16. Juni 1998 • Aufschwung unterstützt Durchsetzung nationaler Beschäftigungsprogramme in der EU • Markus Marterbauer

Europa wird 1998 und 1999 das kräftigste Wirtschaftswachstum in der Triade erzielen. Die Beschleunigung der Konjunkturdynamik entlastet allmählich den Arbeitsmarkt und die öffentlichen Haushalte. Risken für den Aufschwung drohen weniger von der Entwicklung in Südostasien als von der sehr kritischen Wirtschaftslage in Rußland.

Der asynchrone Verlauf der Konjunkturzyklen innerhalb der Triade sowie die Finanz- und Wirtschaftskrise in Südostasien haben eine Verschiebung der Wachstumspole der Weltwirtschaft zur Folge. Der asiatische Raum – früher das Wachstumszentrum der Weltwirtschaft – befindet sich in einer schweren Krise. Südostasien verzeichnet 1998 aufgrund des Rückgangs der Inlandsnachfrage einen Einbruch der Wirtschaftsentwicklung. In Indonesien und Thailand sinkt das reale Bruttoinlandsprodukt heuer merklich. Japan ist mit den betroffenen Volkswirtschaften über Außenhandels- und Finanzbeziehungen eng verbunden und deshalb auch von der Krise besonders in Mitleidenschaft gezogen. Es befindet sich in einer deflatorischen Situation, in der der Handlungsspielraum der Wirtschaftspolitik eingeschränkt ist; mit einer raschen Erholung kann nicht gerechnet werden.

Die Wirtschaft der USA entwickelt sich seit Mitte 1991 sehr günstig, das Bruttoinlandsprodukt steigt durchschnittlich real um 2,8% pro Jahr. Das hohe Wirtschaftswachstum bildet den wichtigsten Bestimmungsgrund für die Erfolge in der Budgetkonsolidierung (1998 werden die öffentlichen Haushalte einen Überschuß von ½% des BIP aufweisen) und auf dem Arbeitsmarkt (die Arbeitslosenquote sank auf knapp 5%). Bei anhaltend kräftiger Konsum- und Investitionsnachfrage wird die aufgrund der kräftigen Dollaraufwertung geringere Exportausweitung das Wirtschaftswachstum leicht dämpfen.

Zur Konjunkturlokomotive für die Weltwirtschaft könnte nun zunehmend Europa werden. Die Rahmenbedingungen für einen langen und kräftigen Aufschwung sind günstig: Der problemlose Übergang in die Währungsunion trägt zur Stabilisierung der Erwartungen von Investoren und Konsumenten bei. Das nominelle Zinsniveau ist merklich gesunken und entlastet Unternehmen und öffentliche Haushalte. Die Budgetpolitik wird nicht mehr so nachfragedämpfend wirken wie in den letzten Jahren. Die niedrigen Rohölpreise bedeuten eine merkliche Kostenentlastung. Die Konjunkturbelebung war in der EU 1997 noch primär vom Export getragen. Nun beleben sich in den großen Ländern aufgrund verbesserter Absatzerwartungen und günstiger Gewinnlage die Ausrüstungsinvestitionen. Mit steigenden Einkommen und einer Verbesserung der Beschäftigungs-situation ergeben sich auch für den privaten Konsum – das mit Abstand wichtigste Nachfrageaggregat – wachsende Spielräume. Das Wirtschaftswachstum sollte sich in der EU somit auf real 2¾% (1998) und 3% (1999) erhöhen.

Übersicht 1: Wirtschaftswachstum

 

Bruttoinlandsprodukt

 

1996

1997

1998

1999

 

Veränderung gegen das Vorjahr in %

         

Große Industrieländer

+ 2,5

+ 2,7

+ 2,0

+ 2,3

  USA

+ 2,8

+ 3,8

+ 2,8

+ 2,0

  Japan

+ 3,9

+ 0,9

± 0,0

+ 1,5

  Deutschland

+ 1,4

+ 2,2

+ 2,5

+ 3,0

  Frankreich

+ 1,5

+ 2,4

+ 3,0

+ 3,0

  Italien

+ 0,7

+ 1,5

+ 2,3

+ 2,8

  Großbritannien

+ 2,2

+ 3,3

+ 2,0

+ 1,8

  Kanada

+ 1,2

+ 3,8

+ 3,3

+ 3,0

         

