13. Juni 2002 • Zögernde Erholung in der EU trotz kräftiger Impulse aus den USA • Markus Marterbauer

In der EU kommt der Konjunkturaufschwung nur langsam in Gang. Er erhält seine wichtigsten Impulse von der Ausweitung der Binnennachfrage in den USA. In Europa blieb die Inlandsnachfrage bislang schwach. Die Arbeitslosigkeit wird heuer steigen, dürfte aber mit zunehmender Dynamik des Aufschwungs im kommenden Jahr wieder zurückgehen. Derzeit ist kein markanter Inflationsdruck abzusehen. Die Risken für die Konjunktur bestehen in einem Anstieg der Sparquote in den USA, einer krisenbedingten Erhöhung der Rohölpreise und einem umfangreichen Sparpaket in Deutschland.

In den USA wurde die Rezession im I. Quartal 2002 überwunden. Das BIP wuchs sowohl gegenüber dem Vorquartal als auch gegenüber dem Vorjahr real um etwa 1½%. Die starke Reduktion des Zinsniveaus, Steuersenkungen und eine Ausweitung der öffentlichen Ausgaben trugen wesentlich zur Konjunkturwende bei, vor allem zur anhaltenden Stärke des privaten Konsums. Wie für einen beginnenden Konjunkturaufschwung typisch, begannen die Unternehmen zu Jahresanfang wieder Lager aufzubauen. Dies ist ein weiterer Beleg für ein optimistischeres Geschäftsklima. Allerdings ist die Kapazitätsauslastung bislang noch zu niedrig, um die Unternehmen auch zu einer Ausweitung der Investitionen zu veranlassen. Das Anziehen der Nachfrage in den USA zeigt sich auch in einem starken Anstieg der Importe. Dies trägt zu einer weiteren Ausweitung des Defizits in der Leistungsbilanz bei, es könnte im kommenden Jahr 550 Mrd. $ erreichen.

Die Belebung der Nachfrage in den USA bildet den wichtigsten Impuls für den Konjunkturaufschwung in Europa. Der Anstieg des BIP im Euro-Raum im I. Quartal um real 0,2% gegenüber dem Vorquartal (+0,1% gegenüber dem Vorjahr) belegt zwar, dass die Stagnation, die seit dem Frühjahr vergangenen Jahres anhielt, beendet ist, er erwies sich allerdings als geringer als erwartet. Überdies ergeben sich wie schon im Konjunkturabschwung des vergangenen Jahres erhebliche Wachstumsdifferenzen zwischen den EU-Ländern: In jenen Ländern, in denen die Inlandsnachfrage die Dämpfung im Export ausglich, expandierte die Wirtschaft im Jahr 2001 überdurchschnittlich; dazu zählen Irland, Griechenland, Spanien, Großbritannien und Frankreich. Hingegen blieb die Entwicklung in den Ländern mit schwacher Inlandsnachfrage merklich unter dem Durchschnitt; das betrifft vor allem Deutschland, Dänemark, Österreich und Belgien.

In den nächsten Quartalen ist mit einer Beschleunigung des Aufschwungs in Europa zu rechnen, allerdings besteht über die Dynamik der Erholung erhebliche Unsicherheit. Der Konjunkturaufschwung sollte nach dem Export auch die Ausrüstungsinvestitionen erfassen. Die Flaute der Bau- und Konsumnachfrage dürfte jedoch anhalten. Sie kommt auch in wachsenden Überschüssen im Außenhandel zum Ausdruck – das Handelsbilanzaktivum der Länder der Euro-Zone dürfte heuer auf 1¼% des BIP steigen. Im Jahresdurchschnitt kann in der EU ein Wirtschaftswachstum von etwa 1½% erwartet werden – etwa so hoch wie im Vorjahr. Dies impliziert aber bereits Raten von mehr als +2½% gegen Jahresende. Für das Jahr 2003 wird ein Wachstum von knapp 3% prognostiziert.

Mit zeitlicher Verzögerung wird auch der Arbeitsmarkt positiv auf die Ausweitung der Produktion reagieren. Heuer ist noch eine Zunahme der Arbeitslosenquote zu beobachten (auf etwa 8½% in der Euro-Zone und 7¾% in der EU). Unter der Annahme stabiler Preise auf den internationalen Rohölmärkten lassen alle Prognosen einen Rückgang der Inflationsrate auf 2% erwarten.

Der Konjunkturaufschwung in den USA und damit auch in Europa unterliegt einer Reihe von Risken. Dies betrifft zum ersten die makroökonomischen Ungleichgewichte in den USA, die sich in einer niedrigen Sparquote der privaten Haushalte (2001 1½% der verfügbaren Einkommen) und einem hohen Leistungsbilanzdefizit (4% des BIP) äußern. Ein Anstieg der Sparquote – ausgelöst etwa durch einen weiteren Rückgang der Aktienkurse oder einen Einbruch der Immobilienpreise – könnte eine Verringerung der privaten Nachfrage nach sich ziehen. Ein zweites Risiko besteht auf den Rohstoffmärkten: Eine markante Erhöhung der Erdölpreise – etwa im Zuge einer Verschärfung der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten oder in Asien – würde die Kaufkraft der privaten Haushalte in den Industrieländern empfindlich einschränken. Zum dritten lässt eine Erholung der europäischen Inlandsnachfrage weiter auf sich warten. Sie könnte durch eine restriktive Budgetpolitik in großen EU-Ländern im Jahr 2003 zumindest kurzfristig zusätzlich gedämpft werden. Die Budgetprobleme betreffen neben Frankreich, Italien und Portugal vor allem Deutschland. Die deutsche Bundesregierung hat sich gegenüber der EU verpflichtet, den Finanzierungssaldo des öffentlichen Sektors, der sich rezessionsbedingt auf etwa –3% des BIP verschlechtert hat, bis 2004 auf nahezu 0% zurückzuführen. Dies macht umfangreiche Sparpakete notwendig, die die anhaltende Schwäche der Binnennachfrage verschärfen könnten.

Die Aufmerksamkeit der EU-Wirtschaftspolitik sollte sich auch zwei weiteren möglichen Problembereichen widmen: In Portugal vertiefen sich die makroökonomischen Ungleichgewichte, die in hoher Verschuldung des privaten Sektors sowie in steigenden Defiziten von Leistungsbilanz (2001 9½% des BIP) und Staatshaushalt (knapp 3% des BIP) zum Ausdruck kommen. Den Hintergrund bilden wachsender Kostendruck und eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit. Da eine Abwertung als Instrument der Wirtschaftspolitik nicht mehr zur Verfügung steht, verbleibt als einzige Reaktionsmöglichkeit eine Restriktion der Inlandsnachfrage mit negativen Konsequenzen für den Arbeitsmarkt oder eine Ausweitung der Transfers der EU. Auch in den ostmitteleuropäischen Ländern (vor allem in Tschechien und Polen) besteht in den letzten Jahren eine bedenkliche Tendenz zu einer realen Aufwertung der nationalen Währung gegenüber dem Euro. Dies könnte mittelfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Exportwirtschaft der MOEL und damit den Aufholprozess gegenüber Westeuropa ernsthaft gefährden.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 6/2002!