26. September 2002 • Die wirtschaftspolitische Architektur der WWU • Fritz Breuss

Die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) – 1999 mit 11 EU-Mitgliedstaaten begonnen, 2001 um Griechenland erweitert und erst im Jahr 2002 durch die Einführung des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt – weist eine eigenständige wirtschaftspolitische Architektur auf. Sie basiert als wirtschafts- und währungspolitisches System auf einer fundamentalen Asymmetrie und besteht aus drei Elementen: einer unabhängigen Zentralbank (EZB) mit ausschließlicher Zuständigkeit für die Währungspolitik (Geldpolitik) im Euro-Währungsraum, den weiterhin von den Mitgliedstaaten betriebenen einzelstaatlichen Wirtschaftspolitiken (Fiskal- bzw. Budgetpolitik) und schließlich der Anerkennung der einzelstaatlichen Wirtschaftspolitiken als einer Angelegenheit von "gemeinsamem Interesse", die folglich einer gewissen Koordination im Europäischen Rat bedarf.

Zentrale Geldpolitik für eine inhomogene EU

Die Geldpolitik der EZB wird zentral und für alle Länder der Euro-Zone gleich gemacht. Vorrangiges Ziel ist die Preisstabilität in der Euro-Zone. Die geldpolitische Strategie der EZB enthält drei Hauptelemente: eine quantitative Festlegung der Preisstabilität (sie definiert diese als eine Inflationsrate von bis zu 2%) als vorrangiges Ziel des Eurosystems und ein "Zwei-Säulen-Konzept".

Im Rahmen der "ersten Säule" wurde für das Wachstum der Geldmenge (M 3) ein Referenzwert von 4,5% festgelegt. Da dieser Referenzwert fast immer überschritten wird, wäre es im Sinne der Glaubwürdigkeit der Geldpolitik besser, auf diese Säule zu verzichten.

Im Rahmen der "zweiten Säule" wird ein Bündel von Konjunkturindikatoren herangezogen, um adäquate Inflationsprognosen zu erstellen. Trotz ungünstiger internationaler Rahmenbedingungen (Erdölpreisschock 2000/01, Weltrezession 2001/02) gestaltete die EZB die Geldpolitik erfolgreich. Dennoch wäre es empfehlenswert, künftig die Geldpolitik eher an der Kerninflation (d. h. an der Inflationsrate unter Ausklammerung von Energie- und Nahrungsmittelpreisen) als an der tatsächlichen Inflation festzumachen. Wie ökonometrische Schätzungen zeigen, orientiert sich die EZB in ihrer Zinspolitik nicht nur am Inflationsziel, sondern auch an gesamtwirtschaftlichen Zielen (Industrieproduktion), und sie dürfte sich bisher mit einiger Verzögerung an die Zinspolitik der Fed in den USA angelehnt haben. Was der EZB im Vergleich mit internationalen Vorbildern fehlt, ist eine stärkere Rechenschaftspflicht – z. B. gegenüber dem Europäischen Parlament.

Einfluss auf die Budget- und Fiskalpolitik

Die Schaffung der WWU hat nicht nur die Geldpolitik revolutioniert, sondern auch tiefe Spuren in der fiskalpolitischen Stabilitätskultur in der EU hinterlassen. Bereits der Zwang, die Konvergenzkriterien für die Teilnahme an der Währungsunion zu erfüllen, senkte die Budgetdefizite in der EU deutlich unter 3% des BIP. Mit dem Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion verstärkte sich dieser Trend weiter – nicht zuletzt unter dem Diktat des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP): Hatten 1997 – vor dem Eintritt in die WWU – nur drei von 15 EU-Ländern (Dänemark, Irland, Luxemburg) einen Budgetüberschuss aufgewiesen, so waren es im Jahr 2001 bereits neun Länder. Damit wurde nicht nur die steigende Tendenz der Staatsschuldenquote gebrochen, sondern auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen geleistet.

Zwar trug der SWP zur Disziplinierung der Fiskalpolitik bei, doch zeigen sich gerade in Zeiten schwachen Wachstums bzw. in Rezessionen seine Schwächen. Gerade im Zuge der jüngsten Rezession in Europa gerieten einige Euro-Länder nahe an den vom SWP gesetzten Referenzwert für die Neuverschuldung (3% des BIP). Portugal überschritt ihn sogar nachträglich für das Jahr 2001, Deutschland, Frankreich und Italien stoßen bereits an die Grenzen. Dabei wird die vorübergehende Mehrbelastung des Staatshaushalts infolge der Flutkatastrophe vom SWP ausdrücklich geduldet.

