25. Juli 2002 • Konjunkturzyklen der österreichischen Wirtschaft • Marcus Scheiblecker

Die Konjunkturforschung verfügt über keine einheitliche Definition von "Konjunktur". Die Konzepte unterscheiden sich hinsichtlich ihres theoretischen Ansatzes, der verwendeten Verfahren und der zugrunde liegenden wirtschaftlichen Zeitreihen. Die gelegentlich übliche Definition einer Rezession als Rückgang des um Saison- und Arbeitstagseffekte bereinigten realen BIP in zwei aufeinanderfolgen Quartalen kann lediglich als ungenaue Daumenregel angesehen werden. Nach diesem Ansatz durchlief Österreich seit 1954 nur drei Rezessionen, wird die BIP-Zeitreihe auch um irreguläre Schwankungen bereinigt, so erhöht sich die Zahl auf fünf.

Nach einer Phase der wirtschaftlichen Prosperität im Jahr 2000 ließ das Wirtschaftswachstum in Österreich immer mehr nach, im III. und IV. Quartal des Jahres 2001 schrumpfte das reale BIP sogar. Im ökonomischen Sprachgebrauch wird ein Rückgang der um Saisonschwankungen und Arbeitstagseffekte bereinigten gesamtwirtschaftlichen Produktion in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen gelegentlich als Rezession bezeichnet. Genaugenommen ist die Konjunktur jedoch als Schwankung des Auslastungsgrades der Wirtschaft oder als Abweichung vom Potentialwachstum ("Output-Lücke") definiert. In der Praxis wird diesem Umstand oftmals dadurch Rechnung getragen, dass das Trendwachstum vom Wirtschaftswachstum subtrahiert wird, um einen geeigneten Indikator zu erhalten. Die so korrigierten Wachstumsraten weisen jedoch einen gewissen Vorlauf gegenüber dem Konjunkturzyklus auf.

Die Tatsache, dass sich die Konjunktur in den verschiedensten wirtschaftlichen Zeitreihen widerspiegelt, schlägt sich in unterschiedlichen Ansätzen in der Konjunkturforschung nieder. Auch hinsichtlich einer angemessenen Methode zur Isolierung der Trendkomponente besteht weitgehend Uneinigkeit unter den Konjunkturforschern. Hingegen ist die Bedeutung einer qualitativ hochwertigen Bereinigung um Saison- und Arbeitstagseffekte unumstritten, da diese die Ergebnisse der unterschiedlichen Konjunkturmessungsverfahren erheblich beeinflusst.

Datiert man die Konjunkturphasen in Österreich seit 1954 allein aufgrund der saison- und arbeitstagsbereinigten Veränderungsraten des vierteljährlichen BIP (wobei hier sinnvoller Weise auch die irregulären Schwankungen unberücksichtigt bleiben), so traten in dieser Zeit – gemäß der Daumenregel der mindestens zwei aufeinanderfolgenden negativen Veränderungsraten – lediglich fünf Rezessionen auf. Dabei wurden Veränderungen des Trendwachstums bzw. die Entwicklung des Potential Output nicht berücksichtigt. Da das Trendwachstum zwischen 1954 und Mitte der siebziger Jahre deutlich höher war als danach, ergab sich selbst in Perioden einer starken Abschwächung, welche durchaus als Rezession interpretiert werden können, ein Wachstum des BIP. Somit weist ein Verfahren, welches nur auf die Veränderungsraten abstellt, ein ungenaues Konjunkturbild aus.

Übersicht 1: Phasen mit mindestens zwei aufeinanderfolgenden negativen Veränderungsraten des BIP in Österreich seit 1954

 

Bruttoinlandsprodukt, real

 

Bereinigt um irreguläre Komponente

Einschließlich der irregulären Komponente

 

Veränderung gegen das Vorquartal in %, saisonbereinigt

     

III. Quartal 1974

- 0,07

 

IV. Quartal 1974

- 0,21

 
     

III. Quartal 1980

- 0,04

 

IV. Quartal 1980

- 0,05

 
     

III. Quartal 1981

 

- 0,12

IV. Quartal 1981

 

- 0,41

     

I. Quartal 1984

 

- 0,83

II. Quartal 1984

 

- 0,13

     

III. Quartal 1986

- 0,07

 

IV. Quartal 1986

- 0,03

 
     

III. Quartal 1992

- 0,12

 

IV. Quartal 1992

- 0,29

 

I. Quartal 1993

- 0,07

 
     

III. Quartal 2001

- 0,14

- 0,45

IV. Quartal 2001

- 0,24

- 0,18

Abweichungen zwischen der Datierung von Konjunkturwendepunkten können sich auch aus den verschiedenen Möglichkeiten der Zuordnung der bei den statistischen Verfahren der Komponentenzerlegung anfallenden "irregulären Restkomponente" ergeben. So werden für Österreich nach der Regel des zweimaligen BIP-Rückgangs seit 1954 lediglich drei Rezessionen angezeigt, wenn man ausschließlich um Saison- und Arbeitstagseffekte bereinigt und die anfallende irreguläre Komponente in der Zeitreihe belässt.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 7/2002!