18. August 1998 • Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Migration. Eine Herausforderung für die Arbeitsmarktpolitik Chinas • Gudrun Biffl

Gegenwärtig sind in China der offiziellen Statistik zufolge 8 Mill. Arbeitslose registriert; das entspricht einer Arbeitslosenquote von 4%.

Diese Zahlen sprechen aber nur die halbe Wahrheit. Arbeitslosigkeit wird in China nicht wie in westlichen Industrieländern definiert. China nimmt eine relativ rigide Trennung zwischen dem ländlichen und dem städtischen Arbeitsmarkt vor, die durch Niederlassungs- und Meldegesetze auch einen realen Hintergrund hat. Im wesentlichen werden nur städtische Arbeitslose registriert, und zwar nur eine Teilmenge: Zu den Arbeitslosen werden prinzipiell nur jene gezählt, die ihren Arbeitsplatz in einem Staatsbetrieb verloren haben und Arbeitslosenunterstützung beziehen, sowie Jugendliche, die erstmals in den Arbeitsmarkt eintreten und von ihren Eltern erhalten werden. Daraus ergibt sich die Summe von rund 8 Mill. registrierten Arbeitslosen. Hinzurechnen muß man jene etwa 10 Mill., die wegen Schließung von Teilen der Produktion in Staatsbetrieben ohne Arbeit sind, aber vom Betrieb zusätzlich zur Unterkunft eine geringfügige finanzielle Unterstützung erhalten. Die Werksarbeiter bleiben, ähnlich wie Kurzarbeiter in Europa, weiterhin im Betrieb beschäftigt, auch wenn sie keiner Arbeit nachgehen. Diese versteckte Arbeitslosigkeit ist mindestens ebenso hoch wie die registrierte.

Die ungenutzten Arbeitsressourcen umfassen neben der offenen und der versteckten städtischen Arbeitslosigkeit die arbeitslosen Landarbeiter. Diese strömen auf der Suche nach Arbeit in großer Zahl in die Städte und in die Küstengebiete. Dort arbeiten sie aufgrund einer Beschäftigungsbewilligung, die gleichzeitig die Basis für die Aufenthaltsbewilligung ist. Sie sind infolge dieser Bindung und der mangelnden Einbindung in das Sozialversicherungssystem eine besonders billige Arbeitsressource. Wenn man diese Migranten aus dem ländlichen Raum berücksichtigt, erreicht die Zahl der Arbeitslosen etwa 153 Mill., das entspricht einer Arbeitslosenquote von etwa 21%.

Die Arbeitslosigkeit steigt im Gefolge der rasanten Umstrukturierung der Wirtschaft Chinas rasch. Langzeitarbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung nehmen zu. Schon 1995 waren mehr als 30% aller Arbeitslosen in den Städten länger als 1 Jahr arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit ist im Landesinneren, d. h. den westlichen Provinzen, wesentlich ausgeprägter als an der Ostküste. In den meisten Regionen ist die Arbeitslosigkeit der Frauen höher als die der Männer.

Nach dem Tod Deng Xiaopings im Februar 1997 setzte ein neuer Reformschub ein, der den Anstieg der Arbeitslosigkeit deutlich beschleunigen dürfte, u. a. weil 5.500 überschuldete verstaatlichte Betriebe internationale Wettbewerbsfähigkeit anstreben. Das soll u. a. über massiven Abbau von Arbeitskräften erfolgen, zum Teil verbunden mit dem Einsatz neuer Technologien. Wenn wie geplant 20% bis 30% der Beschäftigten in den verstaatlichen Betrieben abgebaut werden sollten, ist das Arbeitslosenversicherungssystem nicht in der Lage, die Kosten vollständig zu übernehmen. Da China keine ausreichende Infrastruktur der Arbeitsvermittlung und Hilfestellung bei Betriebsgründungen sowie Aus- und Umschulungseinrichtungen hat, ist kein reibungsloser Übergang aus der Beschäftigung des verstaatlichten Bereichs in die Privatwirtschaft zu erwarten.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO Working Paper Nr. 101/1998: Unemployment, Underemployment and Migration – A Challenge for Labor Market Policy in China (S 100,–; Bestellungen bitte an Christine Kautz, Tel. (++43 1) 798 26 01/282, Fax (++43 1) 798 93 86, E-Mail kautz@wifo.ac.at).