17. März 1997 Große Lohnunterschiede nach Branchen in der Industrie Wolfgang PollanDie Berechnung von Lohnunterschieden nach Branchen wird in Österreich durch das Fehlen von Angaben über die Arbeitszeit erschwert. Die Industrie ist einer der wenigen Sektoren, auf die diese Einschränkung nicht zutrifft. Die vorliegende Studie, die erstmals auch einen Vergleich der Tariflöhne und -gehälter einschließt, belegt anhand von mehreren Lohnstatistiken das Bestehen von großen Kosten- und Einkommensunterschieden nach Branchen. Die Entwicklung der Lohnkosten steht seit langem im Mittelpunkt des wirtschaftspolitischen Interesses, gibt sie doch einerseits (gemeinsam mit der Entwicklung der Verbraucherpreise) einen wichtigen Hinweis auf die Entwicklung der Einkommen, andererseits (gemeinsam mit der Entwicklung der Produktivität) einen Hinweis auf die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft. Die Kosten der Arbeitsstunde betrugen 1995 in der verarbeitenden Industrie Österreichs 261 S. Sie überstiegen damit den EU-Durchschnitt um fast 20%. Grundlage der Schätzungen der Lohnkosten in der Industrie Österreichs sind Erhebungen der Wirtschaftskammer Österreich, die im Abstand von drei Jahren durchgeführt werden. Die letzte Erhebung bezieht sich auf das Jahr 1993. Sie enthält Angaben über Stunden- und Monatsgehälter von Arbeitern und von Angestellten nach Fachverbänden. Die Erhebung liefert darüber hinaus eine detaillierte Aufgliederung der Lohnnebenkosten, deren Höhe in den vergangenen Jahren zunehmender Kritik ausgesetzt war. Der Vergleich der Lohnkosten nach Industriebranchen wird durch einen Vergleich der Kollektivvertragslöhne und -gehälter für das Jahr 1993 ergänzt. Die Kollektivvertragslöhne und -gehälter (Tariflöhne und -gehälter) sind nach Qualifikationsstufen branchenspezifische Mindestlöhne und werden in Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden festgesetzt. Hinter den von den Lohnstatistiken ausgewiesenen Durchschnittswerten verbergen sich erhebliche Lohnunterschiede. Dies gilt bereits für den Vergleich der untersten Lohn- und Gehaltsstufe, auf der Unterschiede der Qualifikationsanforderungen und Arbeitsbedingungen noch keine Rolle spielen. Für Hilfsarbeitertätigkeit in der Industrie betragen die niedrigsten Tarifsätze nur wenig mehr als 50% der höchsten Tarifsätze und 73% der Tarifsätze in der Eisen- und Metallindustrie, die für 6 Fachverbände gelten. Auf der Ebene der Effektivverdienste sind noch größere Lohndifferentiale festzustellen. Laut der Erhebung der Lohnkosten für das Jahr 1993 machen die direkten Arbeitskosten in der Branche mit den niedrigsten Kosten je Stunde 71,3 S aus, in der Eisen- und Metallindustrie jedoch 122,7 S und in der Branche mit den höchsten Kosten (Erdölindustrie) 207,4 S. Die Einbeziehung der Lohnnebenkosten in den Vergleich erhöht die Spanne zwischen Hochlohnbranchen und Niedriglohnbranchen: Hochlohnbranchen tragen überproportional hohe freiwillige Sozialleistungen und andere Lohnkosten. Demnach erreichen die Gesamtlohnkosten je Stunde in der Eisen- und Metallindustrie das 1,8fache, in der Erdölindustrie das 3,9fache der Kosten in der ledererzeugenden Industrie. Die Relationen zwischen Hoch- und Niedriglohnbranchen ähneln für die Angestellten jenen für Arbeiter, wenngleich die Unterschiede etwas schwächer ausgeprägt sind. In der Eisen- und Metallindustrie betragen die Anfangsgehälter laut Kollektivvertrag auf das 1,3fache, in der Erdölindustrie das 1,4fache der niedrigsten Anfangsgehälter. Die Effektivgehälter weisen bedeutend höhere Unterschiede auf. Auf der Ebene der Gesamtkosten (einschließlich Lohnnebenkosten) steigt die relative Lohnspanne auf 1,6 (Erdölindustrie 2,8). Nur ein geringer Teil der Lohnunterschiede zwischen den Industriebranchen kann durch die unterschiedliche Besetzung der Qualifikationsstufen erklärt werden. Dies ergibt sich aus einer Bereinigung der Lohnunterschiede um Qualifikationsunterschiede. In diese Richtung weist auch ein Vergleich der Höhe von Löhnen und Gehältern: Zwischen der Verteilung der Lohnkosten und jener der Gehaltskosten nach Branchen besteht eine systematische Beziehung. Sie gilt für alle untersuchten Ausprägungen – für die Mindestkollektivvertragslöhne bzw. -gehälter, für die direkten Lohnkosten und für die gesamten Lohnkosten. Jene Industriezweige, die relativ niedrige Mindestlöhne (Tariflöhne für Hilfsarbeitertätigkeit) zahlen, weisen auch relativ niedrige kollektivvertragliche Einstiegsgehälter für Angestellte auf. Ähnliches gilt für die direkten und gesamten Lohnkosten. In einem internationalen Vergleich, der sich auf das Jahr 1993 bezieht, sind die Lohnunterschiede zwischen den Industriezweigen in Österreich sehr groß. Von den typischen Hochlohnbranchen zahlen besonders die Eisenhütten und der Bergbau weit überdurchschnittlich. Dagegen blieben die Löhne in den Niedriglohnbranchen (Textilindustrie, Ledererzeugung und -verarbeitung, Bekleidungsindustrie) stärker als in den meisten anderen Industrieländern unter dem Industriedurchschnitt. Übersicht 1: Struktur der Stundenlöhne der Industriearbeiter nach Branchen
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1) ÖSTAT, Ausgewählte Kollektivvertragslöhne. Stand 31. Dezember 1992. – 2 ) Wirtschaftskammer Österreich, Lohnstatistik der Industrie. April 1993 und September 1993. – 3 ) Wirtschaftskammer Österreich, Die Arbeitskosten in der Industrie Österreichs 1993. – 4 ) Zementindustrie. – 5) Hohlglasindustrie. – 6) Papierkonfektionsindustrie. – 7) Brauereien mit einem Output über 12.000 hl. – 8 ) Schuhindustrie. – 9) Erzeuger von Wäsche, Berufs- und Sportbekleidung. – 10) Österreich ohne Tirol und Vorarlberg. Übersicht 2: Struktur der Monatsgehälter der Industrieangestellten nach Branchen
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1 |