In jüngster Zeit wird im Rahmen der Evaluierung des SWP aber nicht nur auf die Saldenziele geachtet (mittelfristig ausgeglichenes Budget), sondern auch auf die Nachhaltigkeit (im Sinne einer langfristigen Finanzierbarkeit angesichts der Überalterung der Bevölkerung) und auf die "Qualität" der öffentlichen Haushalte. Nicht zuletzt gelten für Steuerreformen Auflagen, wenn das SWP-Ziel noch nicht erreicht wurde: Steuersenkungen müssen dann durch Ausgabenkürzungen finanziert werden.

Koordinationsbedarf

Die WWU benötigt wegen ihrer asymmetrischen wirtschaftspolitischen Architektur und der eindeutigen Zuordnung der Kompetenzen (die EZB ist ausschließlich zuständig für die Geldpolitik, die EU-Mitgliedstaaten für die Wirtschaftspolitik) eine spezielle Form der wirtschaftspolitischen Koordination. Gemäß dem EG-Vertrag betrachten die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik (vor allem die Fiskalpolitik) als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse und koordinieren sie im Europäischen Rat. Im Laufe der Zeit haben sich dafür komplizierte Mechanismen und eine Reihe von Prozessen herausgebildet ("Luxemburg-Prozess" – Beschäftigungspolitik, "Cardiff-Prozess" – Strukturpolitik, Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes, "Köln-Prozess" – makroökonomischer Dialog, "Lissabon-Prozess" – offene Methode der Koordination). Die multilaterale Überwachung im Rahmen des SWP erfolgt in einem bestimmten Jahresrhythmus, begleitet von der jährlichen Erstellung der "Grundzüge der Wirtschaftspolitik".

Offen ist, ob dieser aufwendige Koordinationsprozess (administrativ, politisch) mögliche Gewinne aus der Koordination nicht bereits übersteigt. Die ökonomische Literatur zu Fragen der wirtschaftspolitischen Koordination ist hier nicht einer Meinung. In der Regel wird davon ausgegangen, dass eine "volle" Koordination zwischen Geld- und Fiskalpolitik die höchsten Koordinationsgewinne bringen müsste. Tatsächlich schließt aber der EG-Vertrag eine solche Koordination aus und verpflichtet nur zur Koordination der Wirtschaftspolitik (mit Ausnahme der Geldpolitik). Empirisch ermittelte Gewinne aus der Koordination (in den verschiedensten Konstellationen) erreichen meist wenig mehr als 1% des BIP. Manche Studien – meist theoretische Arbeiten – kommen sogar zum Schluss, dass Koordination der Wirtschaftspolitik kontraproduktiv sein kann.

Aufgrund dieser Erkenntnisse sind weitergehende Forderungen an den gegenwärtig tagenden Reformkonvent zur Zukunft Europas (z. B. seitens der Kommission) nach einer Intensivierung der Koordination eher nicht sinnvoll. Eine Analyse des komplexen wirtschaftspolitischen Zusammenspiels innerhalb der WWU lässt vielmehr eine Verschlankung der Koordination angebracht erscheinen. Der Vergleich der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in den USA und der EU im letzten Jahrzehnt legt den Schluss nahe, dass in der EU nicht nur die Arbeits- und Kapitalmärkte noch relativ rigide sind, sondern auch die Wirtschaftspolitik relativ unflexibel agiert. Die vorliegende Analyse schlägt zwei Lösungen vor:

  • Eine Stärkung der Gemeinschaft erlaubt es künftig auch der Wirtschaftspolitik stärker europäisch zu agieren.
  • Wird die gegenwärtige Kompetenzverteilung nicht verändert, dann ist nicht eine Verstärkung, sondern eher eine Vereinfachung bzw. Verschlankung der Koordination angebracht. Wie das Studium der Koordinationsliteratur zeigt, liefert auch in der Wirtschaftspolitik eine Intensivierung des Wettbewerbs auf EU-Ebene (z. B. Systemwettbewerb, Steuerwettbewerb) nicht unbedingt schlechtere Lösungen als der Zwang zur Koordination.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 9/2002!