20. November 1997 • Reform des österreichischen Regulierungssystems • Karl Aiginger, Michael Peneder

Die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft wird am deutlichsten durch den steigenden Weltmarktanteil der Exporte dokumentiert: Der Anteil Österreichs am Weltexport ist von 0,7% in den fünfziger Jahren auf 1,1% in den neunziger Jahren gestiegen. Die Bedeutung der österreichischen Warenlieferungen hat demnach um mehr als die Hälfte zugenommen. Ähnlich zeigt sich der Aufholprozeß Österreichs im Wirtschaftswachstum, in bezug auf Produktivität und Pro-Kopf-Einkommen.

Das wirtschaftliche Umfeld hat sich in den letzten Jahren allerdings verändert: Durch die Ostöffnung ist ein neuer Markt erschlossen worden, es kamen aber auch viele neue Billigkonkurrenten hinzu; die Wirtschaft wächst in Ostasien mittelfristig; jene der USA expandiert in den letzten Jahren stärker als jene Europas, und innerhalb Europas wachsen traditionelle österreichische Märkte wie Deutschland und die Schweiz unterdurchschnittlich. Österreich ist durch seine Wirtschaftserfolge ein Hochlohnland geworden, das seine Wettbewerbsvorteile im mittleren und anspruchsvollsten Marktsegment suchen muß. Der EU-Beitritt hat die Marktöffnung auf einen weiteren großen Bereich von bisher stark regulierten Branchen (Telekommunikation, Post, Strom-, Gasversorgung, Molkereien) ausgedehnt. Davon ist mittelfristig ein positiver Wertschöpfungsbeitrag zu erwarten, kurzfristig Preissenkungen und Beschäftigungseinbußen.

Das österreichische Wirtschaftssystem ist ein Spezialfall des "Europäischen Modells". Stärker als in den USA sind wirtschaftliche Risken staatlich abgesichert, wesentlich mehr Sachverhalte sind reguliert, Betriebsgründungen sind deutlich schwieriger, der Wettbewerb teilweise durch staatliche Unterstützung abgefedert. Österreich nähert sich durch den EU-Beitritt dem europäischen Mainstream, weist aber in einigen Punkten noch eine höhere Interventionsintensität auf – der Anteil der öffentlichen Ausgaben am BIP beträgt 52% (EU 50%, USA 33%), die staatliche Infrastruktur wurde spät liberalisiert. Allerdings gab es in den letzten Jahren Privatisierungs- und Flexibilisierungsschritte, die die Reformfähigkeit dokumentieren: Die Verstaatlichte Industrie ist privatisiert, Arbeitszeiten und Betriebszeiten sind in der Industrie teilweise entkoppelt, die Lebenseinkommenskurve wurde für neue Mitarbeiter verflacht, betriebliche Erfolgsprämien können in der Metallindustrie auf die kollektivvertraglich fixierte Lohnsteigerung angerechnet werden und verstärken die Leistungselemente, für die Anstellung von Langzeitarbeitslosen entfallen befristet Sozialversicherungsbeiträge usw.

Dennoch nennen in einer Befragung international orientierte, in Österreich tätige Manager den Aufwand für administrative Auflagen an erster Stelle und ineffiziente Genehmigungsverfahren an zweiter Stelle jener Faktoren, die Österreich als Industriestandort belasten. Mangelnde Anpassungsfähigkeit und Reformbereitschaft nehmen den achten Rang ein und unklare Entscheidungswege im öffentlichen Bereich den zehnten unter 47 Faktoren, deren Bewertung erfragt wurde.

In einer Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten wurden von Ökonomen, Juristen, Verwaltungsexperten und Interessenvertretern 10 Reformvorschläge für die Effizienzsteigerung des staatlichen Interventionssystems ausgearbeitet:

