26. Juli 1999 • Migration und ihre Rolle in der Integration Westeuropas • Gudrun Biffl

Migrationsbewegungen gehören zu den sensibelsten Bereichen der Politik, da sie nicht nur ökonomische, sondern auch kulturelle und sicherheitspolitische Aspekte aufweisen. Die EU-Länder verfolgen unterschiedliche Typen von Wanderungspolitiken, die einen Vergleich der Effekte institutioneller Regelungen auf Arbeitskräftewanderungen zulassen. Das Spektrum der Migrationsmodelle reicht von der Freizügigkeit innerhalb des nordischen Arbeitsmarktes über die Freizügigkeit innerhalb der EU (die aufgrund sehr unterschiedlicher Arbeitsmarktmechanismen enger definiert war als die Skandinaviens) zu den EFTA-Ländern wie der Schweiz und Österreich, die eine gezielte Zuwanderungspolitik betrieben.

Der Beitrag in den WIFO-Monatsberichten geht u. a. der Frage nach, ob die institutionelle Erleichterung der Wanderung von Arbeitskräften, wie sie innerhalb der EU gegeben ist, eine stärkere Vernetzung der Arbeitsmärkte über die Staatsgrenzen zur Folge hat als zwischen Ländern, die nur über eine Freihandelszone verknüpft sind. Dabei zeigt sich, daß der Grad der gegenseitigen Penetration der Arbeitsmärkte der EU (Anteil der EU-Staatsbürger an der Gesamtbeschäftigung) sehr gering ist – er beträgt gegenwärtig etwa 2% (Deutschland 1,8%, Frankreich 2,4%, Großbritannien 1,6%, Österreich 0,9%). Der Anteil aller ausländischen Arbeitskräfte an der Gesamtbeschäftigung liegt in der EU derzeit bei etwa 5%.

Diese Wanderungsentwicklung entspricht der Intention der EU – die Schaffung des Binnenmarktes sollte nicht mit einem massiven Anstieg der Arbeitswanderungen innerhalb der EU verbunden sein. Der Ausgleich der Einkommens- und Lohnunterschiede zwischen den Regionen sollte vielmehr primär über internationale Kapital- und Warenströme erfolgen und nur in zweiter Linie über die Arbeitsmigration.

Im Gegensatz zur Entwicklung in der EU ist die Verflechtung des Schweizer Arbeitsmarktes mit der EU trotz Mobilitätsbarrieren für ausländische Arbeitskräfte ausgeprägter als in irgendeinem EU-Land außer Luxemburg.

Auch die Arbeitsmärkte der nordischen Länder sind stärker miteinander verflochten als die der meisten EU-Länder.

Die Freizügigkeit der Staatsbürger wurde innerhalb des skandinavischen Arbeitsmarktes bereits 1954 eingeführt. Auf dem Arbeitsmarkt der nordischen Länder finden daher schon seit langem je nach Konjunkturverlauf Arbeitskräfte aus Nachbarländern Beschäftigung. In den sechziger und siebziger Jahren ging von der raschen Industrialisierung Schwedens eine Sogwirkung auf Arbeitskräfte aus den angrenzenden Ländern, insbesondere aus Finnland aus. Mit der wirtschaftlichen Umstrukturierung und der Angleichung der Einkommen zwischen den Ländern stabilisierte sich die

Wanderungsbilanz. Da Staatsbürger aus anderen skandinavischen Ländern auf dem Arbeitsmarkt mit Inländern gleichgestellt sind, besteht kein Anreiz für Skandinavier, ihre Staatsbürgerschaft bei Arbeitsaufnahme in einem anderen nordischen Land aufzugeben.

Die Entwicklung der Wanderung von ausländischen Arbeitskräften innerhalb der EU ist von der sich ändernden Rolle der einzelnen Länder im Konjunkturverlauf geprägt. Im Gefolge des wirtschaftlichen Aufholprozesses der südeuropäischen Länder und der Konvergenz der Einkommen verringerte sich die Abwanderung in nordeuropäische Länder.

Die Entwicklung der Arbeitsmigration in den EFTA-Ländern verdeutlicht, daß der Grad der wirtschaftlichen Vernetzung mit der jeweiligen Region das Muster der Ausländerbeschäftigung nach Qualifikation und Herkunft prägt. Das Ausmaß der Arbeitsmigration ist relativ unabhängig von Freizügigkeitsabkommen, der Integrationsgrad der "Ausländer" in die Gesellschaft über den Arbeitsmarkt hinaus hängt allerdings stark von institutionellen Regelungen ab.

