26. Juni 1998 • Langfristige Prognose des Arbeitskräfteangebotes. Vorausschätzung 1996/2030 und Modellrechnung bis 2050 nach Bundesländern • Gudrun Biffl

Gemäß der soeben fertiggestellten Prognose des Arbeitskräfteangebotes bis zum Jahr 2030 von WIFO und ÖSTAT ist nach dem starken Anstieg der Erwerbsbevölkerung in den letzten 20 Jahren ab dem Jahre 2012 eine Trendwende zu erwarten. Die Verringerung des Arbeitskräfteangebotes bedeutet gemeinsam mit einer zunehmenden Überalterung der Bevölkerung eine Herausforderung für die Finanzierung der Pensionen. Die Prognose bietet eine Grundlage für wirtschafts-, sozial- und arbeitsmarktpolitische Entscheidungen, die die Erhaltung des Wirtschaftswachstums und des Wohlstands der Bevölkerung auch in der Phase knapper Arbeitsressourcen zum Ziel haben.

Die Prognose des Arbeitskräfteangebotes baut auf der mittelfristigen Prognose des WIFO auf: Im Sog der westeuropäischen Konjunktur erholt sich Österreichs Wirtschaft; die Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit angesichts von EU-Integration und Ostöffnung erfordert beträchtliche Anpassungsleistungen. Investitionen und Rationalisierungsfortschritte in den Unternehmen sowie beschäftigungspolitische Weichenstellungen erlauben jedoch ein stabiles Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum (1996/2001 BIP +2½% pro Jahr, Beschäftigung gemessen am Vollzeitäquivalent +90.000 bzw. +18.000 pro Jahr).

Das Beschäftigungswachstum reicht aber nicht aus, um das steigende Arbeitskräfteangebot vollständig aufzunehmen, die Arbeitslosigkeit bleibt daher mittelfristig ein ernstzunehmendes Problem der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Im Durchschnitt der Periode 1996 bis 2001 wird die Arbeitslosenquote bei 6% liegen (bezogen auf die Erwerbspersonen laut administrativer Statistik; laut EU-Statistik entspricht das einem Wert von 4,3%). Die Zahl der Arbeitslosen dürfte bis zum Jahr 2001 nur geringfügig auf etwa 215.000 schrumpfen (Arbeitslosenquote 5,8%). Erst mit dem Rückgang des Arbeitskräfteangebotes, der in den östlichen Bundesländern schon etwa 2006 einsetzen wird, ist mit einem kontinuierlichen Abbau der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Die Verknappung des Arbeitskräfteangebotes hat ab dem Jahr 2010 Engpässe zur Folge. Die Arbeitslosenquote dürfte aber kaum so niedrig sein wie zu Beginn der siebziger Jahre. Der Charakter des Arbeitsmarktes hat sich verändert, und die Höhe der "Vollbeschäftigungs-Arbeitslosenquote" ist unklar. Die Wirtschaftsdynamik könnte aber durch die hohen Belastungsquoten aus der Altersversorgung stark gebremst werden. Berufsanpassungen, d. h. berufliche und regionale Mobilität werden erforderlich sein, um das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten. Eine Urbanisierungswelle dürfte ausgelöst werden, und das Pendeln dürfte ebenso wie grenzüberschreitende Wanderungen zunehmen.

Der Rückgang des Arbeitskräfteangebotes kann durch einen Anstieg der Erwerbsbeteiligung abgeschwächt, aber nicht gestoppt werden. Das größte Reservoir an Arbeitsressourcen sind Frauen – es ist allerdings nur aktivierbar, wenn Maßnahmen zur Kinderbetreuung und Änderungen im Schulsystem (Ganztagsbetreuung) vorgenommen werden. Politisch-institutionelle Weichenstellungen zur Erleichterung der Kombination von Arbeit und Familie sowohl für Männer als auch für Frauen werden an Bedeutung gewinnen. Dasselbe gilt für die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit im Lebensverlauf, insbesondere im höheren Alter. Dies erfordert Umstellungen der Arbeitsorganisation, des Lohnsystems sowie der Pensionsregelungen. Beide Instrumente – die Anhebung der Erwerbsbeteiligung von Frauen in mittleren Jahren und von Älteren – werden allerdings nicht ausreichen, um den Rückgang des Arbeitskräfteangebotes soweit zu hemmen, daß die Belastungsquote der Erwerbstätigen durch Pensionsleistungen stabilisiert wird. Grenzüberschreitende Wanderungen werden zunehmend nötig sein, um einer Abschwächung des Wirtschaftswachstums entgegenzuwirken. In diesem Zusammenhang ist in der Osterweiterung der EU eine Chance zu sehen, wenn sie mit einer Zuwanderung von vor allem gut qualifizierten Arbeitskräften nach Österreich verbunden sein sollte.

