24. Juli 2002 • Konjunkturaufschwung bei anhaltenden Strukturproblemen. Mittelfristige Prognose der österreichischen Wirtschaft bis 2006 • Markus Marterbauer, Josef Baumgartner, Serguei Kaniovski

Die österreichische Wirtschaft steht vor einem Konjunkturaufschwung, der bis ins Jahr 2004 anhalten sollte und dann ein Wirtschaftswachstum von mehr als 3% bringen wird. Für 2005 und 2006 muss mit einer merklichen Verlangsamung gerechnet werden. Der Konjunkturzyklus wird primär von der Entwicklung der internationalen Wirtschaft und damit dem Export und den Ausrüstungsinvestitionen bestimmt. Im Verlauf der Weltkonjunktur liegen die größten Risken für die Prognose. Die Inlandsnachfrage wächst zunächst deutlich langsamer als die Produktion, stabilisiert aber gegen Ende des Prognosehorizonts die Konjunktur. Die Beschäftigung steigt im Zuge der Erholung kräftig, die Arbeitslosigkeit geht aufgrund des hohen Angebotes an ausländischen Arbeitskräften aber nur langsam zurück. Die Spielräume in den öffentlichen Haushalten bleiben klein. Zugleich bestehen wesentliche Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik in der Budgetstruktur, der Innovations- und der Bildungspolitik.

Die mittelfristige Prognose 2001/2006 basiert auf der im Juni vorgestellten Konjunkturprognose für die Jahre 2002 und 2003. Das WIFO nimmt dort einen merklichen internationalen Konjunkturaufschwung an, betont gleichzeitig aber das Risiko einer Verzögerung der Erholung. Der Höhepunkt dieses Aufschwungs könnte in Österreich im Jahr 2004 mit einem realen Wirtschaftswachstum von 31/4% erreicht werden. Die wichtigsten Impulse für die Erholung nach der Rezession 2001 werden vom Export und den Ausrüstungsinvestitionen erwartet.

Die österreichische Wirtschaft könnte von einer Erholung der Nachfrage der wichtigsten Handelspartner besonders profitieren, denn die heimischen Exportunternehmen verfügen aufgrund einer günstigen Entwicklung der Lohnstückkosten über eine hohe preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Die erwartete starke Ausweitung des Warenexports zieht rege Investitionen in Maschinen, Fahrzeuge und immaterielle Wirtschaftsgüter nach sich. Im Aufschwung dämpft die Inlandsnachfrage eher die Wachstumsdynamik. Die Zunahme des privaten Konsums wird durch den Anstieg der Sparquote auf den mittelfristigen Trend etwas geschwächt. Die Bauwirtschaft wächst, gebremst durch die geringe Nachfrage nach Wohnungen, nur sehr verhalten.

Das Konjunkturbild, das der Prognose zugrunde liegt, deutet für die Jahre 2005 und 2006 auf eine beträchtliche Abschwächung hin. Wieder kommen die wichtigsten Einflussfaktoren von den volatilsten Komponenten der Nachfrage: den Exporten und Ausrüstungsinvestitionen, deren Wachstum dann beträchtlich gedämpft ist. Hingegen dürfte gegen Ende der Prognoseperiode die Inlandsnachfrage stabilisierend wirken: Der private Konsum expandiert weiter um über 2%. Die Bauwirtschaft könnte ihre lange Krise überwinden, sobald im Zuge der Osterweiterung der EU der Ausbau der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur rascher vorankommt und selbst im Wohnbau die Nachfrage wieder leicht steigt.

Die österreichische Wirtschaft dürfte im Durchschnitt der Periode 2001/2006 mit einer realen Zunahme des BIP um 21/4% pro Jahr nur wenig langsamer wachsen als im EU-Durchschnitt (+2,4%) und etwa gleich rasch wie in der Periode 1996/2001. Allerdings sind verschiedene Strukturprobleme zu erkennen: Zwar erhöht sich der Außenbeitrag zum Wirtschaftswachstum bedeutend, dies ist aber neben der günstigen internationalen Konjunktur eher auf eine maßvolle Lohnentwicklung als auf eine rasche Produktivitätssteigerung infolge erfolgreicher Innovationspolitik zurückzuführen.

Der Wirtschaftsaufschwung zieht eine merkliche Belebung des Beschäftigungswachstums nach sich. Die Zahl der unselbständig aktiv Beschäftigten erhöht sich um 0,6% (+19.000) pro Jahr. Dies schlägt sich allerdings nicht in einer parallelen Verringerung der Arbeitslosigkeit nieder. Zwar steigt die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter anders als in den Vorperioden kaum noch, die beträchtliche Ausweitung der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte – durch Saisoniers und infolge der EU-Osterweiterung – vergrößert das Arbeitskräfteangebot dennoch erheblich. Die Zahl der Arbeitslosen wird bis zum Jahr 2006 nur auf 205.000 zurückgehen. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 5,9% der unselbständigen Erwerbspersonen bzw. 3,3% der Erwerbspersonen laut Eurostat. Die Ausgaben für die Altersteilzeit gewinnen gegenüber den Qualifizierungs- und Trainingsmaßnahmen für Arbeitslose stark an Bedeutung.

