11. März 1997 • Internationale Expertenrunde zu Liberalisierung der Elektrizitätswirtschaft und technologischer Entwicklung • Norbert Knoll

Ein international besetzter Expertenworkshop mit rund 60 Teilnehmern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung ermöglichte den Meinungsaustausch zum Thema Liberalisierung, Regulierung und Technologiepolitik im Elektrizitätsbereich. Der Workshop ist Teil des Technologiepolitikberatungsprogramms tip (Technologie: Information, Politikberatung), an dem das WIFO sowie das Forschungszentrum Seibersdorf (FZS) als Kooperationspartner beteiligt sind. Auftraggeber sind das Bundesmisterium für wirtschaftliche Angelegenheiten und das Bundesministerium für Wissenschaft, Verkehr und Kunst.

Der Energietechnologieexperte Per Lekander von der Internationalen Energieagentur (IEA) betonte in seinem Vortrag, daß die Liberalisierung des Marktzutritts im Elektrizitätsbereich eine Neubestimmung des Regulierungsrahmens erfordert. International ist die Einführung von Wettbewerb schon längere Zeit festzustellen. Dem Wettbewerb ausgesetzte Unternehmen erhöhen ihre Anstrengungen, die Effizienz zu steigern, was sowohl für die Ausrichtung der Technologiepolitik als auch für die Sektorregulierung neue Anforderungen bedeutet. Verstärkter Wettbewerbsdruck begünstigt einzelne Energieträger und Technologien – wie z. B. Combined Cycle Gas Turbines, während zur Steigerung der Energieeffizienz und des Einsatzes anderer Energieträger – wie z. B. erneuerbare Energien (Wind, Biomasse, Kleinwasserkraftwerke usw.) regulierende Eingriffe notwendig werden.

Der Consultant Nick Hartley aus Oxford machte in seinem Beitrag deutlich, daß auch im weitgehend liberalisierten britischen Elektrizitätsmarkt Regulierungsmaßnahmen gesetzt wurden, die eine Verwirklichung allgemeiner wirtschaftlicher, umweltpolitischer und sozialer Ziele erlauben. Dazu zählt insbesondere die Verpflichtung der Energieversorger zur Steigerung der Energieeffizienz. Infolge entsprechender Regulierungsmaßnahmen wurden bereits Investitionen getätigt, deren Kosten nur ein Fünftel des tatsächlichen Nutzens erreichten. Die britische Regulierungsbehörde erwartet aufgrund dieser Maßnahmen bis zum Jahr 1998 eine Energieeinsparung von rund 5.000 GWh.

Richard Kettle vom britischen Industrieministerium (DTI) und Catherine Mitchell von der Universität Sussex diskutierten im Anschluß daran die Non-Fossil-Fuel-Obligation (NFFO), ein Regulierungsinstrument, das die regionalen Elektrizitätsversorger zur Verwendung nichtfossiler Energieträger trotz höherer Preise zwingt. Die Wettbewerbspreise für Strom liegen in England bei etwa 2,5 Pence je KWh (rund 45 Groschen), weshalb Projekte mit erneuerbaren Energiequellen gefördert werden. Bisherige Erfahrungen zeigen, daß erneuerbare Energieprojekte mit Wind, Biomasse, Deponiegas usw. mit sinkenden Zuschüssen verwirklicht werden können. Die Projekte der dritten Ausschreibung (NFFO-3) kommen insgesamt auf eine Leistung von 627 MW und produzieren zu Kosten von durchschnittlich 4,35 Pence je KWh (etwa 78 Groschen); das bedeutet zusätzliche Kosten von 52 Mill. £ pro Jahr (rund 940 Mill. S). In der vierten Ausschreibung (NFFO-4) ist eine Leistung von 840 MW bei durchschnittlichen Erzeugungskosten von 3,46 Pence je KWh (62 Groschen) mit einem durchschnittlichen jährlichen Zuschußbedarf von 37 Mill. £ (670 Mill. S) geplant. In Summe machen die Zuschüsse etwa 1% der Elektrizitätsumsätze aus; bei Inbetriebnahme weiterer Projekte der NFFO-5 ist mit einem Anstieg auf 1,5% bis 2% zu rechnen. Selbst wenn die ersten Erfahrungen mit diesem Regulierungsinstrument von Anfang der neunziger Jahre von Problemen begleitet waren, werden diese oder ähnliche staatliche Eingriffe notwendig werden, um das Potential der neuen Energiequellen auch zu nützen.

