17. Juni 1997 • Wirtschaftspolitische Überlegungen zum Stabilitäts- und Wachstumspakt • Helmut Kramer

Das WIFO veröffentlicht in seinem jüngsten Monatsbericht in zeitlichem Zusammenhang mit dem Ratsgipfel in Amsterdam ein Editorial seines Leiters, Prof. Helmut Kramer, das sich mit den wirtschaftspolitischen Implikationen des Stabilitätspaktes auseinandersetzt: In übermäßigen Haushaltsdefiziten liegt eine potentielle Bedrohung der Stabilitätspolitik der Europäischen Zentralbank. In der Währungsunion könnten die Partner von unsolider Fiskalpolitik einzelner Teilnehmer betroffen sein. Der Artikel betont auch, daß für die Teilnehmer eine nachhaltige Sanierung der Staatsfinanzen geboten erscheint. Diese dürfe sich nicht überwiegend auf kurzfristig wirksame Einmalmaßnahmen beschränken, sondern setzt längerfristig wirksame Reformen der Budgetstruktur voraus.

Der "Stabilitätspakt" versucht, die stabilitätspolitischen Vorkehrungen im Unionsvertrag von Maastricht zu präzisieren und schärfer wirksam zu machen. Unverkennbar spielt auch der Gesichtspunkt eine Rolle, daß zweifelnden Anlegern mehr Vertrauen in den Euro vermittelt werden soll.

Der Pakt geht meritorisch in zwei Punkten über "Maastricht" hinaus: mit der Zielsetzung eines auf mittlere Sicht zumindest ausgeglichenen Staatshaushalts und mit der Vereinbarung von finanziellen Sanktionen bei Überschreitung der festgelegten Obergrenzen für das Staatsdefizit.

Der Artikel beleuchtet die unterschiedliche Position der Wirtschaftspolitik in Deutschland und Frankreich und vergleicht sie mit österreichischen Stabilitätserfahrungen. Der Pakt bildet in seiner gegenwärtigen Form einen politischen Kompromiß, hinter dessen Oberfläche sich grundlegende wirtschaftspolitische Auffassungsunterschiede verbergen. Diese signalisieren auch ein Gefahrenpotential für die gemeinsame Währugspolitik.

Bedenken gegen den Pakt können aus mehreren Gesichtspunkten argumentiert werden:

Die Durchsetzung der Defizitlimits könnte in einzelnen Ländern die automatischen Effekte des Budgets zur Konjunkturstabilisierung beschneiden und so einen Konjunkturrückschlag verschärfen. Die relativ enge Begrenzung des Defizits bedeutet für hoch verschuldete Staaten, daß sie nach Abzug der Zinsen für die Staatsschuld beachtliche Primärüberschüsse erzielen müssen. Dabei besteht die Gefahr, daß Zukunftsinvestitionen zu kurz kommen. Abgesehen von der statistischen Unsicherheit der quantitativen Konvergenzkriterien könnten Sanktionen konjunkturell zur Unzeit wirksam werden und dann prozyklisch wirken. Die Sanktionsdrohung ist finanziell beachtlich, sodaß starker politischer Druck, sie zu vermeiden, entstehen könnte.

Der Artikel diskutiert die theoretischen Alternativen zum Pakt: Man könnte der Auffassung sein, daß die automatisch eintretende Sanktionierung einer als nicht ausreichend seriös empfundenen Finanzpolitik durch die Kapitalmärkte ohnehin als Drohung genügt, oder auch daß institutionelle Sanktionen (temporäre Blockierung des Stimmrechts im Rat, nationale verfassungsgesetzliche Limits für Defizite u. a.) erfolgversprechender gewesen wären.

Dem Pakt in der jetzt vorliegenden Form wird eine längere Phase vorhergesagt, während der anhand von konkreten Erfahrungen seine wirtschaftliche und politische Operationalität erst geprüft werden muß.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 6/1997!