14. Dezember 1998 • Wachstumsabschwächung stellt internationale Wirtschaftspolitik vor neue Herausforderungen • Markus Marterbauer

Die Wirtschaftslage dürfte sich in Asien nach dem tiefen Einbruch 1998 langsam stabilisieren. Die internationale Situation bleibt aber – infolge der Ausweitung der Finanzkrise auf Rußland und Lateinamerika – labil. In den USA schwächt sich das Wachstum 1999 merklich ab, eine Rezession kann aber mit Hilfe einer gesamtwirtschaftlich orientierten – und daher gelockerten – Geldpolitik verhindert werden. Auch in Europa wird für 1999 mit einer Wachstumsdämpfung gerechnet. Wenn die Inlandsnachfrage kräftig bleibt, fällt die "Konjunkturdelle" aber gering aus, und die Erholung des Arbeitsmarktes und der öffentlichen Haushalte setzt sich fort.

Die Wirtschaftskrise in Asien hatte in den betroffenen Ländern einen wesentlich stärkeren Wachstumseinbruch zur Folge, als im Frühjahr erwartet worden war. Auch Japan ist aufgrund der engen Handelsverflechtung mit Asien, vor allem aber wegen der schwachen Binnennachfrage – die unter den pessimistischen Erwartungen von Haushalten und Investoren leidet – in eine deflationäre Situation und die tiefste Rezession der Nachkriegszeit geraten (BIP real 1998 –2,5%). Die Wirtschaftspolitik hat nur beschränkten Handlungsspielraum, obwohl der Bankensanierungsplan und das neuerliche fiskalische Impulsprogramm – so ihre Umsetzung gelingt – stabilisierend wirken können. Als wichtiger Schockabsorber in der Region erweist sich China, das – begünstigt durch einen nur eingeschränkt liberalisierten Kapitalverkehr – wirtschaftliche Unsicherheiten verhindern kann. Die Lage der Wirtschaft dürfte sich in Asien 1999 festigen, für das Jahr 2000 rechnen die internationalen Institutionen mit einer verhaltenen Erholung.

Die Finanzkrise hat sich aufgrund der weltweiten Vernetzung der liberalisierten Finanzmärkte und deren hoher Volatilität auf andere "Emerging Markets" ausgeweitet1). Rußland ist, nachdem zu Jahresbeginn eine Stabilisierung von Produktion und Preisniveau gelungen war, wieder in eine tiefe wirtschaftliche Krise geraten, die auch von politischen Instabilitäten begleitet ist. Eine rasche Überwindung dieser labilen Situation zeichnet sich mangels funktionierender Institutionen und konsistenter Programme nicht ab. Auf Ost-Mitteleuropa griff die russische Krise nicht über: Die Wirtschaft der Transformationsländer ist mittlerweile nach Westeuropa orientiert und profitiert von den stabilisierenden Einflüssen der mittelfristigen Perspektive eines EU-Beitritts. Hingegen ist Lateinamerika in den Sog der internationalen Finanzkrise geraten, vor allem die Lage in Brasilien – das bei freiem Kapitalverkehr versucht, einen überhöhten Wechselkurs zu halten – machte umfangreiche Kredithilfen der internationalen Gemeinschaft notwendig. Auch in dieser Region erweisen sich Staaten, die mit unterschiedlichen Maßnahmen umfangreiche Kapitalzuflüsse vor Ausbruch der Krise verhindern konnten (z. B. Chile), als merklich stabiler.

Die rezessive Binnennachfrage und die Abwertung ließen in den asiatischen Krisenländern steigende Leistungsbilanzüberschüsse entstehen. Diese werden ausschließlich von den USA absorbiert, deren Investitionen und privater Konsum kräftig expandieren. Das BIP weitete sich 1998 real um 3½% aus. Das steigende Leistungsbilanzdefizit der USA (das 1999 etwas mehr als 3% des BIP erreichen wird) bildet einen der wichtigsten stabilisierenden Faktoren für die Weltwirtschaft. Die deutliche Abschwächung der Exporte dämpft nunmehr aber auch das Wachstum in den USA merklich (1999 real +1,8%). Eine starke Konjunkturdämpfung wird durch eine gesamtwirtschaftlich orientierte Zinspolitik verhindert, seit Jahren das aktivste Element der Wirtschaftspolitik der USA.

In Europa hat die Inlandsnachfrage 1998 spürbar an Bedeutung gewonnen (BIP real +3%). Die Ausrüstungsinvestitionen stiegen infolge zunehmender Kapazitätsauslastung, günstigerer Finanzierungsbedingungen und hoher Gewinne merklich, und der private Konsum leistet – bei beschleunigtem Beschäftigungszuwachs und beträchtlichen Realeinkommensgewinnen – einen immer größeren Wachstumsbeitrag. Hingegen läßt die Exportausweitung bedingt durch die Wachstumsschwäche wichtiger Handelspartner nach. Sowohl die EU-Kommission als auch das OECD-Sekretariat erwarten für 1999 in der EU eine verhaltene Dämpfung des Wirtschaftswachstums, real könnte das BIP um +2¼% steigen.

