22. Oktober 1997 • Österreichs Wirtschaft in einer veränderten Umgebung • Helmut Kramer

Erfolgsgeschichte

Österreichs wirtschaftlicher Werdegang war bis in jüngste Zeit eine Erfolgsgeschichte. Österreich hat seinen Entwicklungsrückstand, den es in erster Linie den unglücklichen politischen Geschehnissen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, zum Teil aber schon davorliegenden Entwicklungshindernissen zur Zeit der Monarchie verdankte, aufgeholt. Es verzeichnet bis heute volkswirtschaftliche Leistungsdaten, die denen anderer europäischer Staaten weit überlegen sind: Arbeitslosigkeit und Inflation sind deutlich niedriger als im EU-Durchschnitt, das Sozialprodukt je Einwohner und die Arbeitsproduktivität höher, Budget- und Leistungsbilanzprobleme halten sich im Durchschnitt.

Veränderte Umgebung

Die neunziger Jahre sind durch nahezu gleichzeitige Veränderungen wesentlicher Rahmenbedingungen gekennzeichnet: volle Teilnahme an der Europäischen Union, Öffnung Ost-Mitteleuropas, Globalisierung wirtschaftlicher Strategien, Einsatz neuer Informations- und Kommunikationssysteme, Veränderung der vorherrschenden wirtschaftspolitischen Paradigmen.

Österreich ist von diesen Veränderungen besonders herausgefordert: Es liegt im Schnittpunkt der historischen europäischen Veränderungen, sein Kostenniveau ist eines der höchsten der Welt; von dem Umstand, nicht mehr eine "Insel der Seeligen" zu sein, wird nur zögernd Kenntnis genommen – mit dem Risiko, für aktive Gestaltung zu spät zu kommen und von internationalen Tendenzen überrollt zu werden.

Wirtschaftspolitisch wäre eine signifikante Sonderrolle Österreichs (wie noch bis in die beginnenden achtziger Jahre) eine gefährliche Illusion. Anpassungen sind notwendig, wobei der Reformbedarf oft unterschätzt wird. Gleichzeitig sind die denkbaren Optionen für die Zukunft noch zu wenig diskutiert und bewertet.

Öffnung zum Wettbewerb

Die österreichische Wirtschaft dankte ihren Aufstieg in erster Linie einem verhältnismäßig kleinen, aber leistungsfähigen Sektor der Industrie und des Gewerbes, aber auch international wettbewerbsfähigen Angeboten im Tourismus und in anderen Dienstleistungsbereichen – erst in zweiter Linie auch einer verhältnismäßig geschickten wirtschaftspolitischen Konstellation.

Der exponierte Sektor hatte eine beträchtliche Last eines großen und relativ weiter wachsenden öffentlichen Sektors und einiger weniger dem Wettbewerb geöffneter Wirtschaftszweige zu tragen, welche gewohnt waren, ihre Kosten in die Preise überwälzen zu können.

Ein großer Teil des durch verschiedenste Gegebenheiten geschützten Sektors der Wirtschaft wird derzeit dem scharfen internationalen Wettbewerb ausgesetzt: Monopole, Inlandskartelle, Alleinimporteure, Anbieter bei öffentlichen Ausschreibungen, die Landwirtschaft und Teile der Nahrungsmittelverarbeitung, inländische Tochterunternehmen internationaler Konzerne, Medien, Straßen-, Schienen- und Luftverkehr, Post und Telekommunikation, Versorgungsunternehmen, Einzelhandelsketten, Teile des Bank- und Versicherungsgeschäfts, freie Berufe sowie Unternehmen, die von großzügigen Ansiedlungsbeihilfen unterstützt waren (sofern solche nicht der EU-Regionalpolitik entsprechen).

Der Anteil des international im Wettbewerb stehenden Sektors nahm in wenigen Jahren von rund einem Drittel auf weit mehr als die Hälfte der Wirtschaft zu. Auch der öffentliche Dienst hat sich de facto in einer internationalen Standortkonkurrenz zu bewähren.

Optionen für die Zukunft

Österreich muß sich fundamental auf die neue Umgebung umorientieren. Eine verbreitete Innovationsunlust muß auch in der Ausbildung und in der öffentlichen Meinung abgebaut werden. Die neue internationale Umgebung und die Möglichkeiten der modernen Technologien sind – durchaus nicht unkritisch – als Chancen zu verstehen, die aktiv ergriffen werden müssen, um nicht passiv betroffen zu sein.

Der Aufholprozeß der Transformationsländer in Ost-Mitteleuropa ist nicht in erster Linie eine Bedrohung, sondern ein Potential für Österreich. Österreich nützt seine hervorragenden Fähigkeiten noch zu wenig global, während sich Teile der öffentlichen Meinung unreflektiert vor der "Globalisierung" bedroht fühlen. Die Verlagerung der Wirtschaftspolitik auf die Ebene der EU bedeutet, daß Österreich dort aktiv mitgestalten kann und muß, um seine Interessen zu wahren.