18. September 1996 • Österreichs EU-Beitritt – Politische Ökonomie und offene Fragen • Helmut Kramer

Im jüngsten WIFO-Monatsbericht beschäftigt sich der Leiter des Instituts, Prof. Helmut Kramer, mit politischen Aspekten der europäischen Integration. In der österreichischen Integrationsdebatte spielen gegenwärtig kurzfristige ökonomische Argumente eine wichtigere Rolle als ihnen zustünde, hauptsächlich weil sie an handfesten Schilling-Beträgen oder Arbeitsplätzen festgemacht werden können. Sie werden damit zwar politisch leichter argumentierbar. Ein umfassender Integrationsprozeß läßt sich aber nicht auf seine kurzfristigen ökonomischen und technischen Effekte reduzieren.

Die österreichische EU-Mitgliedschaft ist nicht einfach Schicksal, dem sich Österreich ausgeliefert hat, ihr Erfolg oder Mißerfolg wird auch von der Qualität österreichischer Antworten auf die anstehenden Fragen abhängen.

Beispiele dafür sieht der Aufsatz in der Haltung gegenüber der formell abgeschlossenen, materiell noch vielfach ausstehenden Vollendung des Binnenmarktes: viele Sektoren und Tätigkeiten etwa in den Versorgungsunternehmen, den freien Berufen oder im Bereich der Gruppenfreistellungen sind noch nicht dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Die grundsätzliche Haltung der EU zum Wettbewerb ist klar, die österreichischen Positionen jedoch noch vielfach unausgereift.

In der Übergangsphase einer Anpassung ökonomischer Strukturen an die Integration entfalten natürlich Repräsentanten von Berufszweigen, Regionen oder sozialen Gruppen, die ihre Einkommensperspektiven bedroht sehen, einen mehr oder minder großen politischen Widerstand. Häufig verkörpern Wirtschaftszweige, die sich in der Defensive befinden, einen größeren politischen Einfluß als Vertreter der durch Integration begünstigten künftigen Interessen, die politisch noch nicht etabliert sein mögen.

Die österreichische Entscheidung für den Beitritt zur EU wurde nicht nur von den allgemeinen Integrationsvor- und -nachteilen bestimmt, sondern davon, ob es vorteilhaft ist, auf Entscheidungen formellen politischen Einfluß zu gewinnen, die faktisch jedenfalls die Entwicklung in Österreich erheblich determinieren. Diese Frage war mit Ja zu beantworten, wenn die Fähigkeit und der Wille Österreichs anzunehmen war, die Gemeinschaftsentscheidungen tatsächlich, im wohlverstandenen eigenen Interesse, mitzugestalten und mitzubestimmen.