11. September 2002 • Unternehmen abermals pessimistischer – Arbeitslosigkeit steigt weiter • Marcus Scheiblecker

Die Einschätzung der aktuellen Auftragslage durch die Unternehmen zeigt weiterhin keine Verbesserung der Konjunkturlage an. Die Erwartungen zur Produktionstätigkeit in den kommenden Monaten wurden neuerlich pessimistischer. Die Hochwasserkatastrophe verursachte darüber hinaus enorme Vermögensverluste und beträchtliche Produktionsausfälle, denen die Arbeiten zur Behebung der Schäden erst mit einer gewissen Verzögerung entgegenwirken werden.

Gemäß der im August vom WIFO im Auftrag der EU durchgeführten Konjunkturumfrage hat sich die Einschätzung der aktuellen Auftragslage gegenüber den Vormonaten kaum verändert, die Erwartungen für die Produktionstätigkeit in den kommenden Monaten haben sich jedoch neuerlich eingetrübt. Dabei erfolgte die Befragung im Wesentlichen vor der Flutkatastrophe. Nur eine kleine Zahl von Unternehmen übermittelten ihre Meldungen so spät, dass sie die Hochwasserfolgen in ihrer Einschätzung bereits berücksichtigen konnten.

Die Flutkatastrophe hat private Wohnhäuser, Betriebsgebäude und öffentliche Infrastruktur (Straßen, Bahnlinien) zerstört. Die Vermögensverluste dürften nach neuesten Informationen an der unteren Grenze der vom WIFO ursprünglich erwarteten Bandbreite (2,5% bis 3,5% des BIP) liegen (Kramer, H., Budgetpolitik und wirtschaftspolitische Strategie, WIFO, Wien, August 2002, http://titan.wsr.ac.at/wifosite/wifosite.get_abstract_type?p_language=2&pubid=22581&pub_language=-1&p_type=0). Der Einfluss auf das Wirtschaftswachstum, der durch Produktionsausfälle einerseits und Reparaturarbeiten andererseits entsteht, dürfte per Saldo relativ gering sein (siehe Kasten). Der Tourismus und die Versicherungswirtschaft sind am stärksten negativ betroffen, die Bauwirtschaft wird vom Wiederaufbau Impulse erhalten.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Hochwasserkatastrophe

Die starken Regenfälle Mitte August hatten vor allem in Ober- und Niederösterreich katastrophale Überschwemmungen zur Folge. Das Hochwasser verursachte große Schäden an Infrastruktur, Betriebs- und Wohngebäuden. In Mitleidenschaft gezogen wurden auch Agrarflächen, Transportmittel, Mobiliar und Gebrauchsgüter. Bei der Beurteilung der ökonomischen Effekte muss zwischen der Beeinträchtigung der Produktion und dem Vermögensverlust unterschieden werden. Die Quantifizierung fällt in einigen Bereichen sehr schwer. Für den Gesamteffekt auf das Wirtschaftswachstum im Jahr 2002 kann nicht einmal das Vorzeichen mit Sicherheit bestimmt werden. Für eine Schätzung dieses Effekts müssen die Produktionsausfälle der Mehrproduktion für die Wiederherstellungsarbeiten gegenübergestellt werden:

Produktionsausfälle

• Bewertet man den Schaden an den betroffenen landwirtschaftlichen Flächen mit den im Vorjahr erzielten Erntemengen und Erzeugerpreisen, dann liegt der Ernteausfall zwischen 14 Mio. € und 30 Mio. € (besonders Zuckerrüben und Mais). Die angegebene Obergrenze dürfte relativ robust sein, da nicht in jedem Fall von einem Gesamtausfall der Ernte auszugehen ist. Der Schaden entspricht etwa 0,6% bis 1,2% des Wertes der Pflanzenproduktion bzw. 0,25% bis 0,5% des Outputs der österreichischen Landwirtschaft.

Im Vergleich dazu ist der zu erwartende Dürreschaden im Getreidebau von rund 10% wegen Trockenheit während des Herbstanbaus 2001 und im Frühjahr 2002 nach demselben Bewertungsschema auf etwa 50 Mio. € zu schätzen und übersteigt damit deutlich den Hochwasserschaden. Die Hochwasserkatastrophe hat jedoch einige Betriebe nahezu die gesamte Ernte gekostet.

• Der Tourismus ist von der Flutkatastrophe besonders schwer betroffen. Diese ereignete sich gerade im August, dem wichtigsten Reiseverkehrsmonat. Die Ausfälle sind im restlichen Jahresverlauf nicht mehr auszugleichen. Die Nachricht von der Katastrophe zieht auch andere Zielgebiete in Österreich in Mitleidenschaft. Viele Urlauber schrecken davor zurück, in einem "Katastrophengebiet" Urlaub zu machen. Weiters waren auch Herkunftsgebiete der Gäste (Deutschland und Tschechien) von den Unwettern betroffen. Der für Urlaubsausgaben vorgesehene Teil des Haushaltseinkommens dürfte hier zumindest teilweise in Reparaturen fließen.