  • Einführung von Public Sector Management: Ausgehend von einer Aufgabenkritik werden Struktur und Organisation der Verwaltung nach modernen Managementprinzipien umgestaltet. Beispielhaft sollten Globalbudgets für Aufgabenbereiche eine bessere Mittelverwendung ermöglichen, Einsparungserfolge werden zwischen Abteilung, Kostenträger und einem Zukunftsfonds gedrittelt.
  • Ausgliederungen und Privatisierung: In vielen Bereichen können öffentliche Interessen und Ziele in ausgegliederten Unternehmen besser erfüllt werden. Bei der Ausgliederung muß sich die öffentliche Hand eines professionellen, leistungsabhängig bezahlten Experten (Privatisierungsagent oder -agentur) bedienen, der dafür sorgt, daß der erwünschte Unternehmenszweck erhalten bleibt, die Kosten aber reduziert werden. Ohne diesen Experten setzen sich die Teilinteressen des ausgegliederten Unternehmens zu Lasten des Eigentümers durch.
  • Anreizsteuerung: Die öffentliche Hand kann durch Bindung von Zahlungen an die Ziele ihrer Intervention dezentrale Entscheidungsträger zu gewünschtem Verhalten anleiten. Die Bindung der Finanzierung an Leistungskriterien oder belegbares Interesse der Konsumenten veranlaßt Schulen, Universitäten, Spitäler zu dezentralen Maßnahmen zur Erreichung optimaler Qualität bei niedrigen Kosten.
  • Konkurrenz nach innen und nach außen: Viele Aufgaben können innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Sektors abgewickelt werden. Basis der Entscheidung darüber wäre ein Kostenvergleich. Dabei kann auch Konkurrenz innerhalb des öffentlichen Sektors (zwischen Abteilungen, Gemeinden) auftreten (z. B. Reparaturen, Kantinen, technische Überprüfung).
  • Auktionen zur Ermittlung des Bestbieters: Genehmigungen, aber auch Verpflichtungen können in einer Ausschreibung an jenen Bewerber vergeben werden, der neben der Erfüllung der Qualitätskriterien die höchste Lizenzgebühr bietet oder für defizitäre Tätigkeiten den geringsten Zuschuß fordert. Die Versteigerung von Frequenzen z. B. für Mobiltelefone oder die Garantie des öffentlichen Verkehrs auf einer bestimmten Strecke sind Beispiele.
  • Veränderung der Regulierungsziele: Während in der Vergangenheit die Regulierung Preisobergrenzen festlegte und oft auch Investitionsentscheidungen absegnete, dient sie heute dazu, Wettbewerb zu schaffen und neuen Unternehmen die Nutzung von Engpaßkapazitäten (Netze) zugänglich zu machen. Beispiele dafür sind Telefon, Bahn, Stromnetz.
  • Sozialpartner als Standortpartner: Die Möglichkeiten, durch Lohnsteigerung direkt die Wohlfahrt zu erhöhen, sind heute durch die internationale Konkurrenz um Industriestandorte begrenzt; durch Preisobergrenzen die Inflation zu begrenzen, ist dank internationaler Konkurrenz nur noch in Ausnahmefällen notwendig. Die wichtigste industriepolitische Aufgabe ist es, die Standortvoraussetzungen für Industriebetriebe so zu verbessern, daß Gewinne in Österreich investiert werden. Die Gestaltung von Fachhochschulen, Verbesserung der Ausbildung und der Infrastruktur, Bereinigung veralteter Vorschriften, Bauartgenehmigungen statt Einzelgenehmigungen sind Beispiele dafür.
  • Benchmarking und Leistungsmessung: Wesentlich mehr Vorgänge und Prozesse können einer Effizienzkontrolle unterzogen werden, als dies bisher geschehen ist. Die Dauer von Betriebsgründungen, von Anlagegenehmigungen, die Zahl der benötigten Formulare usw. können international verglichen werden. Die Reform des nationalen Systems kann sich an der jeweils besten Praxis orientieren. Daran, ob ein Sachverhalt in anderen Ländern geregelt ist, kann die Notwendigkeit einer nationalen Regelung gemessen werden.
  • Deregulierungsverpflichtung und Kostenabschätzung: Die Folgekosten von Gesetzen müssen für Verwaltung und Wirtschaft im voraus geschätzt werden. Für jedes Gesetz ist zu begründen, warum es nicht mit einer Ablauffrist versehen wird. Der Rechtsbestand wird durch eine Deregulierungskommission durchforstet. Das Beispiel Australiens zeigt, daß diese Durchforstung die Einbindung privater Institutionen erfordert.
  • Reformexperimente: Wenn die Vorteilhaftigkeit einer Reform oder die Wahl des besten Modells nicht auf der Hand liegt, sollten mehrere Reformexperimente parallel ablaufen. Dafür bieten sich Modelle zur Erleichterung von Betriebsgründungen, aber auch eine Kostenentlastung für Unternehmen an, die zusätzliche Arbeitskräfte anstellen, Lehrlinge ausbilden usw.

In einem Wirtschaftssystem, in dem rund die Hälfte aller Prozesse und Leistungen von der öffentlichen Hand beeinflußt wird, ist es für die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft entscheidend, daß die Ziele der Eingriffe erreicht werden und die Durchführung mit geringstmöglichem Aufwand abläuft. Die Managementliteratur, ausländische Beispiele und die zehn genannten Vorschläge zeigen diesen Reformspielraum für Österreich deutlich auf.