6. August 2002 • Aktienmärkte dämpfen das Wachstum in den USA. Mittelfristige Prognose der Weltwirtschaft bis 2006 • Stephan Schulmeister

Die jüngsten Kursverluste an den Aktienbörsen haben die Unsicherheit über die weitere Wirtschaftsentwicklung, insbesondere in den USA und Europa, merklich erhöht. Die vorliegende Prognose nimmt aus drei Gründen an, dass die Kurse nicht weiter einbrechen: Erstens sind die Aktienkurse gegenüber ihren Höchstwerten vor zwei Jahren bereits so stark gefallen, dass der Wert der Aktiengesellschaften zu laufenden Kursen wieder annähernd ihrem "realen" Gesamtwert entsprecht (Realkapital plus Nettofinanzvermögen). Zweitens dürften das äußerst niedrige Zinsniveau und die entsprechend hohen Anleihenkurse Anleger veranlassen, Finanzvermögen wieder zu den nunmehr viel billigeren Aktien umzuschichten. Drittens wird die Wirtschaftspolitik alle Anstrengungen zu einer "Beruhigung" der Aktienmärkte unternehmen, da eine Fortsetzung der Kursverluste nicht nur den Konjunkturaufschwung, sondern auch die Alterssicherung in jenen Ländern bedroht, in denen diese schon in erheblichem Maß auf dem Kapitaldeckungsverfahren beruht (insbesondere in den USA). Setzt sich die jüngste Talfahrt an den Börsen nicht fort, so wird sie das mittelfristige Wachstum der Weltwirtschaft kaum beeinträchtigen.

Das BIP der Industrieländer dürfte bis 2006 um durchschnittlich 2,5% pro Jahr expandieren und damit etwas langsamer als 1995/2001. Dies ist ausschließlich auf eine merkliche Wachstumsabschwächung in den USA zurückzuführen.

Nicht zuletzt als Folge des Aktienbooms und des dadurch mitverursachten Rückgangs der Sparquote der privaten Haushalte wuchs die Wirtschaft in den USA zwischen 1995 und 2001 besonders kräftig (+3,6%). Zwar wird die Sparquote in den USA wieder steigen (vor allem als Reaktion auf die bisherigen Aktienkursverluste), eine weiterhin expansive Geld- und Fiskalpolitik (die Dollarzinsen werden kaum 3% betragen, das Budgetdefizit wird deutlich erhöht) sowie ein niedrigerer Dollarkurs als 2000/01 werden der Wirtschaft jedoch ein mittelfristiges Wachstum von 2,9% pro Jahr ermöglichen.

Die Wirtschaft wird in der EU bis 2006 weiterhin schwächer expandieren als in den USA, nämlich um 2,5% pro Jahr. Dafür sind im Wesentlichen drei Gründe bestimmend: Das Zinsniveau des Euro wird im Durchschnitt um mehr als 1 Prozentpunkt höher sein als jenes des Dollars, die Fiskalpolitik wird angesichts der deutlichen Abweichung des Budgetdefizits wichtiger Länder wie Deutschland, Italien und Frankreich von den EU-Stabilitätszielen weiterhin restriktiv sein, und schließlich wird die Dynamik der EU-Exporte durch die Euro-Aufwertung gedämpft (die restriktive Wirtschaftspolitik macht das Wachstum der EU in hohem Maß von den Exporten abhängig).

In Japan wird das Wirtschaftswachstum angesichts der ungelösten Probleme des Finanzsektors, des hohen Wechselkurses des Yen, der steigenden Arbeitslosigkeit und der Verunsicherung von Unternehmen und Haushalten schwach bleiben und im Durchschnitt 2001/2006 nur 1,2% betragen.

