18. Juli 1996 • Neue Industrieökonomie empfiehlt sorgfältiges Design der Industriepolitik • Karl Aiginger

Die Industrieökonomie analysiert in den letzten Jahren verstärkt Fragen eines Entscheidungsprozesses, an dem zwei Unternehmen oder ein Unternehmen und eine wirtschaftspolitische Instanz beteiligt sind. Im ersten Fall suchen zwei Unternehmen ihre Position auf dem Markt zu verbessern; sie können das aber nicht jeweils für sich tun, sondern müssen berücksichtigen, daß ein zweites Unternehmen gleichzeitig ähnliche Überlegungen anstrengt. Die Theorie nennt diese Interaktion "nicht kooperatives Spiel", weil die Unternehmen sich nicht absprechen, sondern den höchstmöglichen Nutzen aus der Situation auch zu Lasten des anderen ziehen wollen. Im zweiten Fall will auf der einen Seite der Staat industriepolitische Ziele durchsetzen, auf der anderen Seite ein Unternehmen die jeweils beste Situation erreichen.

Das WIFO skizziert das am Beispiel der staatlichen Investitionsförderung. Der Staat regt die Unternehmen durch Subventionen an, Investitionen durchzuführen, die sie sonst nicht tätigen würden, die aber für eine Region besonders wichtig sind. Die Unternehmen beziehen diese Subventionen; sie würden aber den höchsten Nutzen erreichen, wenn sie die Subvention für Vorhaben verwendeten, die sie auch ohne Subventionen durchziehen müßten. Welcher der beiden Standpunkte sich durchsetzt, ist eine Frage des Anreizsystemes: Gelingt es dem Staat, die Bedingungen sehr genau zu formulieren und eine externe Kontrolle zur Überprüfung einzusetzen, so wird ein wirtschaftspolitisches Ziel erreicht. Ist der Grad der Neuheit der Investition nicht überprüfbar oder wird aus politischen Gründen auf die externe Kontrolle verzichtet, so wird die Subvention möglicherweise für Projekte verwendet, die der Staat nicht subventionieren will. Dann ergibt sich nur ein Sekundäreffekt, indem die Unternehmen mehr Mittel zur Verfügung haben. Dieser Mechanismus erklärt, warum viele staatliche Maßnahmen weniger effektiv sind als zunächst angenommen. Zu verbessern wäre die Situation durch eine Ex-post-Evaluierung, Kontrolle durch die EU-Wettbewerbsbehörde, Rechnungshofberichte u. ä. Eine weitere Möglichkeit wäre die Beschaffung von Informationen über vergleichbare in- und ausländische Unternehmen.

Ein weitere Gruppe von industriepolitischen Entscheidungen zeichnet sich durch drei Akteure aus: Die erste Instanz ist der politische Entscheidungsträger, der z. B. eine Privatisierungsmaßnahme beschließt. Die zweite Instanz ist die Institution, die die Entscheidung abwickelt. Der dritte Akteur ist die zu privatisierende Gesellschaft. Jede dieser Instanzen hat andere Ziele: Der politische Entscheidungsträger strebt höchstmögliche Einnahmen oder eine Beschäftigungsgarantie oder eine bestimmte Eigentümerkonstellation an (etwa nur Inländer). Das zu privatisierende Unternehmen wünscht etwa eine Garantie für die Lohnhöhe und die Beibehaltung von internen und externen Strukturen. Der mittlere ist der entscheidende Akteur, er kann durch sein Verhalten einen der beiden anderen Akteure unterstützen. Nach der Theorie sind die Anreize – d. h. die Entlohnung – unbedingt so zu gestalten, daß die Ziele des Entscheidungsträgers durchgesetzt werden.

Industriepolitik vollständig mit den Mechanismen der neuen Industrieökonomie zu beschreiben, wird nicht möglich sein. Das Design der Industriepolitik sollte aber zur Kenntnis nehmen, daß die Unternehmen, die man zum Wohl der Allgemeinheit beeinflussen will, sehr viel besser informiert sind als die Politik, sehr starke Interessen haben und ihre Züge auf eine konkrete Maßnahme der Politik nachträglich ausrichten können.