20. November 1998 • Regionale Problemlagen infolge der EU-Integration der MOEL • Gerhard Palme

Die EU-Integration der MOEL eröffnet allen Regionen an der EU-Außengrenze neue Entwicklungsmöglichkeiten auf der Basis einer grenzüberschreitenden Wirtschafts- und Regionalpolitik. In der Vorbereitung sollte eine offensive Strukturpolitik durch Verhandlungen über administrative Maßnahmen ergänzt werden, welche die negativen Folgen auffangen.

Die EU-Osterweiterung wird die Regionen in Abhängigkeit von der geographischen Lage und der Wirtschaftsstruktur unterschiedlich betreffen. Aufgrund der geographischen Nähe sind im Osten und Süden Österreichs höhere positive wie negative Folgen als in den westlichen Bundesländern zu erwarten. Innerhalb der Bundesländer müssen aber nicht nur die unmittelbaren Grenzgebiete mit veränderten Wettbewerbsbedingungen rechnen. Aufgrund der Wirtschaftsstruktur werden die Integrationsfolgen in den "Großstädten", "Verdichtungsregionen" und "ländlichen Grenzgebieten" mit unterschiedlicher Intensität und zeitlicher Abfolge anfallen. Mit fortschreitender Integration der MOEL verlieren die negativen Einflüsse in den ländlichen Grenzgebieten an Bedeutung, während die positiven Einflüsse in den Großstädten anhalten.

Die Großstädte wie Wien, Linz oder Graz haben von der Ostöffnung am meisten profitiert: Am Wachstum der Exporte in die MOEL waren Wirtschaftsbereiche besonders beteiligt, die hier eine relativ große Bedeutung haben (Technologiesektor der Industrie, Transithandel). Andererseits spielen Wirtschaftsbereiche, die unter erhöhten Importdruck gerieten, keine große Rolle. Allerdings werden die komparative Vorteile der Großstädte auf den internationalen Gütermärkten in den späteren Phasen der Integration tendenziell schwächer werden, da die MOEL mit fortschreitendem Aufholprozeß immer mehr auch in höherwertige Wirtschaftsbereiche vordringen werden.

Nach dem EU-Beitritt der MOEL werden die Großstädte auch durch die Liberalisierung des Austausches von Dienstleistungen für Regionalmärkte stärker unter Druck geraten, da sie aufgrund des Umsatzpotentials und der tendenziell höheren Preise für Anbieter grenzüberschreitender Dienstleistungen besonders attraktiv sind. Weiters werden in den Großstädten jene Arbeitsmarkteffekte konzentriert auftreten, die sich im Rahmen der Freizügigkeit der Arbeitskräfte in Form verstärkter Zuwanderung einstellen werden. Der Verdrängungsdruck auf die Beschäftigung und der Lohndruck werden in den Großstädten am stärksten sein, da sie sowohl von Einpendlern als auch von Migranten bevorzugt werden.

Übergangsfristen können viel von diesem Druck nehmen. Vor dem Zustrom von Migranten völlig schützen ließen sich die Großstädte jedoch nur durch äußerst lange, den Beitrittswerbern politisch wohl nicht zumutbare Übergangsfristen. Andererseits könnte in den Großstädten ein zu großer Zuwanderungsschock vermieden werden, wenn der Arbeitsmarkt bereits vor Gewährung der Freizügigkeit schrittweise und strukturpolitisch selektiv geöffnet wird. Qualifizierte Arbeitskräfte aus den MOEL können zum Aufbau von internationalen Spezialisierungsvorteilen beitragen.

Am meisten wird wahrscheinlich die Industrie der Verdichtungsregionen außerhalb der Großstädte vom EU-Beitritt der MOEL profitieren. In den Zentralräumen der Bundesländer und im Umland der Großstädte überwiegen Industriebetriebe, die die steigenden Großbetriebsvorteile eines größeren Binnenmarktes am besten nutzen können. Diese Vorteile würden strukturpolitisch durch einen zügigen Ausbau der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur (direkte TEN-Anschlüsse, Ausbau von Nordkorridoren, Verbesserung der West- und Südverbindungen, Anbindung des Flughafens Wien-Schwechat usw.) sowie durch die Errichtung von Technologie- und Kompetenzzentren unterstützt. Hinsichtlich der Integrationsfolgen für den Dienstleistungssektor und den Arbeitsmarkt nehmen die Verdichtungsregionen eine Zwischenstellung zwischen den Großstädten und den ländlichen Grenzgebieten ein.

Die ländlichen Grenzgebiete haben ihren Standortvorteil billiger Arbeitskräfte für arbeitsintensive Industriezweige mit der Ostöffnung vollends eingebüßt. Insbesondere in der Bekleidungsindustrie waren in den letzten Jahren zahlreiche Stillegungen und Produktionsverlagerungen zu verzeichnen. Der Abbau von Hemmnissen auf den Regionalmärkten im Zuge des EU-Beitritts der MOEL wird in den ländlichen Grenzgebieten vor allem in den Anfangsjahren Probleme im Dienstleistungsgewerbe und auf dem Arbeitsmarkt auslösen: Anbieter aus den MOEL können die Preise heimischer Gewerbebetriebe deutlich unterbieten, der Marktzugang wird durch die geographische Nähe zu den österreichischen Grenzgebieten erleichtert. Auf dem Arbeitsmarkt ist vor allem mit einem Zustrom von Pendlern zu rechnen.

Allerdings schwächen sich diese negativen Effekte aufgrund der begrenzten Aufnahmefähigkeit der Märkte mit dem Aufholprozeß in den MOEL tendenziell ab. Administrative Maßnahmen wie eine wirksame Umsetzung der Entsenderichtlinie oder Übergangsfristen bezüglich der Gewährung der Freizügigkeit für die ländlichen Grenzgebiete sind deshalb ein recht wirksamer Schutz vor einem Anpassungsschock. Schwieriger wird die strategische Neupositionierung insbesondere für die peripheren Grenzgebiete werden. In dieser strukturpolitischen Herausforderung, die als Folge verstärkter Internationalisierung seit Jahren akut ist, eröffnet die Integration der MOEL neue Optionen. Dazu bietet die Gemeinschaftsinitiative INTERREG grundsätzlich einen passenden, institutionell aber noch verbesserungsfähigen Förderrahmen.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 11/1998!