Die erdölexportierenden Länder werden ihr BIP bis 2006 um 4,1% pro Jahr steigern können. Dazu wird das im Vergleich mit den neunziger Jahren höhere Niveau des Erdölpreises – er dürfte im Durchschnitt bei 26,7 $ je Barrel liegen – wesentlich beitragen. Die Wirtschaft der anderen Entwicklungsländer wird bis 2006 um 5,4% pro Jahr wachsen, wesentlich durch den äußerst niedrigen Realzins für internationale Dollarschulden (–0,4%) gefördert. Diese günstigen Finanzierungsbedingungen lassen den Ausbruch weiterer Schuldenkrisen unwahrscheinlich erscheinen. Die früheren Planwirtschaften werden ihr Wachstum insbesondere dank der Produktionsverlagerungen im Zuge der EU-Osterweiterung besonders stark beschleunigen können (von +2,5% 1995/2001 auf +3,7% bis 2006).

Übersicht 1: Die wichtigsten Prognoseergebnisse im Überblick

 

1995/
2001

2002

2003

2004

2005

2006

2001/
2006

 

Durchschnittliche jährliche Veränderung in %

               

Dollar je Euro absolut

+ 1,07

+ 0,95

+ 0,98

+ 1,00

+ 1,00

+ 1,00

+ 0,99

Euro-Dollarzins absolut

+ 5,4

+ 2,0

+ 2,8

+ 3,5

+ 3,3

+ 3,0

+ 2,9

Euro-Zins kurzfristig absolut

-

+ 3,5

+ 4,2

+ 4,5

+ 4,5

+ 4,0

+ 4,1

Erdölpreis $ je Barrel

+ 20,2

+ 24,5

+ 26,0

+ 27,0

+ 28,0

+ 28,0

+ 26,7

Realzins für internationale Schulden1) in %

+ 8,2

+ 0,9

- 0,8

- 0,9

- 1,3

± 0,0

- 0,4

Weltexporte, real

+ 6,5

+ 3,4

+ 7,9

+ 8,8

+ 8,3

+ 7,5

+ 7,2

  Industrieländer

+ 6,0

+ 3,0

+ 7,3

+ 8,2

+ 7,5

+ 6,7

+ 6,5

  Erdölexporteure

+ 3,4

+ 0,7

+ 5,3

+ 5,7

+ 5,2

+ 4,4

+ 4,3

  Sonstige Entwicklungsländer

+ 9,4

+ 5,3

+ 10,2

+ 11,2

+ 10,6

+ 9,8

+ 9,4

  Oststaaten

+ 2,1

+ 3,8

+ 8,4

+ 9,2

+ 8,6

+ 7,8

+ 7,5

Welt-BIP, real

+ 3,7

+ 2,9

+ 3,9

+ 4,4

+ 4,2

+ 3,7

+ 3,8

  Industrieländer

+ 2,8

+ 1,6

+ 2,7

+ 3,1

+ 2,6

+ 2,3

+ 2,5

  Erdölexporteure

+ 3,7

+ 3,0

+ 4,0

+ 5,0

+ 4,5

+ 4,0

+ 4,1

  Sonstige Entwicklungsländer

+ 5,0

+ 4,5

+ 5,5

+ 6,0

+ 6,0

+ 5,0

+ 5,4

  Oststaaten

+ 2,5

+ 2,5

+ 3,5

+ 4,0

+ 4,2

+ 4,2

+ 3,7

    Ost-Mitteleuropa

+ 3,8

+ 1,6

+ 3,0

+ 3,5

+ 4,0

+ 4,0

+ 3,2

    Russland

+ 1,9

+ 3,5

+ 4,0

+ 4,5

+ 4,5

+ 4,5

+ 4,2

  OECD

+ 2,8

+ 1,6

+ 2,7

+ 3,1

+ 2,6

+ 2,3

+ 2,5

    USA

+ 3,6

+ 2,3

+ 3,3

+ 3,5

+ 3,0

+ 2,5

+ 2,9

    Japan

+ 1,0

- 1,0

+ 1,0

+ 1,5

+ 2,0

+ 2,5

+ 1,2

    EU

+ 2,4

+ 1,3

+ 2,8

+ 3,3

+ 2,5

+ 2,0

+ 2,4

      Deutschland

+ 1,6

+ 0,7

+ 2,3

+ 2,8

+ 2,0

+ 1,5

+ 1,9

Q: WIFO-Datenbank. –  1)  Euro-Dollarzins, deflationiert mit den Welthandelspreisen insgesamt.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 8/2002!