• Die Schadenszahlungen der Versicherungen gehen als Abzugsposten in die Berechnung des Bruttoinlandsproduktes ein, soweit diese nicht durch Rückversicherungen oder durch Rückstellungsauflösungen gedeckt sind. Die Zahlungen sind bei Hochwasserschäden zwar meist limitiert, dennoch dürften sie einen dreistelligen Millionenbetrag ausmachen. Nach den Angaben einiger Versicherungen dürften die Zahlungen rund 500 Mio. € erreichen. Über Rückversicherungen schlagen auch Schäden in Tschechien bei den österreichischen Versicherungen zu Buche.

• Der Produktionsverlust in den betroffenen Regionen erstreckte sich auf viele Branchen, der individuelle Schaden war für einzelne Unternehmen enorm.

• Die kostenlose, freiwillige Hilfeleistung wird mangels einer geeigneten ökonomischen Bewertungsmöglichkeit nicht in die gesamtwirtschaftliche Produktion eingerechnet. Hingegen kann sich der Ausfall am Arbeitsplatz in einem Produktionsentgang niederschlagen.

Produktionsanstieg

• Die erforderlichen Reparaturarbeiten an Gebäuden und Straßen erhöhen die Bauproduktion, die von der Konjunkturschwäche besonders betroffen ist. Die Preiseffekte dieser Nachfragesteigerung dürften klein sein, da die Kapazitätsauslastung in der Bauwirtschaft derzeit gering ist.

• Wie hoch die positiven Auswirkungen auf Produktion und Handel von Ersatzanschaffungen sein werden, hängt einerseits von Höhe und Art der Schäden ab und andererseits von der Bereitschaft, diese zu ersetzen. Der durch die Wiederherstellung des Wohnbedarfs eingeengte finanzielle Spielraum wird häufig keine vollständige Ersatzanschaffung in naher Zukunft zulassen.

• Auch die gegen Bezahlung geleisteten Überstunden bei professionellen Hilfsorganisationen erhöhen die gesamtwirtschaftliche Produktion.

Zweifellos betragen die Vermögensverluste ein Vielfaches der Produktionsausfälle. Das BIP erweist sich jedoch in diesem Fall als schlechter Wohlstandsindikator: Es berücksichtigt nicht die Zerstörung von Vermögen, wohl aber dessen Wiederherstellung. Die Gemeinden beziffern ihre Infrastrukturschäden mit rund 500 Mio. €. Zusätzlich entstanden – allerdings in viel geringerem Umfang – Schäden bei Land und Bund. Allein in Niederösterreich wurden rund 10.000 Häuser in Mitleidenschaft gezogen. Die Wertminderung von Wohn- und Betriebsgebäuden durch jahrelange Feuchtigkeit ist quantitativ kaum zu erfassen. Dazu kommen Produktionsausfälle sowie die verminderte Nachfrage im Tourismus. Die Produktion konnte in den meisten Betrieben relativ rasch wieder aufgenommen werden, die Auswirkungen auf die Tourismusnachfrage dürften jedoch noch längere Zeit zu spüren sein.

Die Konjunkturumfragen in Österreich stehen im Einklang mit jenen in Deutschland. Die jüngste Befragung des Münchner ifo-Institutes unter deutschen Unternehmen deutet ebenfalls auf eine Unterbrechung des Aufschwungs – wenn nicht sogar auf einen neuerlichen Abschwung hin: Der Geschäftsklimaindex hat sich im August zum dritten Mal in Folge verschlechtert.

Durch die Konjunkturschwäche wurde der deutsche Staatshaushalt erheblich belastet. Heuer wird es für Deutschland schwierig werden, das Budgetdefizit unter der im Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinbarten Höchstgrenze von 3% des nominellen BIP zu halten. Um den Staatshaushalt bis 2004 wie vorgesehen auszugleichen, würde es einer äußerst restriktiven Fiskalpolitik bedürfen. Das könnte nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, sondern auch in Österreich und ganz Europa beeinträchtigen.

Die Verzögerung des Aufschwungs in der EU gibt der EZB mehr Spielraum in der Zinspolitik. Die Inflationsrate liegt im Euro-Gebiet bei rund 2%, sie dürfte infolge der schwachen Konjunktur in den kommenden Monaten tendenziell zurückgehen. Das Geldmengenwachstum überstieg zwar in den letzten Monaten den Referenzwert deutlich; das lässt sich jedoch mit Sondereinflüssen erklären.

Die Dollarschwäche trägt über eine Verbilligung der Importe zum Nachlassen der Inflation im Euro-Raum bei, allerdings verschlechtern sich dadurch auch die Exportchancen für europäische Güter. Die negativen realen Effekte der Höherbewertung einer Währung treten gewöhnlich mit einer Verzögerung von zwei bis drei Quartalen ein. Diese dämpfenden Effekte sind ein Risikofaktor, da angesichts der schwachen Binnennachfrage der Außenbeitrag für die Euro-Länder derzeit die wichtigste Konjunkturstütze ist. So betrug der Handelbilanzüberschuss im Euro-Raum im 1. Halbjahr 2002 42 Mrd. €, nach nur 4,3 Mrd. € im Vergleichzeitraum des Vorjahres.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 9/2002!