22. Dezember 1999 • Die Rolle der OeNB im europäischen Zahlungsverkehr • Peter Brandner

Am 4. Jänner 1999 wurde in der EU ein neues grenzüberschreitendes Echtzeit-Bruttozahlungsverkehrssystem (RTGS – Real-time Gross Settlement System) mit der Bezeichnung TARGET eingeführt, an dem sich etwa 5.000 Kreditinstitute des EU-Raumes beteiligen. TARGET setzt sich aus den nationalen Zahlungsverkehrssystemen der EU-Länder, dem EZB-Zahlungsmechanismus (EPM) und der Schnittstelle "Interlinking" zusammen. ARTIS repräsentiert den österreichischen Teil von TARGET.

TARGET ist als Echtzeitsystem konzipiert, d. h. der zu überweisende Betrag soll im Regelfall binnen kurzer Zeit (wenige Sekunden bzw. Minuten) und unabhängig von seiner Höhe nach Belastung des Kontos des Auftraggebers dem Konto des Begünstigten gutgeschrieben werden. Als Bruttoabwicklungsverkehrssystem wird jeder einzelne Zahlungsauftrag gesondert durchgeführt, sodaß die taggleiche Endgültigkeit (Finalität) der Zahlung gesichert ist.

TARGET ermöglicht den teilnehmenden Kreditinstituten eine flexible Liquiditätsgestion innerhalb eines Geschäftstages, da sie ihre Mindestreserveguthaben für Zahlungszwecke nutzen können. Ferner besteht für Kreditinstitute die Möglichkeit, gegen entsprechende Hinterlegung von Sicherheiten (Kategorie-1- und Kategorie-2-Sicherheiten) unlimitiert und zinsenlos Intra-Tageskredite zu erhalten. Marktteilnehmer können Zahlungen in Euro auch über die parallel zu TARGET verfügbaren Bruttozahlungsverkehrssysteme oder – wie bisher üblich – im Rahmen des Korrespondenzbankensystems ohne Einbeziehung der Zentralbanken abwickeln.

Zu den bedeutendsten neben TARGET bestehenden Systemen zählen u. a. das Euro-1-System (EBA), das Euro-Access-Frankfurt-System (EAF) und das Paris-Net-Settlement-System (PNS). TARGET weist eine höhere Störanfälligkeit auf als zentrale Systeme, die durch die Vielzahl von Schnittstellen bedingt ist. Trotz höherer Gebühren hat TARGET den höchsten Anteil am Euro-Zahlungsverkehr. Kleinüberweisungen des Privatkundengeschäftes werden jedoch in der Regel über verschiedene Retail-Payment-Systeme abgewickelt, in denen die beteiligten Banken die Zahlungsaufträge poolen und ausgleichen (Netting).

Mit Berichtstermin Jänner 1998 gliedert die OeNB die Zahlungsbilanz neu. Die Transaktionen in Zusammenhang mit der Abwicklung der TARGET-Zahlungen werden in der Position "Sicht- und Termineinlagen der Währungsbehörden, Verpflichtungen" der sonstigen Investitionen der Kapitalbilanz verbucht. Im 1. Halbjahr 1999 wies die Bilanz (Accrual-Bilanz) einen Saldo von 66,4 Mrd. S aus, d. h. in diesem Ausmaß wurde Kapital zur Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits (oder zur Finanzierung von Abflüssen aus anderen Positionen der Zahlungsbilanz, im wesentlichen der Kapitalbilanz) importiert. Der TARGET-Saldo hat sich im Jahresverlauf weiter erhöht: Gemäß monatlicher Zahlungsbilanz (Cash-Bilanz) betrug er von Jänner bis September 1999 112,3 Mrd. S. Dieser Saldo kann jedoch nicht als Gegenposition des Leistungsbilanzdefizits Österreichs gegenüber der EU 15 erklärt werden, da die Transaktionen in TARGET vom Interbank-Zahlungsverkehr dominiert werden.

Ein Kapitalzufluß in der Kapitalbilanz infolge von Euro-Transaktionen über TARGET bedeutet im Bilanzzusammenhang einer Zentralbank, daß die Zahlungsüberweisungen an das Ausland die erhaltenen Zahlungen aus dem Ausland überstiegen ("negativer" TARGET-Saldo). Der Kapitalimport über den Zahlungsverkehrssaldo der Zentralbank entspricht dem Aufbau einer Verschuldungsposition der österreichischen Wirtschaft, deren Finanzierung de facto zu Bestkonditionen (Tendersatz) erfolgt.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 12/1999!