20. November 1998 • Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf die österreichische Sachgüterproduktion. Ostöffnungseffekte beleben österreichische Industrie • Gerhard Palme

Die weiterhin günstigen Außenhandelsperspektiven im Fall eines EU-Beitritts der vier benachbarten MOEL lassen für die österreichische Industrie positive Produktions- und Beschäftigungseffekte erwarten. Gewisse Anpassungsprobleme wettbewerbsschwacher Branchen werden noch vor der Osterweiterung der EU überwunden sein.

Der Umbruch im Osten begünstigte durch die Öffnung neuer Märkte insbesondere die Sachgüterproduktion – die Industrie erbringt einen Großteil der Exporte. Das kräftige Wachstum der Exporte in 4 benachbarte MOEL (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) ermöglichte zwischen 1989 und 1996 eine Steigerung des Nettoproduktionswert der österreichischen Industrie, die um etwa 14 Mrd. S oder um 0,6% pro Jahr stärker ausfiel als in einem Szenario ohne Ostöffnung. Dank der zusätzlichen Exporte in die 4 MOEL dürften etwa 20.000 Industriebeschäftigte eingestellt worden sein; in dieser Schätzung sind die indirekten Effekte aus den von den Exportbetrieben nachgefragten Vorleistungen nicht berücksichtigt. Andererseits kostete die verstärkte Ausweitung der Importe in der heimischen Industrie Arbeitsplätze. Über das Ausmaß der Verdrängung gibt es keine Anhaltspunkte. Da zum Schutz der westeuropäischen Industrie "sensible Branchen" (z. B. Chemikalien und Kunststoffe, Textilien, Bekleidung, Eisen und Stahl, Nahrungsmittel) in einer Übergangsfrist vom Freihandel der MOEL mit der EU ausgenommen waren, wurde die Importkonkurrenz nicht voll wirksam. Mit Rücksicht auf solche Verdrängungseffekte dürfte die Beschäftigung der österreichischen Sachgüterproduktion infolge des zusätzlichen Außenhandels um 0,2 bis 0,5 Prozentpunkte pro Jahr stärker ausgeweitet worden sein.

In den Jahren bis zum EU-Beitritt der MOEL wird die Liberalisierung der sensiblen Bereiche im Handel zwischen EU und den MOEL den Wandel der Sektorstruktur in der österreichischen Industrie beschleunigen. Die genannte Sonderregelung ist für die Importe in die EU 1998 ausgelaufen und gilt für Importe in die MOEL nur noch bis zum Jahr 2000. Somit erhöht sich in den nächsten Jahren die Importkonkurrenz auf dem Weg zu einer neuen Arbeitsteilung in Mitteleuropa; der eigentliche Beitritt der MOEL wird in der österreichischen Industrie keinen schweren Anpassungsschock mehr auslösen. Aufgrund der komparativen Standortnachteile geraten insbesondere die arbeits- und energieintensiven Produktionszweige unter erhöhten Verdrängungsdruck.

Unter realistischen Annahmen über das künftige Handelsvolumen werden die Produktions- und Beschäftigungseffekte der EU-Osterweiterung jene der Ostöffnung übertreffen: Ohne Substitution heimischer Produkte durch Importe aus den MOEL würde sich die Industriebeschäftigung aufgrund des Wachstums der Exporte in die 5 benachbarten MOEL (Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Ungarn) bis zum Jahr 2004 um 25.000 bis 53.000 erhöhen. Der Verdrängungsdruck auf die heimische Produktion wird mäßig sein, da sich in erster Linie der Handel mit Spezialprodukten (intraindustrieller Handel) ausweiten wird. Der Schwerpunkt wird auf der vertikalen Arbeitsteilung innerhalb von Zuliefernetzwerken liegen. Daneben wird auch die Spezialisierung in der Fertigung von Endprodukten tendenziell an Bedeutung gewinnen, wenn die MOEL weiterhin wirtschaftlich aufholen und sich ihre Außenhandelsstruktur dem EU-Durchschnitt annähert.

Die ökonomisch-politische Transformation der MOEL tangierte den Westen Österreichs schwächer als den Osten und den Süden. Im Westen werden die zusätzlichen Chancen im Export überwiegend indirekt durch die enge Verflechtung mit der – ebenfalls profitierenden – deutschen Wirtschaft genutzt, während insbesondere der Osten einen deutlichen Anreiz zur verstärkten Internationalisierung erhielt. Die Gefährdungsbereiche infolge des Auslaufens der Sonderregelung für den Außenhandel mit sensiblen Produkten haben im Osten und Süden Österreichs eine größere Bedeutung als im Westen. Nach dem EU-Beitritt der MOEL werden die Produzenten im Umland der Großstädte und in den Zentralräumen der Bundesländer steigende Skalenerträge am besten nutzen können. Zwischen den Bundesländern wird sich der Grad der Betroffenheit aus der Osterweiterung mit zunehmender Integration der MOEL angleichen. Mit etwas geringeren Exportimpulsen wird die Industrie in den entwicklungsschwächeren Bundesländern Kärnten und Burgenland sowie in Salzburg zu rechnen haben.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 11/1998!