21. Juli 1997 • Beschäftigungstendenzen im Telekommunikationssektor • Hannes Leo

Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes geht in Europa in die entscheidende Phase. Am 1. Jänner 1998 verlieren die bisher dominanten Anbieter im Großteil der EU-Länder das ausschließliche Recht, Sprache auf ihren Netzen zu übertragen (Wegfall des Sprachmonopols) und erhalten Konkurrenz durch alternative Infrastruktur- und Dienstleistungsanbieter. Die vorliegende Analyse der nationalen und internationalen Beschäftigungsentwicklung beschränkt sich zur Schätzung der Beschäftigungsentwicklung in Österreich bis zum Jahr 2000 pragmatisch auf den Telekommunikationssektor – und damit auf die Bereiche Infrastruktur, Mehrwertdienste und Ausrüstungsgüter.

Internationale Beschäftigungsentwicklung

Seit Anfang der achtziger Jahre sinkt die Zahl der Beschäftigten von öffentlichen Telekommunikationsoperatoren laufend (1985/1995 –8,5%), besonders in jenen Ländern, welche diesen Markt bereits früh liberalisiert haben (Neuseeland, Japan, Großbritannien, Finnland; Übersicht 1). Aber auch in Irland und Griechenland verringerte sich die Beschäftigung trotz verzögerter Liberalisierung deutlich.

Der frühe Beginn dieses Trends und der rasche Abbau in einigen Ländern mit zögernder Liberalisierung unterstreichen den Umstand, daß die Reduktion der Beschäftigtenzahl in erster Linie durch die Digitalisierung der Telefonie hervorgerufen wird und nicht ausschließlich durch verstärkten Wettbewerb. Die Liberalisierung schafft allerdings erst – verstärkt durch Ausgliederung und Privatisierung der Unternehmen – die Anreize, Einsparungspotentiale durch neue Technologien und organisatorische Weiterentwicklung zu realisieren.

Gerade auf den kompetitivsten Märkten entstehen neben den Einsparungen des einstigen Monopolanbieters durchaus beachtliche Beschäftigungschancen bei den Mitbewerbern. Überdies löst die unter Wettbewerb insgesamt wesentlich aktivere Marktbearbeitung ein kräftiges Marktwachstum aus – ein Trend, von dem auch der frühere Monopolanbieter profitiert.

Für die Gerätehersteller werden die Rahmenbedingungen durch die Liberalisierung härter. Althergebrachte Verflechtungen mit Telekommunikationsoperatoren verlieren an Bedeutung. Für Europa (EU 12) – das etwas mehr als die Hälfte zur Weltproduktion von Telekommunikationshardware beiträgt – rechnet man bis 2001 mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate der Produktion von 4,0% p. a., begleitet jedoch vom Abbau von rund 30.000 Beschäftigten zwischen 1996 und 2000.

Übersicht 1: Zahl der Beschäftigten öffentlicher Telekommunikationsoperatoren in der OECD

 

1985

1990

1991

1992

1993

1994

1995

1985/1995

               

Veränderung in %

                 

Australien

92.238

83.839

77.953

72.164

70.273

67.939

75.516

–14,3

Österreich

18.239

18.415

18.305

18.300

18.144

17.870

17.273

–0,7

Belgien

27.609

26.031

26.087

25.911

25.344

25.375

24.908

–15,5

Kanada

99.765

104.335

100.655

97.140

126.910

127.529

144.551

+30,1

Dänemark

16.900

17.700

18.100

17.700

16.891

16.678

16.476

+3,6

Finnland

20.990

20.198

19.080

16.072

15.153

14.607

15.141

–28,2

Frankreich

166.788

156.615

156.100

155.300

154.548

151.913

150.403

–8,8

Deutschland

212.364

212.000

225.628

229.710

234.000

231.000

227.261

+11,5

Griechenland

30.571

28.026

27.593

26.716

26.349

26.140

24.581

–21,1

Island

1.080

959

985

995

995

1.003

1.010

–4,5

Irland

16.165

13.472

13.544

13.425

12.818

12.332

12.025

–36,5

Italien

109.792

104.610

106.327

106.081

111.500

105.500

103.000

–1,4

Japan

311.000

272.626

266.111

252.970

242.097

224.439

218.533

–33,8

Luxemburg

675

703

760

800

790

790

799

+25,0

Mexiko

37.487

49.912

49.488

48.937

49.819

50.073

50.413

+60,6

Niederlande

28.774

31.770

30.794

30.972

34.359

33.895

32.288

+17,6

Neuseeland

23.051

17.131

14.925

13.642

9.778

9.541

10.354

–57,9

Norwegen

17.168

18.794

18.159

17.717

18.561

16.783

18.771

+4,7

Portugal

23.208

23.563

23.069

22.636

21.622

21.506

20.515

–13,8

Spanien

72.086

78.518

78.815

77.819

74.389

73.274

69.543

–2,3

Schweden

41.855

42.254

42.399

39.540

34.090

33.028

34.124

–14,6

Schweiz

18.326

20.170

20.705

20.855

20.521

19.543

19.560

+18,9

Türkei

72.553

90.085

90.783

91.072

93.897

90.687

74.837

+14,5

Großbritannien

235.178

240.236

224.197

197.150

191.888

186.016

173.870

–29,5

USA

920.700

912.005

899.196

881.456

879.000

893.400

914.800

–6,0

                 

OECD

2,614.562

2,583.594

2,549.700

2,475.578

2,483.736

2,450.861

2,450.552

–8,5

Q: OECD (1995A, 1997).

