5. Februar 1996 • Beschleunigter Rückgang der Beschäftigung • Georg Busch

Die Konjunktur ist in Österreich abwärts gerichtet, eine Wende zum Besseren zeichnet sich in den Frühindikatoren noch nicht ab. Vielmehr droht die anhaltende Wachstumsschwäche in Westeuropa das Investitionsklima nachhaltig zu beeinträchtigen. In deutlichem Gegensatz zum eher trüben Gesamtbild steht die bis zuletzt offenbar kräftige Steigerung des Warenexports.

Bis zur Jahreswende 1995/96 fehlten entscheidende Nachfrageimpulse, um Österreichs Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Aus Westeuropa häuften sich ungünstige Meldungen; die stockende Konjunktur gab Anlaß zur Sorge, daß neuerlich Arbeitsplätze verlorengehen und die Budgetprobleme der öffentlichen Körperschaften sich verschärfen würden. Im Inland verstärkte das vorzeitige Ende der Legislaturperiode die Unsicherheit über die künftigen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Die privaten Haushalte blieben daher in ihrer Nachfrage nach langlebigen Gütern zurückhaltend. Der Einzelhandel war davon besonders betroffen: Die Umsätze blieben real von September bis November unter dem Vorjahresniveau, auch das Weihnachtsgeschäft erfüllte mit einer Verkaufssteigerung um +½% kaum die ohnehin gedämpften Erwartungen. Dennoch stiegen die Konsumausgaben, vor allem für Warenkäufe im grenznahen Ausland und für Urlaubsreisen. Die Tourismuswirtschaft erlitt weitere Einbußen an inländischer wie ausländischer Nachfrage. Ihre erheblichen Positionsverluste im internationalen Preiswettbewerb lassen sich so rasch nicht wettmachen.

In der Industrie setzte zu Jahresmitte 1995 ein deutlicher Nachfragerückgang ein. Die Unternehmen reagierten rasch – mit verstärktem Personalabbau und einer Verschiebung von Investitionsvorhaben. Trotz ihrer zunehmend skeptischen Beurteilung der Konjunkturaussichten in der periodischen WIFO-Umfrage scheint das Geschäftsklima vorerst noch nicht nachhaltig getrübt, wie die für heuer geplante hohe Ausgabensteigerung zeigt. Schärferer internationaler Wettbewerb und Kostendruck zwingen zu Rationalisierung, legen auch weitreichende Anpassungen von Warensortiment, Produktionsverfahren und komplementären Dienstleistungen nahe. Die eher überdurchschnittlichen Unternehmenserträge und sinkende Zinsen bieten kaum Engpässe für die Finanzierung.

Die Bautätigkeit stagniert seit fast einem Jahr. Während der Wohnbau noch auf Monate mit der Fertigstellung zahlreicher Projekte hinreichend ausgelastet ist, geht im Tiefbau die Produktion schon seit einiger Zeit zurück. Neue Aufträge fehlen in beiden Sparten, vor allem die öffentliche Hand spart an Investitionen. Wie die Industrie haben auch die Bauunternehmen frühzeitig begonnen, ihren Beschäftigtenstand den ungünstigeren Aussichten anzupassen.

Die weniger konjunkturabhängigen Wirtschaftsbereiche des Dienstleistungssektors, bisher von ausländischer Konkurrenz weitgehend abgeschirmt, geraten im europäischen Binnenmarkt nun gleichfalls unter stärkeren Wettbewerbs- und Ertragsdruck. So bemühen sich etwa der Handel oder der Finanzsektor um sparsameren Personaleinsatz. Der öffentliche Dienst ist durch Budgetnöte gezwungen, den Personalaufwand einzudämmen, was durch Aufnahmesperren offenbar eher zu erreichen ist als durch Gehaltsmoratorien. Die Zahl der unselbständig Beschäftigten sinkt daher seit Herbstbeginn zunehmend unter das Vorjahresniveau (Jänner 1996 –33.000). Obwohl ein beträchtlicher Teil des Stellenabbaus über den vorzeitigen Übertritt in den Ruhestand erfolgt und so das Arbeitskräftepotential entlastet, steigt dennoch die registrierte Arbeitslosigkeit auf neue Rekordwerte; im Jänner betrug die Quote saisonbereinigt 7%, laut EU-Definition 3,7%.

Angesichts der nachlassenden Binnenkonjunktur und des gleichfalls erlahmenden Wachstums der westeuropäischen Märkte überrascht die ungebrochene Dynamik des österreichischen Außenhandels. Sowohl Warenexport- als auch -importzahlungen stiegen bis zuletzt regelmäßig mit zweistelligen Raten gegenüber dem jeweils hohen Ausgangsniveau des Vorjahres. Seit dem EU-Beitritt kann der grenzüberschreitende Warenverkehr bekanntlich nicht mehr direkt, sondern nur anhand der Zahlungsströme statistisch erfaßt werden, doch haben sich letztere in der Vergangenheit als durchaus brauchbare Näherungsgrößen erwiesen. Die Monat für Monat hohen Steigerungsraten im Jahr 1995 dürften daher nicht bloß statistisch verzerrt sein.

Die Vermutung liegt nahe, daß mit dem Eintritt in den EWR und dem darauffolgenden EU-Beitritt in Österreich ein neuer "Internationalisierungsschub" eingesetzt hat, d. h. eine noch stärkere Verflechtung und Einbindung in den internationalen Güter- und Kapitalverkehr. Auf der Importseite mögen damit vorübergehend Marktanteilsverluste für inländische Anbieter verbunden sein, die jedoch Lerneffekte auslösen und die Unternehmen zu strukturverbessernden Investitionen – mit gleichfalls hohem unmittelbarem Importgehalt – anregen können und sollten. Die vergleichsweise noch höheren Zuwachsraten des Exports im Jahr 1995 weisen darauf hin, daß – trotz der zusätzlichen Belastung aus Wechselkursverschiebungen – die österreichischen Unternehmen neue Marktchancen in Europa durchaus erkannt und ergriffen haben, was für ihre "strukturelle" Wettbewerbsfähigkeit spricht. Nach der Überwindung der internationalen Konjunkturschwäche und interner Anpassungsprobleme sollte Österreichs Wirtschaft deshalb wieder auf einen rascheren Wachstumspfad bei verringertem außenwirtschaftlichem Ungleichgewicht zurückkehren können.