4. Mai 1998 • Zu den Beschlüssen über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion • Helmut Kramer

Elf EU-Staaten, darunter Österreich, bilden ab 1. Jänner 1999 eine Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Der Eintritt in die 3. Phase der Errichtung der WWU schließt langjährige politische und organisatorische Vorbereitungen ab. Die unerwartet deutliche Konvergenz und Normalisierung wichtiger monetärer und fiskalischer Kriterien (Inflation und Zinsen äußerst niedrig, Budgetdefizite unter dem Maastricht-Grenzwert von 3% des BIP) sowie die gegenwärtig dynamische Konjunktur in Westeuropa bilden eine vergleichsweise günstige ökonomische Grundlage für den Start der gemeinsamen Währung.

Die WWU verspricht wirtschaftlich – neben dem politischen Argument einer Vertiefung der Integration – die weitgehende Beseitigung innereuropäischer Wechselkursunsicherheiten und damit von Kurssicherungskosten, eine Entlastung der Wirtschaft, Konsumenten und Anleger von Transaktionskosten sowie höheren Einfluß der europäischen Währungspolitik in der Weltwirtschaft.

Gerade in den neunziger Jahren haben Abwertungen von geographisch peripheren EU-Mitgliedern mehrfach den Wettbewerb im Binnenmarkt erheblich gestört. Solche Ereignisse könnten ohne Währungsunion und unter Beibehaltung des wenig institutionalisierten Europäischen Währungssystems auch in Zukunft kaum verhindert werden und die Freiheiten des Binnenmarktes erschüttern.

Die Konstruktion der WWU ist dennoch vor allem unter Ökonomen nach wie vor umstritten. Anhänger der "Krönungstheorie", die besonders in Deutschland und in den USA zahlreich und namhaft sind, würden eine Währungsunion erst als krönenden Abschluß nach vollständiger Konvergenz und Vereinheitlichung auch der politischen Institutionen riskieren.

Sie verweisen vor allem darauf, daß der gemeinsamen Geldpolitik keine ebenso durchsetzungsfähige gemeinsame Wirtschafts-, vor allem Budgetpolitik gegenüberstehe. Im Fall ungleicher Wirtschaftslage oder asymmetrischer Schocks könnte das politisch schwächere Regierungen verleiten, sich letztlich zu Lasten der Partner und des Vertrauens der Kapitalmärkte in die gemeinsame Währung zu verschulden. Die Staatsverschuldung sei jedenfalls in Belgien und Italien bereits heute zu hoch und bedeutend höher als der in Maastricht vereinbarte Grenzwert.

Die ursprüngliche "monetaristische" Gegenposition wollte der monetären Integration, ungeachtet der sonstigen Konvergenz, Vorrang geben, weil die Währungsunion diese automatisch nach sich ziehe. Sie wird in dieser Form kaum mehr vertreten. Der Vertrag von Maastricht (1992) sowie der Wachstums- und Stabilitätspakt von Amsterdam (1997) repräsentieren mühevolle Kompromisse zwischen diesen radikalen Positionen.

Gegen zweifellos gegebene Risken der Währungsunion kann eingewandt werden:

  • Die Beibehaltung des gegenwärtigen währungspolitischen Zustands in der EU müßte mit Sicherheit hohe Risken und Effizienzverluste in Kauf nehmen.
  • Positive Lerneffekte (der Budget-, der Einkommens- und Sozialpolitik) und dementsprechend eine bessere Koordination der nationalen Wirtschaftspolitik können angenommen werden.
  • Die Währungsunion wird die weitere Budgetsanierung u. a. durch vergleichsweise niedrigere Zinsen erleichtern.
  • Der konjunkturpolitische Spielraum der nationalen Budgetpolitik ist zwar eingeschränkt, jedoch nach der vereinbarten weiteren Konsolidierung keineswegs Null.
  • Neben ausreichender Lohn- und Arbeitsmarktflexibilität könnte eine mittelfristige Standortpolitik auf nationaler Ebene notwendige Anpassungen erleichtern.
  • Die EU-Institutionen sind notwendigerweise ohne historisches Vorbild, und man darf ihre Wirkungsweise nicht mit Währungsunionen des 19. Jahrhunderts vergleichen.

