24. Mai 2002 • Ökonomische Analyse der Wettbewerbssituation im österreichischen Lebensmitteleinzelhandel • Michael Böheim

Die ökonomische Analyse des Wettbewerbs auf regionalen Handelsmärkten im österreichischen Lebensmitteleinzelhandel kommt zu dem Ergebnis, dass in allen Bundesländern mit Ausnahme des Burgenlands der jeweilige regionale Marktführer bereits einen Marktanteil von über 30% innehat bzw. dass die Summe der Marktanteile der größten vier Anbieter (Konzentrationsmaß CR4) 80% übersteigt. Gemäß dem österreichischen Kartellgesetz ist damit eine marktbeherrschende Stellung zu vermuten. Noch akzentuierter erscheint die Markkonzentration auf den lokalen Handelsmärkten. So verfügt in neun politischen Bezirken der jeweilige Marktführer über einen Marktanteil von 50% bis 70%, in weiteren 27 Bezirken von mehr als 40%. Das kartellrechtlich relevante Konzentrationsmaß CR4 liegt mit Ausnahme von fünf politischen Bezirken auf den lokalen österreichischen Handelsmärkten generell zwischen 80% und 100%. Die wettbewerbspolitische Brisanz dieser hohen Marktkonzentration wird durch die Markteintrittsbarrieren, welche die gegenüber der Neuerrichtung großer Shop-Formate (Verbrauchermärkte) restriktiven Flächenwidmungspläne bewirken, zusätzlich verschärft.

Unter diesen Rahmenbedingungen sind weitere Konzentrationstendenzen im österreichischen Lebensmitteleinzelhandel aus wettbewerbspolitischer Sicht bedenklich. Das gilt insbesondere für Unternehmenszusammenschlüsse auf bereits hochkonzentrierten Märkten, zumal nicht nur die Marktkonzentration per se zunimmt, sondern auch ein konkurrierender Anbieter vom Markt eliminiert wird ("Oligopolisierung"). Die wettbewerbspolitische Konsequenz kann deshalb nur lauten, dass ein weiterer Ausbau von marktbeherrschenden Stellungen aufgrund der potentiellen Gefahren für einen funktionierenden Wettbewerb und der damit einhergehenden volkswirtschaftlichen Nachteile generell unerwünscht ist.

Konkret bedeutet das im österreichischen Lebensmitteleinzelhandel, dass Unternehmensübernahmen durch marktbeherrschende Unternehmen auf den von ihnen dominierten lokalen und regionalen Märkten besonders streng zu prüfen wären. Erst recht trifft dies zu, wenn durch einen Unternehmenszusammenschluss bestehende Markteintrittsbarrieren verstärkt würden, indem z. B. große Shop-Formate (Verbrauchermärkte) vom Marktführer "aufgekauft" werden. Diese Schlussfolgerung findet ihre rechtliche Deckung im Kartellgesetz, wonach ein Unternehmenszusammenschluss zu untersagen ist, wenn durch ihn eine marktbeherrschende Stellung entstehen oder verstärkt würde.

Leitlinien einer künftigen österreichischen Wettbewerbspolitik

Über die Betrachtung des Einzelfalls (Lebensmitteleinzelhandel) hinaus lassen sich einige allgemeine inhaltliche Schlussfolgerungen für die österreichische Wettbewerbspolitik skizzieren: In Österreich hat die Wettbewerbspolitik höchste Marktkonzentrationen in einigen Wirtschaftszweigen (Medien, verschiedene Einzelhandelsbranchen usw.) nicht verhindert. Angesichts von Versäumnissen in der Vergangenheit erscheint in Zukunft generell eine verschärfte Gangart gegenüber wettbewerbswidrigen Praktiken (Kartelle, Fusionen und Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) geboten.

Neben der Marktkonzentration selbst sollte der Zahl der Wettbewerber auf einem Markt größere Bedeutung zugemessen werden, da die Kollusionsgefahr stark steigt, wenn weniger als fünf bedeutende Marktteilnehmer (Mindestmarktanteil) konkurrieren.

Als Mittel der präventiven Kontrolle konzentrationsgefährdeter Branchen einerseits, aber auch als Mittel der competition advocacy andererseits empfiehlt sich ein kontinuierliches Monitoring konzentrationsgefährdeter Branchen auf Basis einer standardisierten Wettbewerbsanalyse. Die Ergebnisse dieses Branchenmonitorings sollten regelmäßig aktualisiert und in einem jährlichen Wettbewerbsbericht publiziert werden.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 5/2002!