21. Jänner 1997 • Erfassung der "wahren" Arbeitslosigkeit in Österreich • Gudrun Biffl

Mit dem Beitritt Österreichs zur EU ist die Übernahme internationaler Konzepte im Bereich der Arbeitsmarktstatistik verbunden. Der Fragebogen der EU zur Erfassung der Arbeitsmarktaggregate wurde 1994 in den Mikrozensus übernommen. Die so erhobene Arbeitslosenquote nach dem international üblichen Labour-Force-Konzept ist deutlich geringer als jene gemäß administrativer Statistik. Der Unterschied ist vor allem damit zu erklären, daß in der administrativen Statistik, im Gegensatz zur internationalen Usance, Personen mit einer Einstellungszusage (vor allem Saisonarbeitslose) sowie geringfügig beschäftigte registrierte Arbeitslose zu den Arbeitslosen gezählt werden.

Ein Aspekt, der die internationale Vergleichbarkeit der Arbeitslosenquote beeinträchtigt, ist die schlechte statistische Erfassung alternativer Beschäftigungsformen (z. B. Werkverträge) in Österreich. Die große Abweichung der Volkszählungswerte von Mikrozensus und administrativer Statistik legt nahe, daß der Strukturwandel der achtziger Jahre in den laufenden Daten aus unterschiedlichen Gründen nur unvollständig erfaßt wird.

Die Arbeitslosigkeit ist überraschenderweise laut Volkszählung 1991 deutlich höher als zum selben Zeitpunkt laut administrativer Statistik und Mikrozensus. Weil die Volkszählung eine Fragebogenvollerhebung ist, sind infolge der Selbsteinschätzung der Befragten gewisse Ungenauigkeiten in der Abgrenzung der Arbeitsmarktaggregate gegenüber der Stichprobenerhebung des Mikrozensus, die von geschulten Interviewern (basierend auf Fragebogen) ausgeführt wird, möglich. Andererseits ist der Stichprobenfehler im Mikrozensus für eine so kleine Erhebungsmasse wie die Arbeitslosigkeit in Österreich (Stichprobe 1%) relativ hoch; eine Niveaufestlegung ist deshalb unsicher und hat einen unstetigen (erratischen) Zeitverlauf zur Folge, den die Benutzer der Daten nicht immer als erhebungstechnischen Effekt erkennen, sondern ökonomisch oder sozialpolitisch interpretieren. Die administrativen Daten beruhen im Gegensatz dazu auf Vollzählungen, die genau definierte Sachverhalte korrekt abbilden. Aus den administrativen Daten resultiert ein direkter Handlungsbedarf, sei es in der Form der Besteuerung oder der Finanzierung der Arbeitslosenunterstützung.

Aus diesen Gründen ist die Berechnung einer nationalen Arbeitslosenquote (Arbeitslosenzahl bezogen auf das Arbeitskräfteangebot von Unselbständigen, monatlich) zweckmäßig. Sie bietet in ihrer Differenziertheit (Auswertung nach regionalen, berufs- und altersspezifischen Kriterien) eine wichtige Orientierungshilfe für gezielte Arbeits- und Sozialpolitik und erlaubt durch ihre rasche Verfügbarkeit eine zeitgerechte Reaktion der Wirtschaftspolitik auf Konjunkturschwankungen. Die administrative Statistik kann, wie Übersicht 1 zeigt, auch nach dem Labour-Force-Konzept berechnet werden und liefert dann einen Anhaltspunkt für die international vergleichbare Arbeitslosenquote (Ergebnisse des Mikrozensus sind erst ein halbes Jahr nach der vierteljährlichen Erhebung verfügbar).

Übersicht 1: Lebensunterhalts- und Labour-Force-Konzept in administrativer Statistik und Mikrozensus 1995

 

Administrative Statistik

Mikrozensus

     

Arbeitslose

   

Lebensunterhaltskonzept

215.700 173.400

Geringfügig Beschäftigte

–13.600 –29.700

Mit Einstellungszusage

–51.000  

Labour-Force-Konzept

151.000 143.700
     

Unselbständig Beschäftigte

   

Lebensunterhaltskonzept

3,068.200 3,144.900

Geringfügig Beschäftigte

+89.900 +76.600

Labour-Force-Konzept

3,158.100 3,221.500
     

Selbständig Beschäftigte

   

Lebensunterhaltskonzept

371.300 490.100

Geringfügig Beschäftigte

+47.100 +47.100

Labour-Force-Konzept

418.400 537.200
     

Arbeitslosenquote (in % der Erwerbspersonen)

   

Lebensunterhaltskonzept

5,9 4,6

Labour-Force-Konzept

4,1 3,7

Q: Administrative Statistik: vorgemerkte Arbeitslose: Arbeitsmarktservice, unselbständig Beschäftigte: Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger, selbständig Erwerbstätige: WIFO-Schätzung; Mikrozensus des ÖSTAT.

Die Umstellung von in der österreichischen Arbeitsmarktstatistik verwendeten Lebensunterhaltskonzept auf das international übliche Labour-Force-Konzept ist nicht nur aus Gründen der internationalen Vergleichbarkeit erforderlich, sondern auch angesichts des Wandels des Arbeitsmarktverhaltens im Gefolge der Flexibilisierung von Produktion und Arbeitsorganisation. Auch in Österreich nehmen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sowie Kombinationen von selbständiger und unselbständiger Tätigkeit bzw. von mehreren sozialversicherten oder nicht versicherten unselbständigen Tätigkeiten seit den achtziger Jahren zu; eine Umstellung des statistischen Erfassungssystems der Erwerbstätigkeit (insbesondere eine bessere Erfassung der Arbeitszeit) und der Arbeitslosigkeit erscheinen deshalb angebracht. Eine genauere Untersuchung der Diskrepanzen zwischen den Daten zur selbständigen Erwerbstätigkeit wäre notwendig, um ein besseres Bild des Wandels der Erwerbstätigkeit insbesondere im Zuge vermehrter Auslagerung von unselbständiger Beschäftigung auf selbständige Arbeit zu erhalten. Eine Analyse der Stichprobe und der methodischen Aspekte legt der Vergleich der Mikrozensus-Daten mit den Ergebnissen der Volkszählung nahe.