27. August 1999 • Eine Evaluierung der österreichischen EU-Mitgliedschaft • Fritz Breuss

Mit der EU-Mitgliedschaft hat sich in vielen Bereichen die Kompetenz für die Wirtschaftspolitik (Zollunion, GAP, Wettbewerbs- und Regionalpolitik) von der nationalen auf die EU-Ebene verlagert. Österreich ist als viertreichstes Mitgliedsland der EU ein Nettozahler an das EU-Budget im Ausmaß von 0,4% des BIP jährlich. Die Verschärfung des Wettbewerbs durch die Teilnahme am Binnenmarkt hatte über eine Produktivitätssteigerung eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums und eine Dämpfung des Preisauftriebs zur Folge. Die Wohlfahrt der Konsumenten ist gestiegen.

Die Anpassung an das neue Regime des Binnenmarktes bedeutete zum einen die Aufgabe von wirtschaftspolitischer Autonomie zugunsten der Gemeinschaftskompetenz in bezug auf die Außenhandelspolitik, Agrarpolitik, Wettbewerbspolitik und Regionalpolitik. Die Einbindung in die Europäische Gemeinschaft brachte aber auch mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten und Verantwortung auf europäischer Ebene mit sich.

Eine Evaluierung der gesamtwirtschaftlichen Effekte der österreichischen EU-Mitgliedschaft wird dadurch erschwert, daß diese von den Auswirkungen paralleler Ereignisse überlagert werden. Dazu zählen z. B. starke Wechselkursschwankungen, die Effekte der zunehmenden Ostöffnung und die Vorbereitung auf den Eintritt in die WWU (Erfüllung der Konvergenzkriterien).

Die im allgemeinen von einer verstärkten Integration in einen größeren gemeinsamen Markt erwarteten Handelseffekte sind zwar in Form einer Zunahme der Importe aus dem EU-Raum eingetreten, doch ist gleichzeitig eine ausgeprägte Wettbewerbsschwäche österreichischer Exporteure festzustellen – die Marktanteile in der EU sinken tendenziell. Diese Konstellation resultierte in einer Ausweitung des bereits großen Handelsbilanzdefizits mit der EU; so nahm das Defizit im Agrarwarenhandel mit der EU nicht zuletzt durch die Übernahme der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) um rund 51/2 Mrd. S zu. Der relativen Schwäche österreichischer Exporteure auf dem EU-Markt steht die wesentliche Verbesserung der Standortattraktivität durch den EU-Beitritt gegenüber, wie sie durch die rasche Zunahme ausländischer Direktinvestitionen in Österreich seit 1995 dokumentiert wird.

Die wichtigsten ökonomischen Wirkungen der Teilnahme am Binnenmarkt spiegeln sich aber in der Zunahme des Wettbewerbsdrucks. Diese Wettbewerbseffekte sind auf mehreren Ebenen statistisch nachzuweisen: Konsumgüter wurden billiger, anfänglich vor allem Nahrungsmittel. Die Notwendigkeit, sich auf dem Binnenmarkt erfolgreich zu positionieren, löste in allen EU-Staaten eine Welle von Unternehmensfusionen aus. Zugleich spiegelt sich die Verschärfung des Wettbewerbs auch in einer über das konjunkturbedingte Maß hinausgehenden Zunahme der Zahl der Insolvenzen in Österreich.

Die Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens, die durch europaweite Ausschreibung eine Verbilligung von öffentlichen Bauleistungen bringen sollte, wirkt sich noch kaum in einer Wettbewerbsintensivierung aus. Auch in anderen Bereichen entfaltet der Binnenmarkt erst allmählich seine volle Wirkung, etwa auf dem Telekom-Markt (Liberalisierung 1998), dem Strommarkt (1999) und künftig auf dem Gasmarkt.

Die ökonomischen Wirkungen der Liberalisierung sind im Detail komplex, sie schlagen sich aber letztlich in einer Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Effizienz nieder.

Der EU-Beitritt bedeutete den Eintritt in die Zollunion der EU und damit die Übernahme der außenhandelspolitischen Kompetenz durch die Europäische Kommission. Da Österreichs Ausgangszölle vor dem Beitritt (10,5%) höher gewesen waren als die der EU (5,7%), brachte die Anpassung der Außenzölle für Lieferanten aus Drittstaaten Vorteile. Zusätzlich verringerte der Wegfall der Grenzkontrollen die Handelskosten und hatte damit Wohlfahrtsgewinne für österreichische Importeure und Konsumenten zur Folge. Einkommenseinbußen löste hingegen die Teilnahme an der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) aus, da die Stützungen und damit die Einkommen in der Landwirtschaft in Österreich höher gewesen waren als in der EU. Diese Verluste wurden zwar durch Übergangszahlungen teilweise abgefangen, dennoch lagen 1998 die Realeinkommen in der Landwirtschaft um 61/2% unter dem Niveau von 1989/1991. Den Verlusten der Produzenten in der Landwirtschaft standen andererseits Wohlfahrtsgewinne der Konsumenten durch sinkende Agrarpreise gegenüber.