Die Liberalisierung der Telekommunikation und die Konvergenz zwischen Telekommunikations- und Mediensektor bilden das Fundament für die vielfach angekündigte Informationsgesellschaft. Nach überwiegender Einschätzung in der Literatur entstehen als Folge dieser Entwicklung neue Arbeitsplätze – und zwar vor allem im Dienstleistungssektor. Allen Tätigkeiten im Zusammenhang mit Informationsbearbeitung, -übertragung und -bereitstellung wird großes Potential zugeschrieben.

Aus heutiger Sicht wird die Beschäftigung im Dienstleistungssektor mittelfristig steigen, die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungssituation wird dadurch aber nicht signifikant entspannt werden. Dies liegt in der noch fehlenden Akzeptanz neuer Angebote bei breiten Kundensegmenten, dem geringen Umfang des Sektors und im hohen Produktivitätspotential neuer Technologien.

Beschäftigungsentwicklung in Österreich

Die Schätzung der Beschäftigungsentwicklung in Österreich konzentriert sich auf die von der Liberalisierung des Telekommunikationssektor unmittelbar betroffenen Wirtschaftsbereiche (Infrastrukturbetreiber, Mehrwertdiensteanbieter, Telekommunikationsindustrie) und beruht auf einer telefonischen Befragung der Unternehmen. Ende 1997 wird die Gesamtbeschäftigung in diesen Bereichen rund 35.000 erreichen (Übersicht 2).

Übersicht 2: Schätzung der aktuellen und künftigen Beschäftigung im Telekommunikationssektor

 

Erwartete Beschäftigung Ende 1997

Potentielle Beschäftigungsveränderung 1997/2000

     

Post & Telekom Austria

18.000

–3.000   bis   –2.000

Mobilkommunikation

1.800

+1.700   bis   +1.800

Alternative Netzbetreiber

200

+1.000   bis   +2.000

Mehrwertdiensteanbieter

1.300

+800   bis   +1.000

Kabel-TV-Gesellschaften

400

+150   bis   +200

Telekommunikationsindustrie

13.000

–1.000   bis   ±0

     

Insgesamt

34.700

–350   bis   +3.000

Im Kern hängt die Beschäftigungsbilanz davon ab, wie groß die Einsparungspotentiale des Monopolanbieters sind, welche Rahmenbedingungen die Liberalisierung für die neuen Anbieter schafft und wann die Liberalisierung durchgeführt wurde. In Österreich sollte die Beschäftigung im Telekommunikationssektor trotz Liberalisierung (und Digitalisierung) steigen. Ausschlaggebend dafür sind die geringe Personalreduktion der PTA, die günstige Entwicklung des Mobilkommunikationssektors (einschließlich Paging) und wahrscheinliche Personalausweitungen der alternativen Infrastrukturbetreiber, der Kabel-TV-Gesellschaften und Mehrtwertdienstanbieter. Im Bereich der Ausrüstungsgüterhersteller sollte sich die Beschäftigtenzahl kaum verändern. In Summe ergibt sich somit eine wahrscheinliche Beschäftigungsveränderung um –350 bis +3.000 bis zum Jahr 2000. Die indirekten Beschäftigungseffekte auf andere Bereiche, etwa durch Investitionen, sind in dieser Schätzung nicht berücksichtigt. Die gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungseffekte sind daher deutlich höher.

Während die Beschäftigung in der Vergangenheit maßgeblich durch die Digitalisierung und die Fertigstellung der Netze beeinflußt wurde, wird sie in Zukunft vom Wettbewerb zwischen Anbietern und der Strategie des Telekommunikationsregulators bestimmt sein. Im Kern der europäischen Liberalisierungsstrategie steht der Versuch, über Infrastrukturkonkurrenz ein annähernd "normales" Wettbewerbsumfeld zu schaffen und damit die Effizienz und das Dienstleistungsangebot zu verbessern. Um die damit verbundenen Ziele zu erreichen, müssen Infrastrukturanbieter jene Rahmenbedingungen vorfinden, die es ihnen ermöglichen, auf dem Markt zu bestehen. Das neue Telekommunikationsgesetz schafft diese Voraussetzungen für Österreich. Auch das Fernziel, die detaillierte sektorspezifische Regulierung durch Wettbewerbspolitik zu ersetzen, läßt sich nicht realisieren, wenn nicht wettbewerbsfähige Infrastrukturanbieter entstehen.

Auch wenn die Analyse der Beschäftigungsentwicklung im Telekommunikationssektor für Österreich eine Zunahme erwarten läßt, ist zu bedenken, daß der Großteil der neuen Arbeitsplätze nicht im Telekommunikationssektor, sondern in jenen Bereichen des Dienstleistungssektors entstehen wird, die von der Konvergenz von Telekommunikations- und Mediensektor tangiert werden. Zwar kann von dieser Entwicklung – aufgrund des geringen Umfangs dieser Sektoren und der bestehenden Produktivitätsreserven – aus heutiger Sicht keine Lösung der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsprobleme erwartet werden. Allerdings bieten gerade diese Bereiche Gestaltungsmöglichkeiten für eine aktive Wirtschaftspolitik.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 7/1997!