19. Dezember 1996 • Das österreichische Qualifizierungssystem im internationalen Vergleich. Ein Überblick • Lorenz Lassnigg (IHS), Wolfgang Pollan

Wissen und Information bilden in wachsendem Maß die Grundlage der Volkswirtschaften der Industriestaaten. In den OECD-Ländern wird bereits mehr als die Hälfte des BIP in wissensintensiven Bereichen erarbeitet. Eine Verbesserung der Ausbildung der Arbeitskräfte wird damit zur wichtigen Voraussetzung sowohl der Erhöhung des Wirtschaftspotentials als auch der Beschäftigung. Dem Staat fällt die Aufgabe zu, die allgemeine und berufliche Bildung zu fördern. Der Marktmechanismus allein dürfte nicht ausreichen.

Vor diesem Hintergrund untersucht der Artikel in den WIFO-Monatsberichten einige Aspekte des österreichischen Qualifizierungssystems in einem internationalen Vergleich und bietet einen ersten Überblick über Daten zu Bildungsbeteiligung, Strukturen von Ausbildungssystemen und Beschäftigung von Absolventen. Internationale Vergleiche liefern eine Querschnittsaufnahme der Bildungsanstrengungen in verschiedenen Ländern. Allerdings ist in manchen Bereichen keine strenge Vergleichbarkeit gewährleistet.

Der Bildungsstand: Schwerpunkt im Bereich der mittleren Qualifikationen

Die Bildungsstruktur der 25- bis 64jährigen ist in Österreich durch einen verhältnismäßig niedrigen Anteil von Personen mit höchstens Pflichtschulbildung geprägt. Berücksichtigt man auch die Verteilung von Abschlüssen der oberen Sekundarstufe (vor allem AHS-Oberstufe, Berufsbildende Mittlere und Höhere Schulen, Lehrlingsausbildung) und der verschiedenen Typen von Hochschulausbildung (universitäre und nichtuniversitäre), so weist Österreich unter den westlichen Ländern eine einzigartige Struktur: Der Anteil der berufsbildenden Abschlüsse der oberen Sekundarstufe ist sehr hoch, und der Anteil der Hochschulabsolventen ist sehr niedrig.

Veränderungen des Bildungsstandes: Merkmale der Qualifizierungsströme

  • Bevölkerungsanteil der Jugendlichen mit Hochschulberechtigung niedrig: Der Anteil der Jugendlichen mit Hochschulberechtigung an der altersgleichen Bevölkerung ist sehr niedrig; allerdings ist in Österreich, anders als in einigen anderen Ländern, mit der Matura unmittelbar das Recht auf einen Studienplatz verknüpft.
  • Durchschnittliche Studienanfängerquote an der Universität, niedrige Gesamtquote im Tertiärbereich (Universitäten und nichtuniversitäre Institutionen): Die Studienanfängerquote entspricht in Österreich an den Universitäten fast dem Länderdurchschnitt, bleibt aber in den nichtuniversitären Institutionen (Berufsbildende und Lehrerbildende Akademien, Kurzstudien an Universitäten und Kunsthochschulen, Kollegs, Fachhochschulen) deutlich darunter.
  • Sehr niedrige Abschlußquote: Die Studienabschlußquote (Anteil der Absolventen an der altersgleichen Bevölkerung) ist in Österreich wie auch in den Niederlanden, der Schweiz, Italien und Spanien sehr niedrig. Wenn man die nichtuniversitäre Hochschulausbildung einbezieht, fällt Österreich weiter zurück.

In den internationalen Vergleichen ist die Differenz zwischen Abschlußquote und Studienanfängerquote besonders groß. Wenn auch kein direktes Maß für den genauen Umfang der Drop-outs, kann dieser Indikator doch als Anhaltspunkt für die produktive Effizienz des Hochschulsystems dienen. In nur zwei Ländern, Spanien und Italien, ist die Differenz zwischen Studienanfängerquote und Abschlußquote deutlich größer als in Österreich.

Personal in Forschung und Entwicklung: Quote deutlich unter dem Durchschnitt, Abschwächung des Zuwachses, keine Kompensation durch mittlere Qualifikationen

  • Gemessen am Anteil der Naturwissenschafter und Ingenieure (einschließlich Mathematiker) an den Erwerbstätigen zwischen 25 und 34 Jahren rangiert Österreich mit den Niederlanden und Italien am unteren Ende der Länderhierarchie.
  • Die Relation des formal hochqualifizierten Forschungs- und Entwicklungspersonals zur Erwerbsbevölkerung bleibt deutlich unter dem Durchschnitt der Vergleichsländer; diese Position hat sich in den achtziger Jahren sogar verschlechtert. Etwas höher, aber ebenfalls relativ niedrig ist der Anteil des Forschungspersonals insgesamt. Ein Teil des Forschungspersonals wird wahrscheinlich aus mittleren Qualifikationen gespeist. Die manchmal behauptete Kompensation der geringen Akademikerquote in Österreich durch mittlere Abschlüsse wird jedoch durch diese Vergleiche nicht gestützt.
  • Einsatz von Absolventen technischer Studien in der Wirtschaft: Häufig wird die Meinung geäußert, daß der Modernisierungsdruck den Bedarf an Ingenieuren im Produktionssektor erhöht. Die Volkszählungsergebnisse zeigen jedoch, daß die Nachfrage von Unternehmen des Produktionssektors mit dem leicht steigenden Angebot von Ingenieuren mit Universitätsausbildung nicht Schritt hält. Diese Tendenz zeigte sich bereits in den siebziger Jahren; sie setzte sich in den achtziger Jahren fort. Der Rückgang des Anteils von Ingenieuren, die im Produktionssektor beschäftigt sind, weist auf Verzerrungen im Verhältnis zwischen den Universitäten und dem Unternehmenssektor hin. Hier ergibt sich eine Reihe von Fragen: Entweder es mangelt an entsprechenden Anreizen aus dem Produktionssektor, sodaß die Absolventen andere Bereiche vorziehen (Ausland oder staatliche Sektoren), oder das Qualifikationsprofil der Absolventen entspricht nicht dem Anforderungsprofil im Produktionsbereich. Die Fachhochschulen könnten hier jedoch allmählich für Abhilfe sorgen.