3. Dezember 1999 • Weltwirtschaft wächst kräftig, Zinserhöhungen bilden Risiko • Markus Marterbauer

In den USA zeigt das Wirtschaftswachstum bislang keine Anzeichen einer Abschwächung. Die Risken liegen in einer – von weiteren Zinserhöhungen ausgelösten – abrupten Korrektur der überbewerteten Aktienmärkte. Ein Anstieg der Sparquote und eine Abschwächung des Konsumwachstums wären die Folge. In Europa gewinnt der Aufschwung dank wachsender Exportdynamik an Konturen. Zwischen den Ländern bestehen allerdings erhebliche Wachstumsdifferenzen. Vor allem für Deutschland wirkt die Zinspolitik deutlich zu restriktiv.

Die Weltwirtschaft wächst kräftig. In den Krisenländern Südostasiens erholt sich die Konjunktur, wesentliche Probleme – wie die Bewältigung der "neuen Armut", die auch große Teile der Mittelschichten erfaßt hat, und die Vielzahl "notleidender Kredite" – bleiben aber offen. In Rußland hat sich dank Rubelabwertung und Anstieg der Erdölnotierungen die Lage stabilisiert. Nur Lateinamerika befindet sich in der Rezession.

Die Stärke der Binnennachfrage in den USA übersteigt nach wie vor alle Erwartungen. Das BIP weist 1999 zum vierten Mal in Folge ein reales Wachstum von etwa 4% auf. Die Wachstumsdynamik geht vor allem auf den erheblichen Anstieg der Aktienkurse zurück. Die Überbewertung der Aktien veranlaßte die privaten Haushalte zur Ausweitung des Konsums, die Unternehmen zu verstärkten Investitionen. Die Sparquote ist markant zurückgegangen, insgesamt weist der Finanzierungssaldo des privaten Sektors ein erhebliches Defizit auf. Gleichzeitig hat sich das Leistungsbilanzdefizit der USA auf 338 Mrd. $ (3½% des BIP) erhöht. Diese makroökonomischen Ungleichgewichte sind mittelfristig nicht haltbar.

Die Fed hob den Zinssatz im laufenden Jahr dreimal leicht an, um möglichen Überhitzungserscheinungen entgegenzuwirken. Ein weiterer Zinsanstieg könnte eine Korrektur der stark überhöhten Aktienkurse auslösen. Dies würde einen Anstieg der historisch niedrigen Sparquote nach sich ziehen und über eine Abschwächung des Konsums und der Investitionen auch das Wirtschaftswachstum spürbar bremsen. Zeitpunkt und Ausmaß des Kursrückgangs sind allerdings nicht prognostizierbar. Zudem könnte eine aktive Wirtschaftspolitik den Konjunkturabschwung mildern – Geld- und Budgetpolitik verfügen über erheblichen Spielraum zur Gegensteuerung. Die aktuellen Erwartungen für die Konjunktur der USA gehen von einer Abschwächung des Wachstums auf etwa 3% im Jahr 2000 und ungefähr 2% im Jahr 2001, das heißt von einem "Soft-landing" aus.

Die Europäische Zentralbank setzte im November 1999 ihren Hauptrefinanzierungssatz um ½ Prozentpunkt auf 3% hinauf. Angesichts der frühen Phase der Konjunkturerholung, des Fehlens eines stärkeren Preisauftriebs und erheblicher Unsicherheiten über die Entwicklung der Geldmenge M3 kam dieser Schritt sehr überraschend. Der Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex erhöhte sich zuletzt – aufgrund der Erdölverteuerung – leicht auf 1,4%. Die Kerninflation (ohne Energieversorgung) hat sich jedoch nicht beschleunigt, und die Preisstabilität blieb im Sinne der von der Europäischen Zentralbank vorgegebenen Definition (Anstieg des HVPI unter 2%) gewahrt. Bei steigenden Zinssätzen in den USA dürfte die Befürchtung einer weiteren Abschwächung des Euro-Kurses – der Wechselkurs näherte sich jüngst wieder der Relation von 1 : 1 gegenüber dem Dollar – ein Beweggrund für diese Entscheidung gewesen sein.

Die EZB steht vor dem Problem, für 11 Mitgliedsländer mit teils sehr unterschiedlichen Wachstums- und Inflationsraten eine einheitliche Geldpolitik gestalten zu müssen. Für einige Länder – dazu zählen Irland, Spanien, Portugal, Finnland und die Niederlande – wirkt die Geldpolitik bei gegebenem Zinssatz reichlich expansiv. Hier bleiben die Fiskalpolitik und – wo die entsprechenden Institutionen vorhanden sind – die Lohnpolitik als geeignete Instrumente zur Dämpfung möglicher Überhitzungserscheinungen. Hingegen ist das aktuelle Zinsniveau angesichts der Entwicklung von Produktion und Inflation ganz besonders für Deutschland, in geringerem Ausmaß auch für Italien, Frankreich, Belgien und Österreich überhöht.

Abbildung 1: Aktienkurse und Konsumquote in den USA

Q: Bureau of Economic Analysis, Universität Braunschweig. –  1)  Private Ausgaben insgesamt in % des verfügbaren persönlichen Einkommens.

In Deutschland liegt das Wirtschaftswachstum seit der Rezession 1993 um ¾ Prozentpunkte pro Jahr unter dem EU-Durchschnitt. 1999 dürfte es kaum 1½% erreichen (EU 2%). Die deutsche Industrie war im 1. Halbjahr von der Abschwächung auf den außereuropäischen Exportmärkten besonders betroffen, jedoch entwickeln sich auch Bau- und Konsumnachfrage relativ ungünstig. Mit 1. Jänner 2000 tritt – obwohl die Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte 1999 bereits auf etwa 1½% des BIP gedrückt werden konnte – ein Sparpaket in Kraft, das Konsolidierungsmaßnahmen im Ausmaß von ¾% des BIP vorsieht. Damit bremsen Geld- und Budgetpolitik den Aufschwung bereits in einer sehr frühen Phase. Die Erholung im Export kann dieser Schwächung der Inlandsnachfrage entgegenwirken. Dies schlug sich bislang zwar in einer Verbesserung des Geschäftsklimas und einer Zunahme der Auftragseingänge, jedoch noch nicht in einer dauerhaften Produktionssteigerung nieder. Für das Jahr 2000 wird mit einer leichten Belebung des Wachstums auf etwas über 2% gerechnet. Dies ist zu wenig, um die Arbeitslosigkeit deutlich verringern zu können.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 12/1999!