20. November 1998 • Politische und wirtschaftliche Perspektiven der EU-Osterweiterung • Helmut Kramer

Die politischen Zielsetzungen für die geplante Erweiterung der EU vor allem in Ost-Mitteleuropa sind mindestens so gewichtig wie die wirtschaftlichen. Die schwierigen politischen Entscheidungen würden erleichtert, wenn die wirtschaftlichen Perspektiven eindeutig und sehr verlockend wären. Dies trifft freilich eher für die längerfristige als für die absehbare Zukunft zu.

Eine Quantifizierung der wirtschaftlichen Erweiterungseffekte ist deshalb so schwierig, weil es für das Vorhaben kaum direkt anwendbare historische Erfahrungen gibt. Die Ergebnisse von Rechenmodellen – eine Reihe davon wird im Heft 11/1998 der WIFO-Monatsberichte präsentiert – können als unerläßlicher Ausgangspunkt für die politischen Entscheidungen gelten, sie müssen aber umfassend interpretiert werden:

Alle vorliegenden empirischen Kalkulationen ergeben für die gegenwärtigen Mitglieder der EU auf längere Sicht positive, wenngleich mäßige Wachstums- und Beschäftigungseffekte. Das hängt damit zusammen, daß sie für den Fall des Nichtzustandekommens der Erweiterung den gegenwärtigen integrationspolitischen Status quo annehmen, d. h. eine aufgewertete Freihandelszone.

Dies berücksichtigt verständlicherweise nicht, daß die Enttäuschung über den nicht absehbaren Beitritt in jenen Ländern Rückschläge auslöst. Nimmt man das als möglich oder wahrscheinlich an, dann wären die positiven Effekte bedeutender. Die Modelle erlauben weiters nicht, die positiven Effekte einer umfassenden Koordination der Wirtschaftspolitik dieser Länder mit der EU abzuschätzen. Auch dies sollte einen zusätzlichen ökonomischen Nutzen bringen.

Weitgehend unbestritten ist, daß die Erweiterung für kein EU-Land größeres Gewicht hat als gerade für Österreich. Sowohl die Chancen als auch die Anpassungserfordernisse sind größer als in allen anderen gegenwärtigen Mitgliedsländern.

Bezüglich der Chancen ist zu berücksichtigen, daß der Standort Österreich nicht nur für den Warenaustausch mit den MOEL zusätzlich aufgewertet würde, sondern daß Österreich sich auch im Informationszeitalter als Netzknoten in einem Netzwerk von informellen Wirtschaftsbeziehungen etablieren kann: als mitteleuropäisches Kompetenz-, Planungs-, Finanz- und Entscheidungszentrum. Daraus könnten Wertschöpfungseffekte entstehen, die über die rein güterwirtschaftlichen Integrationswirkungen deutlich hinausgehen.

Die Anpassungsprobleme betreffen in erster Linie die Öffnung des Arbeitsmarktes. Die vorliegenden Erkenntnisse deuten darauf hin, daß ohne einen längeren Übergangszeitraum eine einigermaßen friktionsfreie Integration der Arbeitsmärkte nicht riskiert werden sollte. Die bisherigen Berechnungen müssen jedoch noch in bezug auf Qualifikationen, Berufe und Branchen und auch in bezug auf die eigentlichen Motive und Triebkräfte für Migration oder Einpendeln in Österreich verfeinert werden.

In die Überlegungen muß auch einbezogen werden, daß Österreich an der Öffnung für bestimmte Qualifikationen von Arbeitnehmern und für bestimmte Beschäftigungszwecke trotz der gegebenen Arbeitsmarktsituation durchaus Interesse haben könnte.

Auch für den Arbeitsmarkt stellt sich die Frage nach dem Alternativszenario: Welche Wirkungen würden entstehen, wenn in diesen Ländern die Erwartungen wirtschaftlicher Verbesserungen enttäuscht würden? Vermutlich würden dann der Druck auf Auswanderung und das hohe Lohngefälle noch verschärft.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 11/1998!