Annahmen über das Erwerbsverhalten

Die der Angebotsprognose unterstellte Wirtschaftsentwicklung läßt erwarten, daß sich die Erwerbschancen der Frauen und älteren Arbeitskräfte mittelfristig nur schwach verbessern. Eine knappe Budgetsituation wird kaum eine Ausweitung der Kinderbetreuung zur Erleichterung der Kombination von Beruf und Familie zulassen. Daraus resultiert, daß die Frauenerwerbsbeteiligung in Österreich bis ins frühe nächste Jahrhundert schwächer steigt als im Ausland. Erst mit der demographisch bedingten Verknappung des Arbeitskräfteangebotes, der verstärkten Differenzierung der Beschäftigungsformen sowie den zunehmenden Wachstumsimpulsen aus der fortschreitenden Integration Europas nach einer Anpassungsphase ist mit einer merklichen Änderung des Trends und einer Konvergenz zur Entwicklung in der EU zu rechnen.

Flexible Beschäftigungsformen dürften im Laufe des nächsten Jahrhunderts in allen Bereichen üblich werden und den Eintritt in den Arbeitsmarkt erleichtern. Der wachsende Dienstleistungssektor wird insbesondere für Frauen und ältere Arbeitskräfte, die dann infolge des Greifens von Änderungen im Pensionssystem vermehrt zumindest auf Teilzeitbasis im Erwerbsprozeß bleiben, zunehmend Arbeitsmöglichkeiten schaffen.

Aus ökonomischen Gründen ist mit einer gewissen regionalen Konvergenz der Erwerbsbeteiligung zu rechnen, die aus dem raschen Umstrukturierungsprozeß von Agrarregionen und alten Industriegebieten resultiert.

Verknüpfung von Beschäftigung und Arbeitskräfteangebot

Nicht nur die Zahl der Erwerbspersonen wird nach 2012 schrumpfen, sondern auch die Zahl der Beschäftigten. Eine Abnahme des Anteils der Erwerbsbevölkerung an der Bevölkerung hat schwerwiegende soziale und wirtschaftliche Konsequenzen. Bei einer gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung entsprechend dem längerfristigen Trend wäre allein aus dieser Veränderung mit einer merklichen Abschwächung des Wachstums des materiellen Lebensstandards zu rechnen.

Abbildung 1: Anteil der Erwerbspersonen und der Beschäftigten an der Bevölkerung

Der Rückgang des Anteils der Erwerbsbevölkerung in den sechziger Jahren war die Folge der steigenden Geburtenzahlen bei gleichzeitiger Verlängerung der Ausbildungszeit von Jugendlichen, einer Ausweitung der Pensionsversorgung für ältere Arbeitskräfte (z. B. auf Bauern) und einer Nettoabwanderung aus Österreich. Die Landwirtschaft bot jedoch große Arbeitskräftereserven für den Produktionssektor, sodaß das Wirtschaftswachstum nicht durch eine Verknappung von Arbeitskräften behindert wurde. In den Jahren 2010 bis 2025 werden die Arbeitskraftreserven aus dem In- und Ausland aktiviert werden müssen, um ein anhaltendes Wirtschaftswachstum sicherzustellen.

Neben dem direkten Effekt der Wachstumseinschränkung hat die Überalterung der Gesellschaft einen indirekten negativen Wachstumseffekt, und zwar über die Sparquote und damit die Investitionen eines Landes. Im Alter wird tendenziell entspart – mit steigendem Anteil Älterer sinkt deshalb die gesamtwirtschaftliche Sparquote, und dies dämpft (über geringere Investitionen) das künftige Wirtschaftswachstum. Da der Staat durch die erforderlichen Infrastruktur- und Transferleistungen finanziell gefordert ist, hat auch der öffentliche Sektor wenig Investitionsspielraum.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 6/1998!