27. Oktober 1997 • Europäische Währungen gegenüber dem Dollar weiterhin überbewertet • Stephan Schulmeister

Die künftige Wirtschaftsentwicklung wird in der EU in hohem Maß davon abhängen, mit welchen Konversionskursen die Teilnehmer an der Währungsunion den Euro übernehmen und wie sich der Wechselkurs des Euro gegenüber dem Dollar entwickeln wird; daher hat das WIFO im Rahmen seiner mittelfristigen Prognose das Ausmaß der Über- bzw. Unterbewertung der wichtigsten EU-Währungen und des Dollars untersucht, also die Abweichungen zwischen Wechselkurs und Kaufkraftparität.

Gemessen an einem Warenkorb aller Güter und Dienstleistungen (BIP) beträgt die Kaufkraftparität des Dollars gegenüber dem Schilling derzeit 14,0 (eine "Einheit BIP", welche in den USA 1 $ kostet, kostet in Österreich 14 S); bei einem Wechselkurs von 13,5 ist der Dollar derzeit gegenüber dem Schilling um nur 3,6% unterbewertet ("weich"). Wesentlich größer ist die Unterbewertung des Dollars gegenüber der wichtigsten europäischen Währung, der DM: Die Kaufkraftparität des BIP beträgt 2,03 DM je Dollar, der Wechselkurs aber nur 1,75; der Dollar ist somit gegenüber der DM um 13,8% unterbewertet, die DM umge-kehrt um 16,0% überbewertet ("hart"). Anders ausgedrückt: in einheitlicher Währung ist "eine Einheit" BIP in Deutschland um 16% teurer als in den USA.

Für die Beurteilung der preislichen Konkurrenzfähigkeit sind die Kosten eines Warenkorbs des BIP weni-ger relevant (dieser enthält z. B. auch die Leistungen des öffentlichen Dienstes) als jene der internatio-nal gehandelten Sachgüter ("Tradables"); allerdings ist die Kaufkraftparität von Tradables nicht aus Daten-banken abrufbar, sodaß üblicherweise nur die Kaufkraftparität des BIP verwendet wird.

Gemessen an der Kaufkraftparität der Tradables ist das Ausmaß der Unterbewertung des Dollars noch wesentlich größer als auf der Basis des BIP, gegenüber der DM beträgt sie 20,2% (die Kaufkraftparität der Tradables liegt derzeit bei 2,194 DM je Dollar). Anders ausgedrückt: bei einem Wechselkurs von 1,75 DM je Dollar sind Sachgüter in Deutschland um 25,4% teurer als in den USA.

Abbildung 1 zeigt, daß der Dollarkurs gegenüber den vier wichtigsten EWS-Währungen seit Mitte der achtziger Jahre permanent unterbewertet war, und zwar gemessen an den Tradables in viel höherem Ausmaß als auf der Basis des BIP (die meisten der international nicht gehandelten Dienstleistungen wie etwa jene des Gesundheits- und Bildungswesens sind in den USA relativ teuer, Industrieprodukte hingegen relativ billig). Dementsprechend ist der Anteil der USA an den Gesamtexporten aller Industrieländer seit 1985 von 13,5% auf 19,8% gestiegen, jener der großen EU-Länder hingegen gefallen (die stärksten Marktanteilsverlu-ste erlitt die deutsche Wirtschaft).

Innerhalb der EU verschob sich das Preisniveau (in einheitlicher Währung) bis 1992 nur geringfügig, die Wechselkursänderungen entsprachen annähernd den Inflationsdifferentialen. Die nachfolgenden Währung-sturbulenzen veränderten die Konkurrenzverhältnisse innerhalb der EU dramatisch: So waren 1992 Sachgüter in Italien um 5,9% teurer und in Großbritannien um 7,5% billiger gewesen als in Deutschland, 1995 waren hingegen italienische und englische Produkte in einheitlicher Währung um 20,0% bzw. 22,6% billiger als Sachgüter aus der BRD.

Seit 1995 haben Aufwertungen von Lira, Pfund und den meisten anderen Weichwährungen die Wäh-rungsdisparitäten innerhalb der EU weitgehend korrigiert: Ende August 1997 lagen die Wechselkurse von DM, französischem Franc, Lira und Pfund annähernd auf dem Niveau der (bilateralen) Kaufkraftparität der Tradables – sie waren gegenüber dem Dollar im gleichen Maß überbewertet (Abbildung 1).

Die Untersuchungen bestätigen, daß der Wechselkurs einer Währung nicht nur von seinem realwirt-schaftlichen Gleichgewicht bestimmt wird, sondern auch von "autonomen" Entwicklungen auf den Devisen-märkten.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 10/1997!