Am Rande der Tagung wurde verschiedentlich bemerkt, daß die meisten österreichischen Elektrizitätserzeuger Schwierigkeiten hätten, zum britischen Preisniveau anzubieten; die Kosten österreichischer Elektrizitätserzeugung auf Basis herkömmlicher Technologien wurden selbst im Vergleich mit den nur geringfügig geförderten Tarifen für erneuerbare Energiequellen in England als relativ hoch angesehen. Verschärfter Wettbewerb und entsprechende Regulierung könnten wohl dazu beitragen, daß die heimischen Energieversorger ihr Kosteneinsparungspotential tatsächlich nutzen.

Interessante Beiträge stellten auch der dänische Energiepolitikexperte Prof. Niels Meyer (Mitglied des Club of Rome) und der Windtechnologieexperte Ulrik Jörgenson (beide von der Technischen Universität Kopenhagen) vor. Prof. Meyer zeigte in seinem Vortrag die zunehmende Bedeutung umweltpolitischer Argumente für die dänische Energiepolitik auf. Im neuen dänischen Energieplan ("Energy 21") wurden beachtliche Ziele zur effizienten und umweltschonenden Nutzung der Energie vorgelegt. Entsprechende Umsetzungsschritte können an technologiepolitische Ergebnisse und Projekte anschließen. Ulrik Jörgenson bestätigte dies in seinen Ausführungen zu Windenergie und Kraft-Wärme-Kopplung (KWK, cogeneration). Neben den positiven Umweltauswirkungen der neuen Technologien hob Jörgenson insbesondere die industrie- und technologiepolitischen Wirkungen hervor. Dänische Windturbinenhersteller konnten infolge "technologischen Lernens" auf Auslandsmärkten und später günstigen Bedingungen auf dem Heimmarkt eine Weltmarktführerposition erreichen. Jörgensons Schlußfolgerungen für die Technologiepolitik verweisen auf die Bedeutung von Pilot- und Referenzprojekten in der Anfangsphase. Im Anschluß daran spielt der Regulierungsrahmen zur Schaffung eines Testmarktes eine entscheidende Rolle. Öffentlich unterstützte Grundlagenforschung ist zwar wichtig, sollte aber keinesfalls überbewertet werden, weil in erster Linie private Initiative zu kommerziell verwertbaren Innovationen führt. Öffentliche Hilfestellungen sollten sich neben der Schaffung eines geeigneten Regulierungsverfahrens verstärkt auf eine Netzwerkbildung konzentrieren.

Im Rahmen der Podiumsdiskussion verlangte Johannes Schmidl vom Bundesverband Eneuerbare Energien im Sinne des nationalen Umweltplans innerhalb von 10 Jahren zusätzliche Elektrizitätserzeugungskapazitäten aus "neuen erneuerbaren Energien" im Ausmaß von 5% durch entsprechende Investitions- und Einspeisförderungen aktiv voranzutreiben. Prof. Stefan Schleicher von der Universität Graz wies auf Österreichs Chancen im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung auf der Basis von Biomasse hin. Hier besteht österreichisches Know-how, und Standortvorteile könnten für heimische Unternehmen wirksam werden. Die Impulse kommen dabei sicher nicht von den traditionellen Energieversorgern, deren Forschungs- und Entwicklungsausgaben im internationalen Vergleich zu niedrig sind. Vorstandsvorsitzender Siegmar Gerhartz (Jenbacher Energiesysteme) verwies in diesem Zusammenhang auf brachliegende Ressourcen und die Notwendigkeit neuer Akzente in Regulierung und Technologiepolitik. So könnte allein durch Deponiegasnutzung österreichweit eine Kapazität von rund 100 MW erschlossen werden. Für viele österreichische Unternehmen liegt der "wahre" Heimmarkt im Ausland. Der derzeitige Regulierungsrahmen – sowohl für die Elektrizitätswirtschaft als auch für die Gaswirtschaft – ist unzureichend, um den Heimmarkt für Ausrüstungen und Systeme im Inland zu schaffen und den Zutritt neuer Unternehmen in den Energiemarkt zu ermöglichen.