Die Umstellung der nationalen Regionalpolitik auf die einheitlichen Regeln der EU erhöhte die Transparenz. Gemäß Modellrechnungen stiegen die Investitionen dadurch in Österreich seit 1995 um rund 0,5%, das reale BIP wurde um 0,1% gesteigert.

Österreich ist als viertreichstes Mitgliedsland der EU ein Nettozahler in den EU-Haushalt im Ausmaß von durchschnittlich 0,4% des BIP (oder rund 10 Mrd. S) pro Jahr. 1995 erreichte das Defizit der öffentlichen Haushalte 5,1% des BIP (oder 119 Mrd. S). Die im Maastricht-Vertrag von 1992 festgelegten Konvergenzkriterien und der Wunsch Österreichs, per 1. Jänner 1999 an der Währungsunion teilzunehmen, zwangen 1996/97 zu einem rigorosen Konsolidierungsprogramm ("Sparpaket"), durch das das Defizit der öffentlichen Haushalte (Gesamtstaat) auf weniger als 3% des BIP gedrückt werden konnte. Die Maßnahmen resultieren in den beiden Jahren in einer Dämpfung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und somit der Entwicklung des realen BIP.

Faßt man alle Binnenmarkteffekte zusammen, so ergibt sich eine Wohlfahrtssteigerung der österreichischen Volkswirtschaft von 1 1/3% des BIP, die sich auf die Produzenten, Konsumenten und den Staat verteilt, wobei die Konsumenten die Hauptgewinner sind.

Mit einem eigens entwickelten ökonometrischen Modell ermittelte das WIFO die gesamtwirtschaftlichen Effekte der österreichischen EU-Mitgliedschaft (siehe Übersicht 1). Der wesentliche Impuls für das zusätzliche jährliche Wachstum des realen BIP von rund 1/2 Prozentpunkt seit 1995 (im Vergleich mit der Entwicklung ohne EU-Beitritt) stammte von einer durch den verschärften Wettbewerbsdruck induzierten Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität um 1% pro Jahr. Über eine Verringerung des Anstiegs der Lohnstückkosten dämpfte dieser Effekt die Inflation im Ausmaß von rund 0,3 Prozentpunkten pro Jahr.

Ein Vergleich dieser Ex-post-Evaluierung der gesamtwirtschaftlichen Effekte der österreichischen EU-Mitgliedschaft mit den Schätzungen, die das WIFO vor dem EU-Beitritt anstellte, zeigt, daß einige Integrationseffekte richtig eingeschätzt wurden (BIP), einige damals überschätzt (Inflation, Beschäftigung) und einige unterschätzt wurden (Produktivitätsentwicklung; Übersicht 1).

Übersicht 1: Gesamtwirtschaftliche Effekte des österreichischen EU-Beitritts

1995/1998

 

Ex-ante-Schätzung 1994

Ex-post-Evaluierung 1999

 

Abweichungen vom Basisszenario (ohne EU-Beitritt) in Prozentpunkten, pro Jahr

     

BIP, real

+ 0,55

+ 0,48

Arbeitsproduktivität (BIP je Erwerbstätigen)

+ 0,30

+ 1,02

Unselbständig Beschäftigte

+ 0,23

- 0,37

Arbeitslosenquote

- 0,24

- 0,16

Inflationsrate (VPI)

- 0,73

- 0,26

Lohnstückkosten

- 0,50

- 0,86

Bruttoentgelte für unselbständige Arbeit pro Kopf, real

+ 0,11

+ 0,25

Verfügbares persönliches Einkommen, real

+ 0,70

 

Terms of Trade

- 0,05

- 0,13

Exporte insgesamt, real

+ 0,50

 

  Exporte in die EU, real

 

+ 0,93

Importe insgesamt, real

+ 1,20

 

  Importe aus der EU, real

 

+ 3,06

Nettoexporte in die EU, real

 

- 2,14

Leistungsbilanz (in % des BIP)

- 0,35

 

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 8/1999!