16. April 1997 • Trotz Wachstumsschwäche hohes Leistungsbilanzdefizit. Österreichs Wirtschaft im Jahr 1996 • Georg M. Busch

Die Konjunkturflaute in Westeuropa und Nachwirkungen von Wechselkursverschiebungen dämpften 1996 das Exportwachstum, die nunmehr entschieden betriebene Budgetkonsolidierung jenes der Inlandsnachfrage. Dennoch entwickelten sich sowohl der private Konsum als auch die Investitionen besser, als der allgemeinen Stimmungslage entsprochen hätte. Die hohe Importneigung spiegelt nicht nur die Nachwirkungen der Abwertungen in Konkurrenzländern in den letzten Jahren, sondern auch strukturbedingte Wettbewerbsschwächen im Inland wider, vor allem im Tourismus und anderen Dienstleistungssparten. Das Leistungsbilanzdefizit bleibt weiterhin hoch. Die Arbeitslosigkeit stieg vor allem zu Jahresbeginn, stabilisierte sich aber in der Folge.

Österreichs Wirtschaft verharrte 1996 in einer Schwächephase. Das Brutto-Inlandsprodukt stieg im Jahresdurchschnitt gegenüber dem Vorjahr real um knapp 1%, kaum halb so rasch wie im mittelfristigen Trend und auch im internationalen Vergleich relativ langsam.

Für die Wachstumsschwäche waren mehrere Umstände maßgebend: Stagnationstendenzen im internationalen Umfeld, Wettbewerbsnachteile aufgrund der Wechselkursverschiebungen im Frühjahr 1995, Nachfrageausfälle im Inland als Folge der auch in Österreich unumgänglich gewordene Budgetkonsolidierung, Probleme der Anpassung an die Wettbewerbsbedingungen offener Märkte in bisher hievon abgeschirmten Wirtschaftsbereichen.

Mit dem Bundeshaushalt 1996/97 kam die Budgetkonsolidierung im Hinblick auf die Maastricht-Kriterien einen entscheidenden Schritt voran.

Angesichts der schwierigen Umstände erwies sich der Warenexport als erstaunlich robust. Österreichische Anbieter gewannen global Marktanteile. Dagegen konnte die Tourismuswirtschaft fehlender Nachfrage und Preisdruck kaum durch Rationalisierung begegnen. Eine wichtige Ursache für die Krise sind geänderte Kundenwünsche, denen die heimischen Anbieter selbst durch die Verbesserung ihrer Leistungen nur zum Teil Rechnung tragen können. Stärker noch als durch das Ausbleiben ausländischer Gäste wurde die Bilanz durch den Umstand belastet, daß die Österreicher ihre Reiseziele immer häufiger ins Ausland verlagern.

Schleppendes Wirtschaftswachstum, budgetäre Sparmaßnahmen und verstärkter Konkurrenzdruck engen den Spielraum für Einkommensteigerung und Beschäftigungschancen ein und trüben die Erwartungen von Konsumenten und Investoren. Unter diesen Bedingungen erwies sich 1996 die private Nachfrage als erstaunlich robust. Die Haushalte waren bereit, zusätzlichen Konsumbedarf auf Kosten des Sparens zu decken. Auch die Unternehmen steigerten ihre Ausgaben für Investitionen kräftig, obwohl sie ihre Auftragslage und Kapazitätsauslastung überwiegend als unbefriedigend einstuften. Für Maschinen und Ausrüstungen gaben sie real um insgesamt 4% mehr aus als 1995, die Industriebetriebe erhöhten ihre Investitionen sogar weitaus stärker.

Auf dem Arbeitsmarkt verschärfte sich der Angebotsüberhang. Industrie und Gewerbe reagierten auf die Konjunkturverschlechterung rascher als in der Vergangenheit mit Personalabbau. Unter nunmehr schärferen Wettbewerbsbedingungen stellte auch der Dienstleistungssektor per Saldo kaum zusätzliche Arbeitskräfte ein. Mit der Erholung der Konjunktur kam gegen Jahresende die Verschlechterung des Arbeitsmarktes zum Stillstand. Im internationalen Vergleich ist die Arbeitslosenquote in Österreich mit rund 4% weiterhin niedrig.

Entgegen den Erwartungen besserte sich Österreichs Leistungsbilanz trotz nachlassender Inlandskonjunktur kaum. Zwar verringerte sich das Defizit von 47 Mrd. S im Jahr 1995 auf 42½ Mrd. S, blieb aber gemessen am BIP mit 1,8% hoch. Zudem sank der Abgang fast ausschließlich aufgrund deutlich niedrigerer Nettozahlungen zum EU-Haushalt, die die Transferbilanz entlasteten. Hingegen verschlechterte sich sowohl die Bilanz im Warenhandel als auch – und vor allem – im Reiseverkehr. Die Nettoeinnahmen aus dem grenzüberschreitenden Tourismus (1996 rund 23 Mrd. S) sind binnen weniger Jahre auf weniger als ein Drittel gesunken. Die ungebrochen hohe Investitionsneigung im Inland läßt auf mittlere Sicht eine Steigerung der Wettbewerbs- und Exportkraft erhoffen, auch wenn sie unmittelbar die Bilanz – über höhere Importe – belastet.