Die Muster der Arbeitskräftewanderung ähneln der Entwicklung der Handelsströme – mit steigendem Entwicklungsgrad ist nicht nur eine Differenzierung der gehandelten Warenpalette, sondern auch der Qualifikationsstruktur der Wanderung von Arbeitskräften zu beobachten. Die Wanderung von Arbeitskräften ist ein integraler Bestandteil des wirtschaftlichen Strukturwandels und begünstigt auf diese Weise das Wirtschaftswachstum.

Innerhalb Europas vollzieht sich eine gewisse Anpassung der zwei Grundmuster der Migrationssysteme – des Systems der langfristigen Niederlassung und des System der Arbeitsmigration –, Wesensunterschiede bleiben jedoch erhalten. So sind Migrationssysteme, die die Integration von Ausländern (bevölkerungs- und sozialpolitisches Ziel) verfolgen, an langfristigen Plänen (Visionen) orientiert. Sie reagieren nicht rasch auf Konjunkturveränderungen und Arbeitsmarktbedingungen. Im Gegensatz dazu ist das Instrumentarium der Arbeitsmigration am Arbeitsmarktbedarf orientiert und erlaubt eine rasche Anpassung an die jeweilige Konjunkturlage. Die Selektion der Ausländer erfolgt in erster Linie über den Arbeitsmarkt – über die Familienzusammenführung werden allerdings die Selektionskriterien verwaschen. Einwanderungsländer in Übersee (wie USA, Kanada, Australien) fördern die Zuwanderung von qualifizierten bis höchstqualifizierten Arbeitskräften – dies ist in Europa in viel geringerem Maße der Fall. Entsprechend ähnelt die Qualifikationspalette der Zuwanderung der Primärarbeiter in der EU der der nachziehenden Familie.

Die Art der Integration der Migranten in die Gesellschaft hängt von der Migrationspolitik ab. Zuwanderung kann in ethnischen Enklaven münden, die auf dem Arbeitsmarkt Nischen abdecken; sie kann aber auch (als Resultat gezielter Anwerbepolitik) den Wettbewerb in bestimmten Arbeitsmarktsegmenten erhöhen. Das relative Überangebot an Arbeitskräften muß daher nicht mit einer Zunahme der Arbeitslosigkeit einhergehen. Es kann über eine unterdurchschnittliche Lohnanhebung in den betreffenden Bereichen aufgefangen werden. Zum anderen können Migranten über Nischen selbst die Nachfrage nach ihrer Leistung schaffen.

Die EU strebt eine kohärente Migrationspolitik ihrer Mitgliedsländer an; in diesem Zusammenhang steht eine Reihe von Regelungen der grenzüberschreitenden Wanderung. Das Schengen-Abkommen (vom Juni 1990) ist nur ein – wenn auch wichtiger – Aspekt. Die Anpassung der Asylregelungen und in jüngster Zeit die Koordination im Bereich der Verfolgung der Schwarzarbeit sind weitere Aspekte. Kontrollmaßnahmen und -methoden werden harmonisiert.

Im Laufe der achtziger Jahre nahmen Schwarzarbeit, Handel mit ausländischen Arbeitskräften, Unterlaufen von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sowohl in Europa als auch in Übersee zu. In der Folge wurde einerseits diese Entwicklung auf ihre Hintergründe und Strukturelemente untersucht, andererseits wurden gesetzliche Maßnahmen getroffen, die eine gezielte Bekämpfung der illegalen Tätigkeiten ermöglichen.

Man hofft, mit der Bestrafung illegaler Beschäftigung die illegale Zuwanderung einzuschränken, da Arbeitsaufnahme üblicherweise der Hauptgrund für die Zuwanderung von Ausländern ist.

Die Frage der Effizienz der Kontrollen bleibt offen. Die Entwicklung eines differenzierten Kontrollinstrumentariums ist mit hohen Kosten verbunden – sowohl direkten Kosten als auch Beeinträchtigung der Bürgerrechte (Eindringen in betriebliche und private Sphäre) –, andererseits sind die Erträge kaum meßbar.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 7/1999!