: Die Teilentkopplung bewirkt, dass mehr von dem Produkt erzeugt wird, dessen Prämie gekoppelt bleibt.

Übersicht 1: Effekte der Agrarreform bei vollständiger Entkopplung

Zeithorizont 2008/09, ohne Berücksichtigung der zu erwartenden zusätzlichen Mittel aus der Modulation

Preiserwartung
HochMittelNiedrig
Veränderung gegenüber der Fortsetzung der Agenda-2000-Reform in %
Produzentenrente
Agrarsektor insgesamt + 1 ± 0 2
Je Hektar + 1 ± 0 2
Je eingesetzte Arbeitsstunde + 3 + 2 + 1
Inputs
Variable Kosten der Tierproduktion 6 8 unter –10
Variable Kosten der Pflanzenproduktion 3 3 4
Eingesetzte Arbeitskraftstunden 1 2 2
Ackerland 4 4 4
Output (Menge)
Rindfleisch1) unter –10 unter –10 unter –10
Übrige Fleischerzeugung2) ± 0 ± 0 ± 0
Eier ± 0 ± 0 ± 0
Milch innerhalb der Quote ± 0 ± 0 ± 0

Q: WIFO-Berechnungen. Annahme: Zusätzliche Mutterkuhprämien werden an Kalbinnenbesitzer aliquot ausgezahlt. –  1) Änderungen über 10% werden nicht ausgewiesen, da ab etwa dieser Schwelle die Ergebnisse der Teilkomponenten von Rindfleisch (Fleisch von Stieren, Ochsen, Kalbinnen, Mutter- und Milchkühen) sehr sensitiv auf Parameteränderungen reagieren. –   2) Im Szenario mit niedriger Preiserwartung nimmt die Produktion von Schaffleisch leicht zu, insgesamt fällt diese Zunahme allerdings nicht ins Gewicht.

Übersicht 2: Effekte der Teilentkopplung von Direktzahlungen bei mittlerer Preiserwartung

Zeithorizont 2008/09, ohne Berücksichtigung der zu erwartenden zusätzlichen Mittel aus der Modulation

Variante der Teilentkopplung

25% der Kulturpflanzen­förderung100% der Mutter­kuhprämie und 40% der Schlacht­prämie 100% der Schlacht­prämie 75% der Sonderprämie für männliche Rinder
Veränderung gegenüber der Fortsetzung der Agenda-2000-Reform in % (mittlere Preiserwartung)
Produzentenrente
Agrarsektor insgesamt±0+1+1±0
Je Hektar±0+1+1±0
Je eingesetzte Arbeitsstunde+2+2+2+2
Inputs
Variable Kosten der Tierproduktion–8–5–6–6
Variable Kosten der Pflanzenproduktion–3–3–3–3
Eingesetzte Arbeitskraftstunden–1–1–1

–1

Ackerland–3–4–4–4
Output (Menge)
Rindfleischunter –10–8–10–7
Übrige Fleischerzeugung±0±0±0±0
Eier±0±0±0±0
Milch innerhalb der Quote±0±0±0±0

Q: WIFO-Berechnungen. Annahme: Zusätzliche Mutterkuhprämien werden an Besitzer von Kalbinnen aliquot ausgezahlt. Die einzelnen Varianten werden jeweils für sich betrachtet. Die Ergänzungsbeträge der Schlachtprämie werden jeweils im selben Ausmaß gekoppelt wie die Schlachtprämie.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem Artikel "The Reform of the Common Agricultural Policy. Consequences for the Austrian Agricultural Sector" im Austrian Economic Quarterly, http://www.wifo.ac.at/publ/quarterly!