Unter der Annahme restriktiver Ausgabenpolitik, ohne eine Senkung von Steuern oder Lohnnebenkosten und ohne die beabsichtigte Ausweitung der Ausgaben für Landesverteidigung ergeben sich laut Modellprognose ein ausgeglichener Staatshaushalt im Jahr 2003 und ein leichter Überschuss in den Folgejahren (2005 +1/2% des BIP). Dies ist ein Ergebnis der günstigen Konjunktur- und Beschäftigungsentwicklung und sollte nicht als Spielraum für Ausgabenerhöhungen oder Steuersenkungen interpretiert werden. Solche Maßnahmen würden, sofern keine Gegenfinanzierung erfolgt, in der hier prognostizierten Konjunkturbelebungsphase prozyklisch wirken. Strukturprobleme in den öffentlichen Haushalten umfassen u. a. die geringe Elastizität des Aufkommens an Umsatzsteuer, den merklichen Anstieg der Subventionen sowie die starke Ausweitung der Förderungen im Familienbereich und für das Altersteilzeitprogramm.

Die Prognose lässt keine nennenswerten Inflationsrisken erkennen. Im Durchschnitt 2001/2006 dürfte die Inflationsrate 1,7% betragen. In einer offenen Volkswirtschaft wie Österreich spielt die internationale Preis- und Kostenentwicklung für die heimische Inflation eine zentrale Rolle. In der EU bleiben die Inflationserwartungen niedrig, größere Schwankungen auf den Weltmärkten für Rohstoffe werden nicht angenommen. Unter den inländischen Inflationsdeterminanten geht von den Lohnstückkosten kein wesentlicher Preisauftrieb aus, und die Verschärfung des Wettbewerbs drückt eher die Preise. Die Reallöhne pro Kopf dürften um 1% pro Jahr steigen, deutlich schwächer als die Arbeitsproduktivität.

Übersicht 1: Hauptergebnisse
 

Ø 1996/2001

Ø 2001/2006

2001

2002

2003

2004

2005

2006

 

Jährliche Veränderung in %

                 

Bruttoinlandsprodukt

               

  Real

+ 2,4

+ 2,3

+ 1,0

+ 1,2

+ 2,8

+ 3,3

+ 2,4

+ 1,7

  Nominell

+ 3,4

+ 3,6

+ 2,6

+ 2,3

+ 4,0

+ 4,7

+ 3,8

+ 2,9

Verbraucherpreise1)

+ 1,3

+ 1,7

+ 2,3

+ 1,7

+ 1,4

+ 1,9

+ 1,8

+ 1,6

Lohn- und Gehaltssumme je Beschäftigten2)

+ 2,3

+ 2,7

+ 3,1

+ 2,5

+ 2,5

+ 3,0

+ 2,8

+ 2,4

Unselbständig Beschäftigte3)

+ 0,8

+ 0,6

+ 0,4

- 0,2

+ 0,8

+ 1,1

+ 0,8

+ 0,5

                 
 

In %

Arbeitslosenquote

               

  In % der Erwerbspersonen4)

4,0

3,6

3,6

4,0

3,9

3,6

3,4

3,3

  In % der unselbständigen   Erwerbspersonen5)

6,6

6,3

6,1

6,8

6,5

6,2

6,0

5,9

                 
 

In % des BIP

                 

Außenbeitrag

- 0,9

- 0,2

- 0,4

+ 0,1

+ 0,2

+ 0,1

- 0,4

- 1,0

Finanzierungssaldo des Staates

               

  laut Maastricht-Definition

- 1,6

+ 0,1

+ 0,1

- 0,4

± 0,0

+ 0,2

+ 0,5

+ 0,4

                 
 

In % des verfügbaren Einkommens

Sparquote der privaten Haushalte

7,1

6,8

6,2

6,4

6,8

7,2

7,0

6,8

 1) Konsumdeflator. –  2) Brutto, ohne Arbeitgeberbeiträge, je Beschäftigungsverhältnis laut VGR. –  3) Ohne Präsenzdiener und Bezieher von Karenz- bzw. Kindergeld. –  4) Laut Eurostat. –  5) Laut Arbeitsmarktservice.

Die Risken der mittelfristigen Prognose liegen primär im Bereich der internationalen Konjunktur. In den USA dürfte das Wachstum schwächer ausfallen, wenn die makroökonomischen Ungleichgewichte (niedrige Sparquote, hohes Leistungsbilanzdefizit) korrigiert werden. In Europa könnte das erforderliche Zusammenspiel zwischen Geld-, Budget- und Lohnpolitik nicht ausreichend gelingen. Die Osterweiterung der EU wird für das Jahr 2004 angenommen. Ihr Erfolg kann langfristig erhebliche Wachstumseffekte nicht nur in den neuen Mitgliedsländern, sondern auch in Westeuropa auslösen. Allerdings sind die Risken – etwa bei einer zu frühen Teilnahme an der Währungsunion – erheblich.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 8/2002!