Kleine Industrieländer

+ 3,6

+ 3,9

+ 3,3

+ 3,5

  Spanien

+ 2,3

+ 3,4

+ 3,5

+ 3,5

  Australien

+ 3,7

+ 2,7

+ 3,0

+ 3,0

  Niederlande

+ 3,3

+ 3,3

+ 3,8

+ 3,3

  Türkei

+ 7,2

+ 6,3

+ 5,5

+ 5,0

  Belgien

+ 1,5

+ 2,7

+ 2,8

+ 2,8

  Schweiz

- 0,2

+ 0,7

+ 2,0

+ 1,8

  Schweden

+ 1,3

+ 1,8

+ 2,5

+ 2,8

  Österreich

+ 1,6

+ 2,5

+ 2,7

+ 3,0

  Dänemark

+ 3,5

+ 3,4

+ 3,0

+ 3,0

  Portugal

+ 3,0

+ 3,5

+ 4,0

+ 3,8

  Griechenland

+ 2,7

+ 3,5

+ 3,5

+ 3,5

  Norwegen

+ 5,3

+ 3,5

+ 4,5

+ 3,0

  Finnland

+ 3,6

+ 5,9

+ 4,0

+ 4,0

  Neuseeland

+ 2,7

+ 2,8

+ 3,0

+ 3,0

  Irland

+ 7,7

+ 10,5

+ 8,0

+ 6,0

  Luxemburg

+ 3,0

+ 3,7

+ 3,5

+ 3,5

  Island

+ 5,5

+ 5,0

+ 4,5

+ 3,5

  Korea

+ 7,1

+ 5,5

- 0,3

+ 4,0

  Mexiko

+ 5,2

+ 7,0

+ 5,0

+ 5,0

  Polen

+ 6,1

+ 6,9

+ 6,0

+ 6,0

  Ungarn

+ 1,3

+ 4,4

+ 5,0

+ 5,0

  Tschechien

+ 3,9

+ 1,0

+ 2,0

+ 4,0

         

OECD insgesamt

+ 2,7

+ 2,9

+ 2,3

+ 2,5

EU

+ 1,8

+ 2,6

+ 2,8

+ 3,0

Die Konjunkturbelebung in den EU-Ländern bildet die wichtigste Voraussetzung für einen Rückgang der Arbeitslosenquote vom derzeit hohen Niveau (1997 10,6%). Die gegenwärtigen Wachstumsannahmen lassen bis 1999 ein langsames Sinken der Quote auf 10% erwarten. Mit dem Vertrag von Amsterdam haben die EU-Länder eine neue Grundlage für die Beschäftigungspolitik geschaffen – deren Stellenwert im Zielkatalog der EU-Politik in letzter Zeit merklich gestiegen ist. Die Kommission legte "Leitlinien zur Beschäftigungspolitik" vor, die allerdings fast ausschließlich eine Politik der einzelnen Mitgliedstaaten initiieren und koordinieren will. Gesamtwirtschaftliche Überlegungen, die Handlungsanforderungen auf europäischer Ebene hätten entstehen lassen, finden sich kaum. Die Politikempfehlungen sollen von den Mitgliedsländern im Rahmen von "Nationalen Aktionsplänen für Beschäftigung" verwirklicht werden. Eine erste Analyse der "Nationalen Aktionspläne" zeigt, daß die Mitgliedstaaten den Schwerpunkt auf jene Maßnahmen legen, denen sie schon bisher hohe Aufmerksamkeit schenkten.

Ein nicht zu vernachlässigendes Risiko für die europäische Konjunktur bildet die unsichere Lage in einigen Transformationsländern. In den fortgeschrittenen "Reformstaaten" Ost-Mitteleuropas deutet alles auf eine Fortsetzung des Aufholprozesses hin, die Wachstumsdynamik wird allerdings immer wieder durch Zahlungsbilanzungleichgewichte gebremst. Rußland und andere Länder der GUS hingegen befinden sich in einer sehr kritischen Situation. Die restriktive Geldpolitik zur Verhinderung von Kapitalabflüssen erlaubt keine Belebung des Wirtschaftswachstums, der Verfall der Erdölpreise läßt die wichtigste Einnahmequelle spärlich fließen. Zur Zeit ist nicht absehbar, wie die Krisensituation ohne ein umfangreiches internationales Finanzhilfepaket bewältigt werden kann.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 6/1998!