21. Mai 1996 • Direktinvestitionen in Osteuropa: Österreich auf dem Rückzug? • Jan Stankovsky

Österreich hat in den vergangenen Jahren Marktanteile in Osteuropa beim Export sowie insbesondere bei Direktinvestitionen verloren.

Verschiedene Studien kommen fast durchwegs zum Schluß, daß die "Ostöffnung" Österreich bedeutende wirtschaftliche Vorteile gebracht hat. Eine der Ursachen für dieses positive Ergebnis war, daß Österreichs Unternehmen die Chancen der Ostmärkte nach 1989 schneller und besser nutzten als ihre Konkurrenten. Der Höhepunkt des österreichischen "Aufbruchs" nach dem Osten scheint allerdings bereits in den Jahren 1991 oder 1992 erreicht worden zu sein. Im Warenexport erlitt Österreich 1992 Positionsverluste, die sich 1993, 1994 und nach Partnerlandstatistiken auch 1995 verstärkt haben.

Besonders deutlich hat sich die österreichische Position in bezug auf Direktinvestitionen in Ost-Mitteleuropa verschlechtert: 1990 leisteten Österreichs Unternehmen mehr als zwei Fünftel (41%) aller neuen Direktinvestitionen in dieser Region, 1991 immer noch 17,5%. 1992 ging der Anteil auf 11,3% zurück und nahm in den folgenden Jahren weiter ab. Er fiel im Jahr 1995 auf nur 5,6% zurück. Auf Schillingbasis stagnierten Österreichs Direktinvestitionen im Osten zwischen 1990 (4,8 Mrd. S) bzw. 1991 (5,5 Mrd. S) und 1995 (5,6 Mrd. S), während sich die gesamten Direktinvestitionen im Osten während dieser Periode von 1,3 Mrd. $ auf 13,1 Mrd. $ verzehnfachten. Der Anteil Österreichs an den Direktinvestitionsbeständen in Ost-Mitteleuropa ist seit 1991 ebenfalls rückläufig, doch sind hier die Positionsverluste weniger ausgeprägt. Der Marktanteil am Nominalkapital sank von 15% (1991) auf 9,5% (1995), am Gesamtkapital von 18% auf 12,9%.

Österreichs Direktinvestitionsboom Anfang der neunziger Jahre kam fast ausschließlich Ungarn zugute: 1990 entfielen fast 40%, 1991 und 1992 jeweils etwa 20% der Auslandsinvestitionen auf Österreich, Österreich war zeitweise der größte bzw. zweitgrößte Investor in Ungarn. In den Folgejahren fiel der Anteil bis auf 7,2% im Jahr 1995 zurück. In Tschechien zogen die österreichischen Direktinvestitionen erst 1993 und 1994 an, 1995 brachte wieder einen Rückschlag auf weniger als 5%. Ein völlig anderes Bild ergibt sich in der Slowakei und in Slowenien – Ländern, die bisher nur wenig Neuinvestitionen aus dem Westen erhielten. Österreich konnte hier seinen hohen Marktanteil von 20% bis 30% nicht nur halten, sondern zum Teil sogar ausweiten.

Österreichs Anfangserfolge in bezug auf Exporte und Direktinvestitionen in den osteuropäischen Nachbarländern können großteils auf jene Faktoren zurückgeführt werden, die als Grundlage der "Sonderrolle" Österreichs zwischen Ost und West gelten: traditionelle Beziehungen, räumliche und mentale Nähe, Flexibilität der (großteils mittelständischen) österreichischen Produzenten. Entscheidend dürfte aber der Informationsvorsprung gewesen sein, der es den potentiellen Investoren aus Österreich erleichterte, die damals noch unkalkulierbaren Risken eines "Investitionsabenteuers" im Osten besser abzuschätzen und somit auch die für ein Engagement entscheidende Risikoprämie niedriger anzusetzen. Für diese Annahme spricht nicht nur, daß Österreich unmittelbar einen Marktanteil von 40% erreichte, sondern auch die anhaltende Spitzenposition auf "unsicheren" Märkten. Zum eindrucksvollen Erfolg österreichischer Investoren im Osten trug zweifellos die österreichische Wirtschaftspolitik bei, insbesondere durch das frühzeitige Angebot verschiedener Verfahren zur Abdeckung der Investitionsrisken im Osten (Ost-West-Fonds der FGG, Internationalisierungsprogramm des ERP, Bürges, Beteiligungsgarantien der Kontrollbank).

Mit Stabilisierung der Wirtschaft im Osten und Überwindung der Informationsbarrieren erschließen auch andere westliche Länder Osteuropa als Investitionsstandort. Österreichs anfängliche Vorrangstellung war auf Dauer nicht zu halten. Das Ausmaß der Positionsverluste war aber größer als notwendig. Oft wird darauf hingewiesen, daß in den vergangenen Jahren die österreichische Wirtschaftspolitik auf das vorrangige Ziel des EU-Beitrittes konzentriert war und daß den Beziehungen zu Osteuropa nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Dies hat sich auch nach der Bewältigung der EU-Herausforderung nicht geändert. Sichtbarer Ausdruck der Vernachlässigung Osteuropas ist der nur sehr mangelhafte Ausbau der entsprechenden Infrastruktur. In bezug auf die Investitionsförderung wurden keine neuen Initiativen gesetzt, einige Verfahren (Umweltfonds) wurden eingeschränkt. In einem so sensiblen Bereich wie den grenzüberschreitenden Direktinvestitionen kommt den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zweifellos eine wichtige Rolle zu. In hohem Maße enttäuschend ist, daß der EU-Beitritt dem österreichischen Kapitalengagement im Osten keine Impulse verlieh – was infolge der Beseitigung verschiedener Hemmnisse zu erwarten gewesen wäre –, sondern den Rückgang sogar noch weiter beschleunigte. Dabei kann nicht als Erklärung gelten, daß sich Österreichs Investoren jetzt mehr auf die EU orientieren würden: der Anteil der Oststaaten an den gesamten Direktinvestitionen hat sich von 24,3% 1992 auf 52,8% (1995) verdoppelt. Zurückgegangen sind hingegen die gesamtösterreichischen Direktinvestitionen im Ausland (1992 20,6 Mrd. S, 1995 10,6 Mrd. S). Die Stagnation der österreichischen Direktinvestitionen im Osten dürfte daher auch auf grundsätzliche Strukturschwächen der Internationalisierung hinweisen.