17. Jänner 1996 • Die Auswirkungen des EU-Beitritts auf die Verbraucherpreise • Wolfgang Pollan

Österreichs Beitritt zur Europäischen Union verschärfte den Wettbewerb auf allen Produktions- und Handelsstufen. Soweit die preisdämpfenden Wirkungen auf Kostenreduktionen beruhen, dürften diese auf der Ebene der Konsumentenpreise erst mit einiger Verzögerung eintreten.

Eine wichtige Ausnahme bilden die Nahrungsmittelpreise. Der EU-Beitritt bedeutete die Übernahme der Gemeinsamen Agrarpolitik sowie die Öffnung der Agrar- und Nahrungsmittelmärkte für Mitbewerber aus der EU. Die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise und die Verbraucherpreise, die zuvor erheblich über dem EU-Niveau gelegen waren, gaben zur Jahreswende 1994/95 deutlich nach. Seither gingen die Preise nur leicht zurück. Grundnahrungsmittel (hauptsächlich Milch und Milchprodukte, Mehl und Mehlprodukte) wurden im III. Quartal um 12% billiger als vor einem Jahr angeboten; dagegen waren Fleisch, Geflügel und Fische um nur 1% billiger.

Für Industriewaren traten preisdämpfende Effekte erst mit einiger Verzögerung ein. Obwohl eine Reihe von Industriewaren in Österreich teurer ist als in Westdeutschland, war der Preisauftrieb in Österreich im 1. Halbjahr weiterhin höher als in Westdeutschland. Erst im 2. Halbjahr kehrte sich dieser Trend um. Die Entwicklung der Dienstleistungspreise scheint noch kaum von der Integration berührt zu sein.

Wenn der Preisverlauf in Westdeutschland als Maßstab herangezogen wird, läßt sich die preisdämpfende Wirkung Österreichs Beitritt zur EU auf fast ½ Prozentpunkt im 1. Halbjahr und auf fast ¾ Prozentpunkte im III. Quartal 1995 schätzen. Ohne EU-Effekte hätte somit die Inflationsrate in Österreich im III. Quartal nicht 2,1%, sondern 2,8% betragen. Der überwiegende Teil der EU-Effekte ist der Verbilligung der Nahrungsmittel zuzuschreiben.

Eine Preiserhebung, die von der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien in Berlin und Wien zu zwei verschiedenen Zeitpunkten durchgeführt wurde, bietet weitere Aufschlüsse über die Preisdynamik. In einigen Bereichen waren Konsumgüter in Wien erheblich teurer als in Berlin; allerdings gibt es auch eine Reihe von Waren, die in Wien billiger als in Berlin angeboten wurden. Die Preisunterschiede zwischen Wien und Berlin verringerten sich deutlich von Herbst 1994 bis Frühjahr 1995: Je höher die relativen Preisunterschiede im Herbst 1994, desto stärker paßten sich die Preise in Wien an jene in Berlin an. Diese Tendenz zur Angleichung der Preise war für Lebensmittel besonders deutlich ausgeprägt.

Die Preisunterschiede zwischen Österreich und anderen EU-Ländern zeigen, daß auf einigen Produktmärkten die Produzenten als Preissetzer agieren und zwischen verschiedenen nationalen Märkten diskriminieren können. Diese Praxis der Preisdiskriminierung ist auch in einer Vielzahl von empirischen Studien über Exportpreise dokumentiert.

Österreich scheint in einigen Bereichen den Ruf als Hochpreisland zu haben, in dem Segmentierungsstrategien erfolgreich eingesetzt werden können. Hier dürfte sich im vergangenen Jahr ein Wandel angebahnt zu haben. Die während der Debatte über den EU-Beitritt genährten Erwartungen über einen raschen Preisverfall sowie die Vielzahl von Preisvergleichen zwischen Inland und Ausland ließen die heimischen Käufer kritischer werden. Die Stärkung des Preisbewußtseins unterläuft die von manchen Unternehmen verfolgte Segmentierungsstrategie. Die Förderung eines preisbewußten Kaufverhaltens der Konsumenten bleibt weiterhin eine vordringliche Aufgabe. Wo aber die Käufer Monopolisten oder Unternehmen gegenüberstehen, die ihre marktbeherrschende Stellung mißbrauchen oder mit anderen Unternehmen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen eingehen, bedarf es des Einsatzes von Instrumenten der Wettbewerbspolitik.