Jedenfalls wurden wichtige Einrichtungen zum Schutz der gemeinsamen Währung vereinbart: Unabhängigkeit des Systems der Europäischen Notenbanken, Verbot der Finanzierung öffentlicher Einrichtungen durch die EZB oder nationale Notenbanken, Haushaltsdisziplin, Wirtschaftspolitik als Angelegenheit gemeinsamen Interesses.

Wir betrachten auch die 1997 vereinbarte ambitioniertere Beschäftigungspolitik nicht unbedingt als Gegensatz zu den Stabilitätsverpflichtungen der Währungsunion. Im Gegenteil kann eine zufriedenstellende Lage auf dem Arbeitsmarkt als besonders wichtiges Fundament des langfristigen Bestands der WWU angesehen werden. Die Beseitigung von Ineffizienzen des Arbeitsmarktes und des Bildungssystems kann gleichzeitig die Beschäftigungslage und die volkswirtschaftlichen Kosten – damit die Preisstabilität – verbessern.

Für Österreich bot sich unabhängig von der Beurteilung der Risken der Währungsunion keine wirklich seriöse Alternative zur Teilnahme. Einen – allgemein unerwarteten – Außenseiter Schilling würden der Vertrauensverlust und die Verunsicherung der Kapitalmärkte wahrscheinlich teuer zu stehen kommen, umso mehr, als Österreich der Kernzone der Währungsunion (Deutschland, Frankreich, Benelux) angehört, die die traditionellen Kriterien eines optimalen Währungsgebietes annähernd erfüllt. Asymmetrische Schocks sind daher für Österreich weniger wahrscheinlich.

Außerdem konnte sich die österreichische Wirtschaft auf eine auch in der Währungsunion unerläßliche Flexibilität der Reallöhne und einen längerfristig überdurchschnittlichen Produktivitätsfortschritt stützen. Österreich konnte aus diesen Gründen auf das bisher theoretisch verfügbare Instrument der Abwertung schon in den letzten Jahrzehnten glaubhaft verzichten.

Die günstige Ausgangsposition für den Eintritt Österreichs in die Währungsunion darf nicht dazu verleiten anzunehmen, daß die weitere Stabilität und Konvergenz in der Währungsunion automatisch gegeben seien und auch die notwendigen Strukturanpassungen von selbst positiv wirken würden.

Drei Hauptaufgaben der Wirtschaftspolitik werden darüber entscheiden, ob die gemeinsame Währung für Österreich tatsächlich ein Erfolg wird:

  1. Die Budgetsanierung kann nicht als abgeschlossen angesehen werden. Die Verpflichtungen aus der WWU sehen mittelfristig eine Reduktion des Staatsdefizits auf nahe Null vor, und diese Entwicklung muß nachhaltig sein. Angesichts bereits angemeldeter Forderungen an den Staatshaushalt (Familienbesteuerung, Tarifreduktion der Lohn- und Einkommensteuer u. a.) wird mehr Verständnis für makroökonomische Rücksichten notwendig sein. Unterstützt würde dies durch weitere Reformen, die die Effizienz der öffentlichen Dienste deutlich anheben oder ihre Kosten senken.
  2. Die Standortbedingungen für die Wirtschaftstätigkeit in Österreich sind weiter zu verbessern. Unter anderem sind möglicherweise verzichtbare Rigiditäten im Gewerbe- und Arbeitsrecht zu überprüfen.
  3. Die österreichische Wirtschaft selbst wird in der Währungsunion einem noch intensiveren Wettbewerb ausgesetzt. Transparenz der Preise, vermehrte grenzüberschreitende Angebote, Konzentrationstendenzen in wichtigen Sektoren (Finanzdienstleistungen, Handel, Konsumgüterindustrie) sind zu erwarten. Da ein wirksamer Schutz davor weder möglich noch volkswirtschaftlich sinnvoll ist, müssen österreichische Unternehmen sich bietende Chancen der Spezialisierung und der Europäisierung verstärkt ergreifen.