Konjunkturimpulse sollten von einer stärkeren Ausweitung der Binnennachfrage kommen, die über eine Rückführung der hohen Leistungsbilanzüberschüsse der EU (1999 1¼% des BIP) auch einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Weltwirtschaft leisten könnte. Zur Stimulierung der Inlandsnachfrage können die makroökonomischen Instrumente der Wirtschaftspolitik beitragen. Internationale Konjunkturbeobachter gehen davon aus, daß mit der Übernahme der geldpolitischen Verantwortung durch die EZB im 1. Halbjahr 1999 nochmals Zinssenkungen vorgenommen werden. Nach einer "Konjunkturdelle" im Jahr 1999 rechnen die internationalen Organisationen mit einer leichten Beschleunigung des europäischen Wirtschaftswachstums. Eine Nachfragesteigerung, die mehrere Jahre hindurch den langjährigen Durchschnitt übersteigt, wirkt entlastend für öffentliche Haushalte und Arbeitsmarkt. Die Neuverschuldung könnte im Jahr 2000 durchschnittlich nur noch 1¼% des BIP betragen, die Arbeitslosenquote könnte auf 9½% sinken.

1)  Eine systematische Analyse der jüngsten Krisenübertragung in der Weltwirtschaft bietet Schulmeister, St., "Finanzmarktturbulenzen beeinträchtigen internationale Wachstumsdynamik. Mittelfristige Prognose der Weltwirtschaft bis 2002", WIFO-Monatsberichte, 1998, 71(12).

Übersicht 1: Wirtschaftswachstum

 

Bruttoinlandsprodukt

 

1997

1998

1999

2000

 

Veränderung gegen das Vorjahr in %

         

USA

+ 3,9

+ 3,5

+ 1,8

+ 2,3

Japan

+ 0,8

- 2,5

+ 0,8

+ 1,3

Deutschland

+ 2,2

+ 2,8

+ 2,0

+ 2,5

Frankreich

+ 2,3

+ 3,3

+ 2,5

+ 2,8

Italien

+ 1,5

+ 1,5

+ 2,3

+ 2,8

Großbritannien

+ 3,5

+ 2,8

+ 1,0

+ 2,0

Kanada

+ 3,7

+ 3,0

+ 2,5

+ 3,0

         

Spanien

+ 3,5

+ 3,8

+ 3,5

+ 3,5

Australien

+ 2,8

+ 3,5

+ 2,5

+ 2,5

Niederlande

+ 3,6

+ 3,8

+ 3,0

+ 2,5

Türkei

+ 7,5

+ 4,8

+ 4,0

+ 5,0

Belgien

+ 3,0

+ 3,0

+ 2,5

+ 2,5

Schweiz

+ 1,8

+ 1,9

+ 2,0

+ 2,0

Schweden

+ 1,8

+ 2,8

+ 2,5

+ 2,8

Österreich

+ 2,5

+ 3,3

+ 2,8

-

Dänemark

+ 3,3

+ 2,5

+ 2,0

+ 2,0

Portugal

+ 3,7

+ 4,0

+ 3,5

+ 3,5

Griechenland

+ 3,2

+ 3,3

+ 3,5

+ 3,5

Norwegen

+ 3,4

+ 2,3

+ 2,0

+ 2,0

Finnland

+ 6,1

+ 5,0

+ 3,3

+ 3,0

Neuseeland

+ 3,0

± 0,0

+ 2,0

+ 3,0

Irland

+ 9,8

+ 9,0

+ 6,5

+ 6,5

Luxemburg

+ 4,8

+ 4,8

+ 3,5

+ 3,5

Island

+ 5,0

+ 5,5

+ 4,0

+ 3,0

Korea

+ 5,5

- 6,5

+ 0,5

+ 4,0

Mexiko

+ 7,0

+ 4,5

+ 3,0

+ 4,0

Polen

+ 6,9

+ 5,8

+ 5,0

+ 5,3

Ungarn

+ 4,3

+ 5,0

+ 4,0

+ 4,0

Tschechien

+ 1,0

- 0,8

+ 1,5

+ 2,0

         

OECD insgesamt

+ 3,0

+ 2,0

+ 2,0

+ 2,3

  EU

+ 2,7

+ 3,0

+ 2,3

+ 2,8

    Euro-Raum

+ 2,5

+ 3,0

+ 2,5

+ 2,8

Q: OECD, nationale und eigene Schätzungen.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 12/1998!