6. September 1996 • Vereinzelte Aufhellungen des Konjunkturbildes • Georg Busch

Nach dem langen Winter haben sich Nachfrage und Produktion erholt, der Rückgang der Beschäftigung scheint vorerst beendet. Ob dies in eine nachhaltige Belebung der Konjunktur mündet, ist noch ungewiß: In der Industrie flaut die pessimistische Stimmung offenbar ab, und auch die Frühindikatoren in Deutschland zeigen eine Besserung an. Der private Konsum blieb bis zum Inkrafttreten des "Sparpakets" rege.

Aktuelle Lage und künftige Tendenz der österreichischen Konjunktur sind zur Zeit schwer zu bestimmen – und dies nicht ausschließlich wegen der nach wie vor sehr lückenhaften statistischen Informationen. Daß neben früheren Wechselkursverschiebungen und anderen internationalen Einflüssen auch der lange und strenge Winter Nachfrage und Produktion schwächte und den Rückgang der Beschäftigung verschärfte, scheint gewiß. Mit der Aufarbeitung des Produktionsrückstands im Frühjahr haben sich denn auch die Geschäftslage und der Personalbedarf in der Bauwirtschaft gebessert. Hingegen setzte die Industrie im Zuge von Rationalisierungsprogrammen zur Sicherung ihrer Konkurrenzfähigkeit auch nach dem Winter unvermindert Arbeitskräfte frei. Allerdings beurteilen die Unternehmen ihre Geschäftsaussichten nun weniger ungünstig als vor einigen Monaten und gaben in der jüngsten WIFO-Umfrage ehrgeizige Investitionspläne an. Vor allem die Erzeuger von Grundstoffen und Vorprodukten sind zuversichtlicher; offenbar beginnt die Aufstokkung von Lagervorräten, was für eine Konjunkturbelebung spräche.

Ähnlich positive Anzeichen sind in Deutschland erkennbar, wo gleichfalls die Wechselkursentwicklung bis zum Frühjahr 1995 einerseits und Wettereinflüsse andererseits den ungünstigen Konjunkturverlauf im Herbst und Winter bestimmten. So dürfte, nach ersten Meldungen, der Rückgang des BIP vom I. Quartal 1996 im Frühjahr aufgeholt worden sein. Seit März weisen die Auftragseingänge in der Industrie – aus dem Inland wie aus dem Ausland – beständig aufwärts, zuletzt belebte sich auch die Produktion. Laut Ifo bessert sich das Geschäftsklima in der gewerblichen Wirtschaft insgesamt, wenn auch mit gelegentlichen Rückschlägen.

In anderen EU-Ländern fehlen vorerst Hinweise auf neue Wachstumskräfte. So haben etwa in Italien Nachfrage und Produktion im Frühjahr an Schwung verloren, wohl in der Folge des Wiedererstarkens des Lirakurses. Auch in Frankreich wurden die Aussichten für das Wirtschaftswachstum 1996 nach unten korrigiert. In kaum einem Land kann die Binnennachfrage angesichts geringer Einkommenszuwächse und der Maßnahmen zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen nennenswerte Dynamik entfalten, obwohl sie durch sinkende Zinsen und tendenziell abnehmende Ersparnisbildung gestützt wird.

In Österreich blieb der private Konsum im Vorfeld der mit dem "Sparpaket" verbundenen Einschränkung der verfügbaren Einkommen erstaunlich rege. Für langlebige Konsumgüter wurde von Jänner bis Mai um rund 11%, für Urlaubsreisen (einschließlich Warenkäufe im Ausland) bis Ende Juni um 10% mehr ausgegeben als im Vorjahr. Die große Nachfrage nach Pkw war vor allem durch die bevorstehende Erhöhung der Normverbrauchsabgabe ab 1. Juni 1996 motiviert und flaute danach ab; auch die Käufe anderer Güter – etwa Wohnungseinrichtung – könnten im Hinblick auf künftig engere Einkommensspielräume "vorgezogen" worden sein; für die nächsten Monate ließe dies einen entsprechend ausgeprägten Nachfragerückgang erwarten. Andererseits spricht die hohe Konsumbereitschaft bei reduzierten Einkommensperspektiven für ein grundsätzlich intaktes Vertrauen der Haushalte in die künftige Sicherheit von Arbeitsplätzen und Wohlstand. Auch die niedrigen Sparzinsen stützen die Konsumneigung.

Der Rückgang der Beschäftigung kam im Frühjahr mit der saisonbedingten Belebung der Bautätigkeit zum Stillstand; seither ist die Tendenz wieder steigend. Im Zuge forcierter Rationalisierung hielt aber der Personalabbau in der Industrie sowie im Banken- und Versicherungssektor unvermindert an. Neue Arbeitsplätze entstanden in den übrigen wirtschaftsnahen Dienstleistungen, im Gesundheits- und im Unterrichtswesen. Der Beschäftigungsabbau verringerte sich im Jahresabstand von 39.500 im I. Quartal auf 9.500 im August. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen lag zuletzt um 9.600 über dem Vorjahreswert, ihr Anteil an den unselbständigen Erwerbspersonen beträgt 5,7%. Die nach EU-Definitionen berechnete saisonbereinigte Arbeitslosenquote liegt bei 4,1%.

Österreichs Leistungsbilanz schloß im 1. Halbjahr 1996 mit einem Defizit von 22½ Mrd. S; es war damit um 2 Mrd. S höher als im Vorjahr. Die für heuer erwartete Entlastung ist bisher – in geringem Ausmaß – nur im Warenhandel eingetreten. Im Reiseverkehr hielt die deutliche Verschlechterung an, der Nettoüberschuß betrug bis Ende Juni nur noch 17 Mrd. S. Auch die durch ungünstiges Wetter beeinträchtigte Hochsaison verspricht kaum eine Wende zum Besseren.

Die Inflationsrate liegt seit Oktober 1995 unter 2%. Eine leichte Beschleunigung von 1,5% im Mai auf 1,9% im Juli ist vor allem dadurch bedingt, daß im Vorjahresvergleich die Preiseffekte des EU-Beitritts allmählich abklingen und daß die Rohölpreise in Schilling in den letzten Monaten deutlich anzogen.