9. Juli 1997 • Weiterhin erhebliche regionale Entwicklungsunterschiede in der EU • Peter Mayerhofer

ERECO, eine Kooperation von europäischen Wirtschaftsforschungsinstituten, der auch das WIFO angehört, hat soeben ihren jährlichen Report "European Regional Prospects" veröffentlicht. Er enthält modellgestützte Prognosen für mehr als 200 Regionen und 39 Großstädte in der EU bis zum Jahr 2001. Für Österreichs Bundesländer zeigen diese Berechnungen deutlich unterschiedliche Wachstumschancen, wobei der Osten des Landes (ohne Wien) gegenüber dem Westen begünstigt sein wird.

Die Prognosen, die auf Basis eines von Cambridge Econometrics entwickelten Regionalmodells für die europäischen NUTS-II-Regionen erstellt wurden, zeigen für das BIP pro Kopf in den mehr als 200 Regionen für die Jahre 1995 bis 2001 eine recht unterschiedliche Entwicklung (Abbildung 1), ein Aufholen der entwicklungsschwachen Regionen ist insgesamt kaum zu erkennen.

Ein deutlicher Aufholprozeß wird für jene "ärmeren" Regionen mit niedrigen Lohnkosten (vor allem in Irland, Ostdeutschland und Portugal) erwartet, die günstige Umfeldbedingungen wie Infrastrukturausstattung, makroökonomische Stabilität usw. anbieten und damit mobiles Kapital anziehen können. Entwicklungsschwache Gebiete mit Strukturproblemen (etwa in Griechenland oder Süditalien) werden dagegen weiter zurückbleiben. Damit ist – anders als auf der Ebene der Nationalstaaten – regional nicht mit einem eindeutigen Konvergenzprozeß in Europa zu rechnen. Für Länder wie Spanien, Frankreich und Deutschland wird vielmehr eine regional unausgeglichenere Entwicklung erwartet.

Auch in Österreich wird die Entwicklung in den nächsten Jahren den Modellrechnungen zufolge regional deutlich streuen, die Spannweite zwischen dem Bundesland mit der höchsten (realen) Wachstumsrate und den "Nachzüglern" könnte rund 2 Prozentpunkte pro Jahr betragen. Dabei sind die Perspektiven für die Bundesländer im Osten Österreichs deutlich günstiger, Niederösterreich und das Burgenland werden die Wachstumspyramide vor den Industriebundesländern Steiermark und Oberösterreich anführen. Der Westen des Landes sowie Kärnten werden dagegen nach den Berechnungen nicht zuletzt wegen der Strukturprobleme in der deutschen Wirtschaft und der Krise im Tourismus zurückbleiben.

Der Schwerpunkt des Reports liegt auf detaillierten Analysen für die 39 größten Städte der EU, darunter auch Wien. Eine Analyse des bisherigen europäischen Integrationsprozesses zeigt vor allem für die großen Finanzzentren (London, Frankfurt, Paris), aber auch für große (europäische) Verkehrsknotenpunkte (wie Hamburg, Rotterdam und Marseille) und einige "moderne" Industriestädte (Stuttgart, Turin) eine bessere Performance als vor dem Start des Binnenmarktprogramms. Auch das Wachstum der Wiener Wirtschaft hat sich in der Periode 1987/1995 gegenüber 1975/1987 beschleunigt; dabei dürften jedoch vor allem positive Effekte der Ostöffnung eine Rolle gespielt haben.

In der nächsten Phase der europäischen Integration, der Währungsunion, dürften die zentralen Knoten im europäischen Transport- und Telekommunikationsnetz weiter gewinnen. Auch die (großen) Finanzzentren sollten weiter profitieren, während der Bericht für kleinere Finanzplätze einen erheblichen Anpassungsdruck erwartet, der Nischenstrategien erforderlich machen wird. Einen gewissen Bedeutungsverlust sieht der Bericht für die (nationalen) Hauptstädte voraus: Sie würden Kompetenzen tendenziell sowohl an die supranationale Ebene (zugunsten von Brüssel und Frankfurt) als auch an die regionale Ebene abgeben.

Übersicht 1: Entwicklung der Wirtschaft in europäischen Städten 1995/2001

Durchschnittliche jährliche Veränderung in %, real

Berlin

2,8

Leipzig

5,0

Mailand

2,7

Birmingham

3,0

Madrid

3,4

Hamburg

2,1

Paris

2,6

Turin

2,0

Manchester

2,3

Barcelona

3,4

München

2,0

Lyon

2,5

Bologna

2,3

Glasgow

2,5

Lissabon

3,2

Frankfurt

2,3

Lille

2,2

Amsterdam

2,6

Edinburgh

2,5

Wien

1,6

Stuttgart

2,1

Marseille

1,9

Rotterdam

2,2

Cardiff

2,9

Stockholm

2,6

Köln

1,2

Straßburg

2,3

Utrecht

3,0

Dublin

4,1

Helsinki

3,6

Düsseldorf

1,2

Bordeaux

2,2

Brüssel

1,6

Kopenhagen

2,2

Oslo

2,6

Dresden

5,5

Rom

1,8

London

2,9

Athen

3,2

   

Die konkreten Wachstumsperspektiven für die großen europäischen Städte (Übersicht 1) werden durch die erwartete makroökonomische Entwicklung der jeweiligen Staaten bzw. Regionen überlagert. Höheres Wachstum errechnet das Modell daher vor allem für die Städte in den Kohäsionsländern, aber auch in Ostdeutschland, in Großbritannien und in den Niederlanden. Für einzelne Städte mit dominierender Stellung in den jeweiligen Nationalstaaten wie Lissabon und Athen, aber auch Dresden und Leipzig dürfte das urbane Wachstum über jenes der Volkswirtschaft hinausgehen, einzelne Zentren – vor allem Hauptstädte mit hohem Verwaltungsanteil – dürften dagegen zurückbleiben.

Die Wachstumsprognose für Wien wird durch die Annahme einer relativ schwachen mittelfristigen Entwicklung der österreichischen Gesamtwirtschaft gedämpt. Daneben sollten wegen des hohen Anteils der öffentlichen Verwaltung an der Wirtschaftsstruktur die Konsolidierungsbemühungen der öffentlichen Hand hier vermehrt wirksam werden, und auch die Sachgüterproduktion könnte aufgrund des hohen Anteils der Konsumgüterproduktion von der gedämpften Entwicklung der verfügbaren Einkommen verstärkt betroffen sein.

Das European Economic Research and Advisory Consortium (ERECO) besteht aus den Instituten BIPE (Paris), Cambridge Econometrics (Cambridge, Großbritannien), ECOTEC (Birmingham), IFO (München), NEI (Rotterdam), Fundación Tomillo (Madrid) und WIFO (Wien). Der Bericht (englisch, 2 Bände), zu dem neben den genannten Instituten 11 weitere in ganz Europa beigetragen haben, kann zum Preis von ECU 2000 über das WIFO bezogen werden. Förderern und Mitgliedern des WIFO wird ein Rabatt von 20% bzw. 10% gewährt. Eine Kurzfassung, die einen Überblick über die Gesamtergebnisse sowie detaillierte Analysen für 15 Stadtregionen enthält, ist zum Preis von ECU 100 verfügbar. Bestellungen bitte an das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung, Frau Kautz, Postfach 91, A-1103 Wien, Tel. (1) 798 26 01/282, Fax (1) 798 93 86.